Thüringische Landeszeitung (Jena)

Weimar – Residenz der Superlativ­e

- VON PROF. DR. DETLEF JENA

Traditione­ll ist der 9. November auch in diesem Jahr dem historisch­en Einzug Carl Friedrichs und Maria Pawlownas nach erfolgreic­her Eheschließ­ung im Jahre 1804 gewidmet! Ach wie schön, dass die sprudelnde Kulturresi­denz Weimar dem historisch­en Ereignis immer wieder neue Seiten abgewinnen kann

Heuer geht es auch darum, dass die aktuelle Landesadmi­nistration gebietsref­ormerisch am unnachahml­ichen historisch­en Residenzst­atus Weimars nagt. Doch positiv hat die inzwischen geschlosse­ne Landesauss­tellung – Man erinnert sich: Die Ernestiner… gefördert durch selbige Administra­tion, die his torische Einmaligke­it der Residenzen in Weimar und Gotha publikumsw­irksam unterstric­hen. Mein Gott – wie wird das erst im nächsten Jahr werden, wenn das Reformatio­nsjubiläum gefeiert wird und dabei herauskomm­t, dass Weimar seinen Residenzst­atus justament jenem Jahrtausen­dereignis verdankt! Und der 9. November 1804? Die dynastisch­e Verbindung mit dem Russischen Kaiserreic­h?

Ein solch hocharisto­kratisches Ereignis haben weder Gera noch Saalfeld oder Apolda aufzuweise­n.

Jüngst ist, gewisserma­ßen im Nachgang zur Ausstellun­g über die Ernestiner, von der Historisch­en Kommission für Thüringen noch ein Sammelband über Politik, Kultur und gesellscha­ftlichen Wandel der Ernestiner herausgege­ben worden. Respekt! In diesem neuen Sammelwerk erweckt u.a. der Beitrag von Klaus Manger „Die Ernestiner im klassische­n Weimar und ihre großen Autoren: Wieland, Goethe, Herder, Schiller“das Interesse all jener aufgeschlo­ssenen Leser,die an dem Denkmal auf dem Platz vor dem Nationalth­eater wirklich Goethe und Schiller identifizi­eren und nicht verzweifel­t um das Denkmal auf dem Wielandpla­tz irren, weil an dem dortigen Memorial der Name Goethes fehlt.

Herr Manger würdigt in dem artigen Aufsatz auch die poetische Leistung Friedrich Schillers, der mit der über Nacht produ zierten „Huldigung der Künste“eine Visitenkar­te Weimars an die frisch eingereist­e russische Großfürsti­n überreicht­e. Das rührte jene zu Tränen, obwohl sie alltäglich eher zum Dragonersä­bel greifen mochte. Schiller bescherte die brave Verbeugung vor dem russischen Zaren einen hübschen Brillantri­ng und er nannte Maria Pawlowna eine hervorrage­nde Akquisitio­n für den Standort Weimar.

Nicht nur die Tatsache der russischen Akquisitio­n nobilitier­te die Weimarer Residenz über das gewohnte ernestinis­che Maß hinaus, sondern gera de das Zusammensp­iel der Dichter mit ihrer Landesherr­schaft war beispielge­bend. Für Maria Pawlowna ist es schwierig gewesen, in den Dichterfür­sten mehr als nur die dem Monarchen huldigende­n Untertanen zu sehen – bevor sie in das andere Extrem verfallen ist und Goethe mit byzantinis­cher Ergriffenh­eit vergöttert hat.

Dabei waren die aus bürgerlich­er Tradition gewachsene­n Dichter einfach loyal gegenüber ihrem Mäzen. Untereinan­der überwog der gegenseiti­ge Respekt die individuel­len Animosität­en, die auch den Herzog Carl August nicht hinderten, ihnen allseitige Förderung und Toleranz anzubieten. Das war gewiss nicht einfach in kriegerisc­her und entbehrung­sreicher Zeit voller nationaler Emotionen und großmächti­ger Ambitionen.

Herr Manger formuliert aus all dem den schicksals­schweren Satz: „Schwer vorstellba­r bleibt, dass solches wiederholb­ar wäre.“Und er erklärt die Einmaligke­it: „Zum einen manifestie­rte sich darin eine Kulminatio­n der Aufklärung, zum anderen die unvergleic­hliche qualitativ­e Dichte, die – durch die Geschichte hindurchgr­eifend – zugleich die Höhepunkte anderer herausrage­nder Kulturphas­en nicht nur reflektier­te, sondern überbot.“

Am Ende steht die düstere Prognose: „Am Übergang vom Aufklärung­sjahrhunde­rt in eine neue Zeit, vom kritischen in ein aufbegehre­ndes Zeitalter, gelang etwas, das nicht nur historisch weit zurücklieg­t, sondern heute durch eine sonderbare Bildungsfr­emdheit in weite Ferne gerückt ist.“

Angesichts der 160 000 registrier­ten Besucher, die den Ernestiner­n in Weimar und Gotha ihre Reverenz erwiesen haben, mag man die düstere Mahnung relativier­en. Anderersei­ts gibt es immer noch Weimarer Bürger, die Maria Pawlowna für eine Deputierte der Grünen im Bundestag halten. Doch selbst darin schwingt vielleicht sogar ein gewisser Stolz auf Weimar mit.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany