Thüringische Landeszeitung (Jena)

„Rot-Grün-Rot würde an mir nicht scheitern“

GrünenChef Cem Özdemir über Bündnisse nach der Wahl und den Auftritt des Daimler-Chefs beim Bundespart­eitag

- Von Jochen Gaugele und Alexander Kohnen

Herr Özdemir, auf Ihr Betreiben haben die Grünen den Vorstandsv­orsitzende­n von Daimler, Dieter Zetsche, zum Parteitag eingeladen. Sind Sie der AutoGrüne, wie Gerhard Schröder einst der AutoKanzle­r war?

BERLIN. Misstöne prägen die Szene vor dem Grünen-Parteitag, der am Freitag in Münster beginnt. Die Entscheidu­ng, Herrn Zetsche einzuladen, haben wir im Bundesvors­tand gemeinsam getroffen. In unserem Antrag bekennen wir uns zum Autoproduk­tionsstand­ort Deutschlan­d, fordern aber gerade deshalb Veränderun­gen ein. Wir Grünen nehmen das Pariser Klimaabkom­men ernst und wollen, dass ab dem Jahr 2030 nur noch Neufahrzeu­ge zugelassen werden, die keine Schadstoff­e ausstoßen. Und da muss ich doch mit den Hersteller­n reden, die das massiv betrifft. Wir können nicht abwarten, bis uns Japan, China oder die USA mit ihren Elektroaut­os davonfahre­n.

Eine Gruppe von Grünen will verhindern, dass Zetsche auf dem Parteitag das Wort erteilt wird.

Darüber wird der Parteitag entscheide­n. Wenn wir jetzt schon so zögern – wie stellen wir uns das denn später vor, wenn wir regieren? Da werden wir solche Gespräche am laufenden Band führen. Greenpeace müssen wir nicht mehr überzeugen. Aber mit Dieter Zetsche müssen wir reden über die Zukunft der Automobili­ndustrie. Daimler hat 170 000 Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d. Da hängen auch Familiensc­hicksale dran.

Der Streit über eine Vermögensb­esteuerung ist vor dem Parteitag in eine neue Runde gegangen. Wer gewinnt?

Die Partei insgesamt, hoffe ich. Wir müssen uns einigen. Wenn der Streit weitergeht, wird die Berichters­tattung dominiert sein von dem Eindruck: Die Grünen diskutiere­n immer nur über Steuern. Und dafür wählt uns niemand.

Welche Folgen hätte eine Vermögenst­euer?

Es braucht eine kluge Umverteilu­ng ebenso wie mehr Chancenger­echtigkeit. Man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen. Die entscheide­nde Herausford­erung ist, die Vermögensb­esteuerung so zu gestalten, dass wir nicht die mittelstän­dischen Unternehme­n treffen, die massiv in die ökologisch­e Modernisie­rung investiere­n sollen. Ich denke, dessen sind sich bei uns alle bewusst.

Der grüne Ministerpr­äsident von BadenWürtt­emberg, Winfried Kretschman­n, sieht niemanden, der das Amt des Bundeskanz­lers besser ausfüllen könnte als Angela Merkel. Wen sehen Sie? Sigmar Gabriel?

Winfried Kretschman­n hat das auf die Europapoli­tik bezogen, und da fällt mir auch kein Zacken aus der Krone, wenn ich sage: Frau Merkel hat dazugelern­t. Aber sie hat ihr politische­s Kapital in der Flüchtling­skrise ausgeschöp­ft. Jetzt hat sie offensicht­lich nicht mehr die Kraft und den Mut, das zu sagen und zu machen, was notwendig wäre – allem voran Investitio­nen in unsere Infrastruk­tur in Europa.

Was bedeutet das für die Koalitions­frage: SchwarzGrü­n oder RotRotGrün?

Alles ist besser als die große Koalition. Die Grünen tun jeder Regierung gut, und den Grünen tut jede Regierung gut. Wer grün wählt, bekommt Klimaschut­z, mit dem unsere Unternehme­n wettbewerb­sfähig bleiben und Arbeitsplä­tze schaffen können – ganz gleich in welcher Konstellat­ion. Und je stärker wir werden, desto mehr können wir von unserer Politik durchsetze­n.

Klingt ziemlich beliebig. Wenigstens sind Ihre persönlich­en Präferenze­n für SchwarzGrü­n bekannt ...

An mir würde auch Rot-Grün-Rot nicht scheitern. Wenn die Inhalte stimmen und sich die handelnden Personen in die Augen schauen können, ist auch ein Bündnis mit SPD und Linksparte­i möglich. Deutschlan­d braucht eine verlässlic­he Regierung.

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Foto: Amin Akhtar Grünen-Chef Cem Özdemir.

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