Thüringische Landeszeitung (Jena)
„Jena ist der Gegenentwurf zur Thügida-Gesellschaftsvorstellung“
Anziehungspunkt für Rechtsextreme: Warum Neonazis immer wieder in die Universitätsstadt kommen
JENA. Die Reihe setzt sich heute Abend in Jena fort: Neonazis aus Thüringen marschieren, sie werden dabei aller Wahrscheinlichkeit nach wieder Fackeln tragen. Rückblick: 1938 brennen am 9. November Synagogen in ganz Deutschland und es gibt überall organisierte Übergriffe auf Juden. Das rechtsextreme Bündnis „Thügida“geht an diesem Jahrestag auf die Straße, will offiziell an den Mauerfall 1989 erinnern, erhält dafür sogar gerichtliche Rückendeckung.
Die Zweifel an der Intention dieser Demo sind stark. Gerade, weil sich diese heutige Demonstration in eine Kette von Märschen einreiht, die Jena 2016 als Magnet für Rechtsextremisten kennzeichnen.
Oberbürgermeister Albrecht Schröter (SPD) will keine Begründung finden, warum Neonazis immer wieder in die Stadt kommen. Jena, die linke Hochburg? Ist die Stadt deshalb so attraktiv für Rechtsextreme? Der SPD-Politiker entgegnet entschlossen: „Das ist Quatsch. Jena ist eine Stadt mit einem starken bürgerlichen Kern und einer großen Meinungsvielfalt.“
Thügida verfolgt aus Sicht des OB einzig das Ziel, Jena zu einer linken Hochburg zu stempeln und durch das permanente Aufmarschieren Gegenprotest zu provozieren, um danach sagen zu können, dass der Staat eingreifen müsse.
Stefan Herdeegen von der mobilen Beratung „Mobit“teilt die Wahrnehmung des Oberbürgermeisters. „Die extreme Rechte und Neonazis nehmen Jena als studentisch und linksalternativ geprägte Stadt wahr“, sagt er im TLZ-Gespräch. Deshalb seien sie überzeugt, dort „die Straße besetzen zu müssen“.
Für Jana Schneider liegen die Dinge klarer. „Dass Thügida immer wieder nach Jena geht, hat einen einfachen PR-Grund.“Davon ist die Vorsitzende der „Junge Alternative Thüringen“, also der Nachwuchsorganisation der AfD, überzeugt. Schneider, die vor einigen Jahren nach Jena gezogen ist, schlägt dabei scharfe Töne gegen Thügida an. „Thügida ist ganz klar rechtsextrem“, sagt sie im TLZ-Gespräch. Deshalb wird es ihrer Einschätzung nach immer Widerstand geben, „den ich nachvollziehen kann“.
Den Blick in die 90er-Jahre auf der Suche nach einer Erklärung dafür, warum gerade Jena zum Magnet für Neonazis geworden ist, richtet die Landtagsabgeordnete Katharina König (Linke). „Hauptgrund ist meines Erachtens, dass es in Jena im Vergleich zu anderen Thüringer Städten eine über Jahre gewachsene Haltung gegen NeonaziAufmärsche gibt.“Diese wirke, anders als in anderen Regionen Thüringens, von Antifa-Gruppen bis in CDU-Kreise hinein und führe zu einem breiten zivilgesellschaftlichen Widerstand.
„Ich finde es unerträglich, dass die ThügidaDemonstranten dieses Datum absichtlich missbrauchen.“
Albrecht Schröter (SPD) Oberbürgermeister der Stadt Jena
„Thügida hingegen eifert einem Gesellschaftsmodell nach, dass von Hass, nationalem Denken bis hin zu Teilen der NS-Ideologie geprägt ist. Jena ist im Alltäglichen ein Gegenentwurf zu ihrer Gesellschaftsvorstellung“, sagt König. Die Versammlungsbehörde habe es Thügida aber sehr einfach gemacht, in Jena aufzumarschieren, wohingegen Proteste gegen Neonazis immer stärker eingeschränkt würden, meint sie.
Schon in den 1990er Jahren seien in Jena Proteste gegen Neonazis organisiert worden, blickt König zurück. Warnungen und Proteste seien allerdings bis Anfang der 2000er Jahre ignoriert worden, obwohl engagierte Gruppe immer wieder versucht hätten, „weitere Teile der Zivilgesellschaft einzubeziehen“. König erinnert an viele Probleme, die das in der Vergangenheit und bis heute mit sich gebracht habe, spricht von Angriffen durch Neonazis und Anfeindungen aus der Stadtspitze und aus Teilen der Bevölkerung. Aber, sagt sie, das Durchhalten habe dazu geführt, „dass immer wieder Neonazismus, Rassismus und Antisemitismus problematisiert wurden und es gelungen ist, diese Haltung in breitere gesellschaftliche Gruppen zu tragen“. Auch abseits von Aufmärschen gebe es in Jena zahlreiche Aktionen, die sich mit der Gefahr durch Rechtsextremisten beschäftigen – König erinnert zum Beispiel an den „Runden Tisch“, der Vertreter zahlreicher städtischer Organisationen zusammenbringt.
Heute werden viele von ihnen wieder gemeinsam gegen Neonazis auf die Straße gehen.