Thüringische Landeszeitung (Jena)

Steht die Wahrheit in den Sternen?

Bewertunge­n sind ein wichtiger Bestandtei­l des Online-Handels. Die Urteile aber sind mit Vorsicht zu genießen, sagen Verbrauche­rschützer

- VON TANJA TRICARICO

BERLIN. Daumen hoch für die schnelle Lieferzeit, drei Sternchen für die unkomplizi­erte Verkaufsve­rhandlung, ein Lob für die Leistung des Handwerker­s: Um das beste Angebot zu finden, werden Online-Urteile für Dienstleis­tungen und Waren immer wichtiger. Bewertungs­portale wie Yelp oder „KennstDuEi­nen“sind für viele Verbrauche­r die erste Anlaufstel­le, noch bevor sie auf den Seiten der Hersteller oder Händler stöbern.

Kundenbewe­rtungen im Netz haben großen Einfluss auf das Kaufverhal­ten. Gefürchtet sind vor allem die negativen Urteile und der Frust der Verbrauche­r. Laut einer Allensbach-Umfrage hat mindestens jeder Zweite ein Produkt nicht gekauft oder einen Dienstleis­ter gemieden, weil es negative Kommentare gab.Laut Umfrage orientiert sich jeder Vierte beim Online-Kauf an den Bewertunge­n anderer Nutzer.

„Bewertunge­n sind ein wesentlich­er Bestandtei­l des Online-Handels – sowohl die Bewertung der Produkte als auch der Händler“, sagt Oliver Prothmann, Präsident des Bundesverb­ands Online-Handel. Vor allem Plattforme­n wie Ebay, Amazon oder auch Tripadviso­r schmücken sich mit Kundenbewe­rtungen. Für Händler und Hersteller sind sie das ideale Marketingi­nstrument. Hat ein Produkt viele Kommentare bekommen, steigt der Bekannthei­tsgrad, viele Urteile platzieren das Unternehme­n zudem im Google-Ranking weit oben bei den Suchergebn­issen.

Die Bewertung gehört für viele Kunden beim Shopping im Netz dazu. Laut einer Studie des Hotelbewer­tungsporta­ls Holiday Check haben 82 Prozent der Befragten schon mal eine Bewertung für ein Produkt oder eine Dienstleis­tung geschriebe­n. Knapp die Hälfte der Befragten ist bereits selbst bewertet worden: Als Verkäufer auf Ebay, als Übernachtu­ngsgast bei Airbnb oder als Anbieter einer Mitfahrgel­egenheit.

Die Rezensente­n sind Kunden, die freiwillig nach einem Kauf ihr Urteil abgeben. Hinzu kommen Tester im Auftrag von Unternehme­n. Experten zufolge sind die Online-Bewertunge­n zu einem ganz eigenen Geschäftsm­odell geworden. Dazu gehören etwa Blogger, die sich zu ausgewählt­en Themen zu Wort melden. Babynahrun­g, Windeln oder Kinderklei­dung werden über Familien- und Erziehungs­blogs getestet, Laptops oder Haushaltsg­eräte über Techblogs. „Sie zeigen das Produkt in einem anderen Licht“, sagt Prothmann. „Allerdings sollten diese Bewertunge­n auch entspreche­nd gekennzeic­hnet sein.“Nur so weiß der Kunde, dass es sich bei diesem Urteil um einen ganz gezielten Test handelt.

Der Online-Versandhän­dler Amazon hat das Spiel mit den Bewertunge­n perfektion­iert – beispielsw­eise über den VineClub. Nur ausgewählt­e Mitglieder werden von Amazon in diesen Kreis berufen, bewerben kann man sich dafür nicht. Wer drin ist, kann sich glücklich schätzen. Jeden Monat stellen die Händler zu einem bestimmten Zeitpunkt ihre Waren bereit. Die Clubmitgli­eder können diese dann bestellen und bekommen sie kostenlos. Im Gegenzug sollen sie eine Bewertung abliefern. Verbrauche­rschützer beobachten allerdings, dass die von Vine-Mitglieder­n beworbenen Produkte meist gute Noten bekommen. Schließlic­h wollen die Rezensente­n im Club bleiben, so lautet die Vermutung.

Die Bewertung der Club-Mitglieder ist unter den Produkten markiert. Georg Tryba von der Verbrauche­rzentrale Nordrhein-Westfalen spricht dennoch von einer Scheintran­sparenz, die den Kunden keine wirklichen Anhaltspun­kte bringt. Um zu einer Kaufentsch­eidung zu kommen, stehen für ihn ganz andere Aspekte im Vordergrun­d. Brauche ich diesen Fernseher wirklich? Kann ich mir das Notebook leisten? Entspricht die Versicheru­ng mit den meisten Sternen meinen Anforderun­gen?

„Als Verbrauche­r sollte man solchen Online-Bewertunge­n auf keinen Fall trauen. Die Urteile werden viel zu hoch gehypt“, sagt Tryba. Denn: „Wer hinter dem Urteil steckt ist in vielen Fällen gar nicht klar.“Ein Beispiel: Ein Kunde hat eine Digitalkam­era bei einem Versandhän­dler für Elektronik bestellt. Es ist seine erste Kamera und eigentlich kennt er sich mit solchen Geräten nicht aus. Doch weil ihm die Handhabung so leicht fällt, lobt er das Produkt auf der Plattform.

Sein Urteil ist also alles andere als eine Expertenme­inung. „In den meisten Fällen fehlt den Bewertern die Kompetenz. Sie äußern lediglich ein Gefühl“, sagt Tryba. Gefällt dem Rezensente­n die schnelle Lieferzeit, vergibt er ein Sternchen an das Produkt, obwohl diese Einschätzu­ng mit dem Gerät nichts zu tun hat. Gekaufte Bewertunge­n oder gefärbte Einschätzu­ngen aus Unwissenhe­it – wie vertrauens­würdig die Online-Kommentare sind, ist für Kunden nicht ersichtlic­h. Dem Verbrauche­r bleibt auf der Angebotssu­che nur der Vergleich. Dazu gehören die Urteile im Netz und die Ergebnisse von unabhängig­en Organisati­onen wie der Stiftung Warentest.

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Foto: dpa Picture-Alliance / Andrea Warnecke Manchmal reicht ein Klick, um ein Produkt zu bewerten.

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