Thüringische Landeszeitung (Jena)
„Rot-Grün-Rot würde an mir nicht scheitern“
GrünenChef Cem Özdemir über Bündnisse nach der Wahl und den Auftritt des Daimler-Chefs beim Bundesparteitag
Herr Özdemir, auf Ihr Betreiben haben die Grünen den Vorstandsvorsitzenden von Daimler, Dieter Zetsche, zum Parteitag eingeladen. Sind Sie der AutoGrüne, wie Gerhard Schröder einst der AutoKanzler war?
BERLIN. Misstöne prägen die Szene vor dem Grünen-Parteitag, der am Freitag in Münster beginnt. Die Entscheidung, Herrn Zetsche einzuladen, haben wir im Bundesvorstand gemeinsam getroffen. In unserem Antrag bekennen wir uns zum Autoproduktionsstandort Deutschland, fordern aber gerade deshalb Veränderungen ein. Wir Grünen nehmen das Pariser Klimaabkommen ernst und wollen, dass ab dem Jahr 2030 nur noch Neufahrzeuge zugelassen werden, die keine Schadstoffe ausstoßen. Und da muss ich doch mit den Herstellern reden, die das massiv betrifft. Wir können nicht abwarten, bis uns Japan, China oder die USA mit ihren Elektroautos davonfahren.
Eine Gruppe von Grünen will verhindern, dass Zetsche auf dem Parteitag das Wort erteilt wird.
Darüber wird der Parteitag entscheiden. Wenn wir jetzt schon so zögern – wie stellen wir uns das denn später vor, wenn wir regieren? Da werden wir solche Gespräche am laufenden Band führen. Greenpeace müssen wir nicht mehr überzeugen. Aber mit Dieter Zetsche müssen wir reden über die Zukunft der Automobilindustrie. Daimler hat 170 000 Arbeitsplätze in Deutschland. Da hängen auch Familienschicksale dran.
Der Streit über eine Vermögensbesteuerung ist vor dem Parteitag in eine neue Runde gegangen. Wer gewinnt?
Die Partei insgesamt, hoffe ich. Wir müssen uns einigen. Wenn der Streit weitergeht, wird die Berichterstattung dominiert sein von dem Eindruck: Die Grünen diskutieren immer nur über Steuern. Und dafür wählt uns niemand.
Welche Folgen hätte eine Vermögensteuer?
Es braucht eine kluge Umverteilung ebenso wie mehr Chancengerechtigkeit. Man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen. Die entscheidende Herausforderung ist, die Vermögensbesteuerung so zu gestalten, dass wir nicht die mittelständischen Unternehmen treffen, die massiv in die ökologische Modernisierung investieren sollen. Ich denke, dessen sind sich bei uns alle bewusst.
Der grüne Ministerpräsident von BadenWürttemberg, Winfried Kretschmann, sieht niemanden, der das Amt des Bundeskanzlers besser ausfüllen könnte als Angela Merkel. Wen sehen Sie? Sigmar Gabriel?
Winfried Kretschmann hat das auf die Europapolitik bezogen, und da fällt mir auch kein Zacken aus der Krone, wenn ich sage: Frau Merkel hat dazugelernt. Aber sie hat ihr politisches Kapital in der Flüchtlingskrise ausgeschöpft. Jetzt hat sie offensichtlich nicht mehr die Kraft und den Mut, das zu sagen und zu machen, was notwendig wäre – allem voran Investitionen in unsere Infrastruktur in Europa.
Was bedeutet das für die Koalitionsfrage: SchwarzGrün oder RotRotGrün?
Alles ist besser als die große Koalition. Die Grünen tun jeder Regierung gut, und den Grünen tut jede Regierung gut. Wer grün wählt, bekommt Klimaschutz, mit dem unsere Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben und Arbeitsplätze schaffen können – ganz gleich in welcher Konstellation. Und je stärker wir werden, desto mehr können wir von unserer Politik durchsetzen.
Klingt ziemlich beliebig. Wenigstens sind Ihre persönlichen Präferenzen für SchwarzGrün bekannt ...
An mir würde auch Rot-Grün-Rot nicht scheitern. Wenn die Inhalte stimmen und sich die handelnden Personen in die Augen schauen können, ist auch ein Bündnis mit SPD und Linkspartei möglich. Deutschland braucht eine verlässliche Regierung.