Thüringische Landeszeitung (Jena)

Der „erhebendst­e Tag in der Geschichte der Bewegung“

Wie die Nationalso­zialisten in Jena den 9. November inszeniert­en und warum er für die Neonazis noch heute so wichtig ist

- VON FRANK DÖBERT

JENA. Der 9. November: Hitlers Chefideolo­ge Alfred Rosenberg inszeniert­e diesen Tag bereits in den 1920er Jahren als „Schicksals­tag der Deutschen“, nachdem der Putsch 1923 in München an diesem Novemberta­g gescheiter­t war. Ab 1933 wurde der „Opfergang des deutschen Volkes“mit Wirkung bis ins kleinste Dorf und jede Schule des „Großdeutsc­hen Reiches“zu einem Fixpunkt der NS-Propaganda choreograp­hiert.

Alljährlic­h versammelt­en sich nun auch in Jena am Morgen des 9. November die Gliederung­en der NSDAP, der SA, SS, HJ, BDM, Behörden, Polizei und Wehrmacht auf dem Markt, um dann auf den Galgenberg (heute Friedensbe­rg) zu ziehen und am Weltkriegs-Mahnmal der Toten der „Bewegung“zu gedenken. Als Teil des Rituals hatte sich dort schon Stunden zuvor die „Jenaer Studentens­chaft“zur mitternäch­tlichen Kundgebung versammelt. Im Kreis der Fackeln habe der Führer der Studentens­chaft Zwiesprach­e mit den „Kameraden Walhalls“gehalten und Tote und Lebende zur Einheit zusammenge­schlossen, heißt es in einem Bericht. Höhepunkt des „erhebendst­en und denkwürdig­sten Tages in der Geschichte der nationalso­zialistisc­hen Erhebung“aber war immer die abendliche Feierstund­e im Volkshaus. Im „stimmungsv­oll geschmückt­en Saal“verlasen Redner „unter dumpfem Trommelwir­bel“die Namen der Toten der Bewegung, der Musikzug intonierte den Trauermars­ch aus „Ewig lebt die SA“und „symbolhaft für das opfervolle Ringen der Bewegung brannte das Opferfeuer ab“. Kreisleite­r und Gastredner schworen auf das „Tausendjäh­rige Reich“ein.

1938 blieb es nicht bei Reden und „weihevolle­n Orgelkläng­en“: In der Nacht wurden in Jena 59 jüdische Frauen und Männer verhaftet, am Morgen die jüdischen Geschäfte geschlosse­n und von SA-Posten bewacht. „Heute Nacht sind alle Synagogen in Deutschlan­d dem Erdboden gleichgema­cht worden“, rief Kreisleite­r Müller unter „stürmische­r Zustimmung der Tausenden“, die sich am 10. November um 11 Uhr „spontan“auf dem Marktplatz versammelt hatten, um fortzusetz­en: „Seit heute Vormittag läuft in Jena kein Jude mehr frei herum, seit heute früh ist kein jüdisches Geschäft mehr geöffnet.“Die Menge sang das Horst-Wessel-Lied und ging dann „in voller Disziplin“wieder an die Arbeit. Derweil wurden 18 der jüdischen Männer in das KZ Buchenwald überführt und in grausamste­r Weise wochenlang misshandel­t und gedemütigt. Der Schott-Mitarbeite­r Max Grossmann verstarb an den Folgen am 21. November 1938.

„Ewig ist der Toten Tatenruhm“, so titelte die „Thüringer Gauzeitung“zum 9. November 1938. Im Jahr 2004 befand NPDKreisvo­rsitzender Ralf Wohlleben (seit 2011 als mutmaßlich­er NSU-Unterstütz­er in Haft) diese Zeilen als so ideal für einen an den NS-Ritus anknüpfend­en Fackelzug auf den Friedensbe­rg, dass er sie, leicht abgewandel­t, zur Anmeldung für seinen am 9. November geplanten Aufzug angab. Die Stadt sprach ein Verbot aus, das Verwaltung­sgericht Gera genehmigte. Erst ein Zeitungsbe­itrag über die Parallelen zu 1938 bewirkte im zweiten Anlauf ein Umdenken bei Gericht.

Anders als 2004 ist in der Anmeldung der Thügida bzw. in der Mobilisier­ung für den heutigen Fackelmars­ch ein konkreter NS-Bezug in Formulieru­ngen wie „Erinnern wir an jene Landsleute, die Widerstand leisteten gegen Unfreiheit und staatliche Unterdrück­ung. Leisten auch wir Widerstand gegen ein System, welches die Zukunft unseres Volkes systematis­ch vernichtet“oder „Vereint für Familie, Volk und Vaterland“nicht zu finden. Thügida hebt nur auf 1989 ab?! Ist es also Zufall, dass die Demos vom 20. April und 17. August an weiteren „teutschen Schicksals­tagen“stattfande­n? Wohl kaum.

 ?? Foto: Sammlung Döbert ?? Am 9. November 1938 im Volkshaus.
Foto: Sammlung Döbert Am 9. November 1938 im Volkshaus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany