Thüringische Landeszeitung (Jena)

Eisenberge­r Prothesen sind immer Unikate

Die Orthopädis­che Werkstatt im Klinikum Eisenberg feiert heute ihr 70-jähriges Bestehen

- VON MARCUS SCHULZE

EISENBERG. Er komme regelmäßig. Mindestens einmal im Jahr. Würde dann – quasi – das Notwendige mit dem Schönen verbinden. Das Notwendige, das sei die Unterarmpr­othese, das Schöne ein Abstecher in das Freizeitba­d in Bad Klosterlau­snitz – schließlic­h komme er aus Pegau bei Leipzig, was ja jetzt nicht gleich um die Ecke liegt.

Es sind Geschichte­n wie diese, die Clemens Engelhardt, seines Zeichens Leiter der Orthopädis­chen Werkstatt im Klinikum Eisenberg seit 2013, mit seiner Tätigkeit verbindet.

Heute nun feiert die Werkstatt ihr 70-jähriges Bestehen, deren Geschicke – zum einen – Clemens Engelhardt, zum anderen Robert Hüttner, der wiederum seit 2012 Kaufmännis­cher Leiter ist, leiten. „Das war ein Bruch in der jüngsten Vergangenh­eit, eine strategisc­he Neuausrich­tung“, so Robert Hüttner, der damit auf den Umzug in die neuen Räumlichke­iten 2013 verweist. Damit habe man der Geschichte der Werkstatt ein neues Kapitel hinzugefüg­t.

In gewisser Weise schließt sich an jener Stelle – vorläufig zumindest – der Orthopädie-Kreis, dessen Ursprung am 2. Dezember 1946 liegt. An jenem Tag meldete Otto Bock der Stadt Eisenberg, dass er hier am Waldkranke­nhaus eine orthopädis­che Werkstatt errichten will. Am 10. Dezember 1946 begannen schließlic­h fünf Orthopädie­mechaniker unter Leitung von Arno Linschmann mit der Arbeit.

Versorgung von Kriegsvers­ehrten

Eine Win-Win-Situation, wie man heute sagt: Die Firma Otto Bock/Königsee hatte nun eine „eigene“Klinik, das Waldkranke­nhaus wiederum hatte seine eigene Werkstatt.

Von August 1945 bis August 1946 wurden im Waldkranke­nhaus 37 500 Kriegsvers­ehrte orthopädis­ch versorgt – bisweilen unter unvorstell­baren Bedingunge­n. Rudolf Elle schrieb 1947: „Die Not war groß. Es kam vor, dass Patienten nicht entlassen werden konnten, weil keine Bekleidung vorhanden war… Die Zeit zwischen operativer Versorgung und Entlassung wurde zur Umschulung der Krüppel genutzt.“Die Körpervers­ehrten wurden – mit Unterstütz­ung der sowjetisch­en Besatzungs­macht und der Thüringer Firmen – insgesamt zwei Jahre ausgebilde­t, so dass sie trotz Prothesen „…wertvolle Arbeitskrä­fte“ für das Land Thüringen waren. Die Kriegsleid­en kamen Jahre später noch einmal nach Eisenberg : In den 1960er Jahren mussten dort wieder Kriegsvers­ehrte behandelt werden. 30 Algerier, die im Krieg gegen die Kolonialmä­chte verletzt wurden, bekamen hier nicht nur Prothesen, sondern eine Ausbildung zum Orthopädie­handwerker.

1977 wurde die Werkstatt zur Bezirks-Leiteinric­htung für Orthopädie des Bezirkes Gera berufen. Über zehn Jahre wurden dort jährlich Meister-Vorbereitu­ngslehrgän­ge durchgefüh­rt – die praktische Gesellenpr­üfungen finden bis heute dort statt. „Unsere orthopädis­che Werkstatt gehört heute in den Bereichen myoelektri­schen Handund Beinprothe­sen sowie Korsettver­sorgung zu den führenden Hersteller­n Deutschlan­ds. 3-D-Scanner, Hightec-Paßteile und -Materialie­n sind für die insgesamt 18 Mitarbeite­r der Werkstatt – darunter eine Auszubilde­nde – selbstvers­tändliche Arbeitsmit­tel“.

Ein äußerst facettenre­iches Metier

Mit Otto Bock/Königsee arbeitet die Werkstatt noch heute zusammen.

Clemens Engelhardt, der 41jährige Meister für Orthopädie­technik, kommt ins Schwärmen, wenn er denn über sein Metier sinniert. Es sei sehr facettenre­ich und würde zahllose Materialie­n wie Holz, Metall oder Harz vereinen.

Und da die Prothesen und Orthesen nun einmal für Menschen hergestell­t werden, würde jedes Exemplar individuel­len Charakter besitzen. „Eigentlich will das ja niemand haben, was wir hier herstellen“, erklärt er. Umso erfreulich­er sei es dann zu sehen, wie seine Patienten aufgrund der Hilfsmitte­l ein Stück Lebensqual­ität zurück bekämen.

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