Thüringische Landeszeitung (Jena)
Polizeihubschrauber kreisen, Bengalofackeln brennen
ThügidaAnhänger dürfen nicht mit Fahnen durch die Stadt ziehen – Grüner Landtagsabgeordneter erstattet Anzeige
JENA. In der Nollendorfer Straße in Jena knallt es plötzlich: Mehr als 200 Antifa-Anhänger versuchen, eine Polizeiabsperrung zu durchbrechen. Sie wollen an der Ecke zum Spitzweidenweg in Jena durchdringen – es ist die Stelle, wo um kurz nach 18 Uhr die ersten Thügida-Anhänger eintreffen.
Während die Polizei noch gegen die Antifaschisten vorgeht, haben mehrere Personen ein Gebäude an der Straßenecke bestiegen und Bengalofackeln entzündet. Sie entschwinden unerkannt, weil die Polizei nicht rechtzeitig zugreifen kann.
Unterdessen sind die Polizeibeamten damit beschäftigt, Gegendemonstranten zurückzudrängen, die auf den Kundgebungsplatz wollen, auf dem sich zwischenzeitlich insgesamt knapp 80 Anhänger des rechtsextremen Thügida-Bündnisses versammelt haben – weit weniger als bei den vorangegangenen Demonstrationen.
Thügida-Vormann David Köckert hetzt danach offen gegen alle, die sich mit der Demonstration zu befassen haben. „Lügenpresse“und „Schweinepresse“sind noch die freundlichsten Formulierungen, die er für Journalisten findet, die ihn im Vorfeld interviewen wollten. Den Leiter der Versammlungsbehörde in Jena wolle er ins Gefängnis stecken, wenn er etwas zu sagen habe. Dass Donald Trump in Amerika Präsident geworden sei, zeige ihm, so Köckert, dass auch er vielleicht einmal etwas zu sagen haben könne. Dann werde sich der Wind drehen, brüllt er mit überschlagender Stimme ins Mikrofon.
Nachdem die beiden Polizeihubschrauber – einer der Bundespolizei und einer der Thüringer Polizei – gelandet sind, geht einer nach der Bengalo-Aktion wieder in die Luft. Im Internet beschweren sich Menschen über die Twitter-Account der Polizei Thüringen darüber, dass Patienten des Krankenhauses keine Ruhe fänden. Eine Landung sei nicht absehbar, antwortet die Polizei. Sie spricht zwischenzeitlich von etwa 80 Teilnehmern der Thügida-Demo und 1500 Gegendemonstranten im gesamten Stadtgebiet. Fünf Festnahmen hat es nach dem versuchten Durchbruch in der Nollendorfer Straße gegeben. Mindestens drei Polizisten sind nach Angaben der Behörden verletzt worden. Die Einsatzkräfte sprachen von massiver Gewalt gegen die Beamten.
Nach den gerichtlichen Auseinandersetzungen im Vorfeld der Demonstration wird vor allem darauf geschaut, ob sich die Thügida-Demo tatsächlich am 9. November 1989 ausrichtet und nicht am Tag der Reichspogromnacht 1938. Rainer Wernicke, Landessprecher der Thüringer Grünen, sieht eindeutige Beweise dafür, dass Thügida sich nicht am Tag des Mauerfalls orientiert. Was schwarz-weiß-rote Fahnen mit dem Mauerfall zu tun hätten, das könne ihm niemand beantworten. Es seien, sagt Wernicke der TLZ, eindeutig Reichskriegsflaggen. Der Grüne-Landtagsabgeordnete erstattet deshalb Anzeige und besteht darauf, dass die Fahnen eingeholt werden. Das gelingt auch. David Köckert muss seine Anhänger vor dem Beginn des Marsches – auch Fackeln werden wieder mitgeführt – auffordern, die Fahnen einzuholen.
An der Nollendorfer Straße stehen immer noch etwa 300 Gegendemonstranten, als sich der Thügida-Zug gegen 19 Uhr in Bewegung setzt. Sie buhen und rufen „Hau ab“. Jena steht noch ein langer Abend bevor an einem Tag, der zumindest an einem Ort dem Gedenken der 1938 ermordeten jüdischen Bürger gewidmet ist: Am Westbahnhof hatte der Arbeitskreis Judentum genau dazu eingeladen. In aller Stille.