Thüringische Landeszeitung (Jena)
Heimatloser Weltbürger
Deutschland ehrt den Dramatiker und Schriftsteller Peter Weiss, der heute vor 100 Jahren geboren wurde
Es war ein zerrissenes Leben – mit Höhen und Tiefen, wie sie nur wenige Menschen kennen. Mit seinen Bühnenstücken schrieb Peter Weiss Theatergeschichte. Sein Jahrhundertroman „Ästhetik des Widerstands“prägte in den 80er Jahren eine ganze Generation. Und doch quälten ihn Selbstzweifel, Depressionen und Heimatverlust. „Überall, wo ich bin, ist auch einer, der mich ermorden will“, notierte er einmal.
Am heutigen Dienstag wäre Peter Weiss 100 Jahre alt geworden. Und die Flut an Büchern, Veranstaltungen und Gedenkfeiern zeigt, wie aktuell dieser große Erzähler, Maler und Filmemacher, Dramatiker und Autor 35 Jahre nach seinem Tod noch immer ist. Auch das Kunstfest Weimar hatte ihn im August mit einer spektakulären Lesereihe in den Fokus gerückt. Am 10. Mai 1982 war Weiss mit nur 65 Jahren in seiner Behelfsheimat Stockholm an einem Herzinfarkt gestorben. „Geliebt haben ihn wenige, gefürchtet manche, respektiert alle“, sagte Walter Jens in seiner Laudatio zum Büchner-Preis, dessen Verleihung Weiss nicht mehr erlebte.
„Heimatloser Weltbürger“– so nennt die Publizistin Birgit Lahann den nahe Berlin geborenen Autor im Untertitel zu ihrer Biografie, die zum 100. Geburtstag erschien. Im Gespräch mit der langjährigen Partnerin und Witwe, der schwedischen Bühnenbildnerin Gunilla Palmstierna-Weiss, beschreibt sie eindrücklich die Traumata, die den jungen Mann prägen: der frühe Tod der geliebten Schwester, die vom Vater verheimlichte Zugehörigkeit zum Judentum, die Flucht aus Nazi-Deutschland 1935 und die kalte Verachtung der Eltern für seine Kunst.
In der Emigration – von London über Prag und die Schweiz nach Schweden – konzentriert sich Weiss zunächst auf die Malerei. Viele Bilder gehen später verloren. Er dreht Dokumentarund Experimentalfilme, die niemanden interessieren, schreibt Gedichte und Bücher, die kaum jemand liest, bis es am 29. April 1964 unverhofft zum ganz großen Durchbruch kommt.
Sein Revolutionsdrama „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats ...“wird nach der Uraufführung im Berliner Schillertheater zum Welterfolg. Auch das nächste Stück „Die Ermittlung“, eine Aufarbeitung des Frankfurter Auschwitz-Prozesses, wird mit fünfzehn gleichzeitigen Uraufführungen in Ost und West zu einem Ausnahmeereignis.
„Kunst muss die Kraft haben, das Leben zu verändern“– das ist Weiss‘ Anspruch. Er ist der kommunistischen Partei beigetreten, hat aber ein zwiespältiges Verhältnis zu beiden deutschen Staaten. Die Auseinandersetzung mit der gemeinsamen Geschichte wird ihn schließlich zu seinem Monumentalwerk „Die Ästhetik des Widerstands“führen. Auf mehr als 1000 Seiten entfaltet er in der Roman-Trilogie (1975, 1978, 1981) die künstlerischen und gesellschaftlichen Erfahrungen der Arbeiterbewegung im Kampf gegen den Hitlerfaschischmus.