Thüringische Landeszeitung (Jena)

Lebensküns­tler der zeitgenöss­ischen Bohème

„The Gasping Society“: Das Angermuseu­m Erfurt zeigt Werke von Ulrike Theusner

- VON WOLFGANG HIRSCH

ERFURT. „Das Bild ist gestern erst fertig geworden“, deutet Ulrike Theusner auf das „Alexanderp­latz“betitelte Großformat. Sie lacht. „Eigentlich sind meine Bilder ja nie fertig.“Die 34 Jahre junge Künstlerin, globale Szenebumml­erin mit Atelier in Weimar, zeigt im Grafikkabi­nett des Erfurter Angermuseu­ms die Ausstellun­g „The Gasping Society“eine Auswahl aktueller Werke – vornehmlic­h aus dem gleichnami­gen Werkzyklus, aber ebenso Radierunge­n aus „The Rake‘s Progress“und „The tragic Life of desperate Art Bitches“. Auf den ersten Blick wirken die Bilder ungeheuer farbreich, lebensfroh und vital auf den Betrachter. Das Gros der Motive stellt junge Leute Anfang zwanzig dar, die sich in durchaus exzentrisc­her Selbststil­isierung inszeniere­n, denen gemein ist, anders – möglichst besonders – sein zu wollen und deren grell-individuel­le Äußerlichk­eiten reizvoll und anziehend, zugleich aber maskenhaft verschloss­en erscheinen. Das sind lauter bunte Vögel, Lebensküns­tler, maximal vernetzte und dennoch im Innersten einsame Techno-Eremiten aus einer neuen Bohème, wie man sie auf Partys in der einschlägi­gen Szene weltweit, zumal im Berliner Kiez, antreffen mag.

Dort, in der Tat, treibt Theusner sich um. Sie arbeitet zwar zuweilen auch mit dem Skizzenblo­ck, flinker jedoch hat sie ihre ständige Begleiteri­n, eine Pocketkame­ra, zur Hand, um Motive einzufange­n. So stellen all ihre Porträts real existieren­de Figuren dar: Schaufenst­erpuppen, Fremde, auch mal einen Schäferhun­d, oder gute Bekannte: „Der Sam hat sich sehr gefreut, dass er jetzt an der Wand hängt“, berichtet die Künstlerin.

Auf den zweiten Blick indes erkennt man eine Leere und Abwesenhei­t in vielen Gesichtern, eine seltsame Verhärmthe­it, ja Verschloss­enheit. Das Lebensgefü­hl dieser vermeintli­chen Romantiker in unserer unberechen­baren, komplexen globalen Welt ist von kaum verhohlene­m Fatalismus geprägt; es sind lauter Leute, wie Theusner sagt, die sich in einem Schwebezus­tand befinden, die sich nicht festlegen können und wollen und auf nichts – schon gar nicht auf die Zukunft – vertrauen. „Viele Bilder reflektier­en Berliner Erfahrunge­n – eine Welt die aus den Fugen ist“, erläutert Museumsdir­ektor Kai Uwe Schierz. Daher rührt auch der Titel der Erfurter Schau, weil sich ihr Personal halt zu einer „Gasping Society“(zu Deutsch etwa: schnappatm­ende Gesellscha­ft) formiert.

Theusner gibt ihre Porträts am liebsten in Mischtechn­iken, sie arbeitet mit Acrylfarbe­n, Pastellkre­iden, Tusche und natürlich dem Zeichensti­ft. Etwas Sketcharti­ges, Alfrescoha­ftes ist allen Werken gemein; gerade das verleiht ihnen ihre stupende Vitalität. Dieser Eindruck hat nicht zuletzt mit der Arbeitswei­se der Künstlerin zu tun: „Ich mag es, auf Papier zu arbeiten, weil es einen zwingt, schnell zu sein“, sagt sie. Diese spontanen Entwürfe arbeitet sie dann jedoch in oft wochen-, ja monatelang­en Prozessen aus; das verleiht ihnen ihre hintergrün­dige Reflektier­theit, die zudem eine gewisse Typenhafti­gkeit generiert.

„Der Alex“, wie Theusner ihn nennt, könnte etwa als moderner Dandy mit antiquiert­er Attitüde durchgehen: wie er da statuarisc­h, vor Weltekel distinguie­rt grimassier­end und gewandet in noblen, kobaltblau­en Zwirn sich mit gespreizte­n Fingern auf ein klassizist­isches Möbel stützt. Das erinnert motivisch und ebenso in der Malweise an Munchs berühmtes Porträt Harry Graf Kesslers; rote, gelbe und grüne Farbschlie­ren bilden die enervierte­n Gesichtszü­ge des Lebemannes.

Damit gesteht Ulrike Theusner freimütig ihre Affinität zu expression­istischen Altvordere­n ein, wie sie sich etwa an der Großherzog­lichen Kunstschul­e Weimar haben ausbilden lassen. Sie selbst hat an deren Nachfolgee­inrichtung, der BauhausUni­versität, studiert, ist aber nicht als irgendjema­ndes Apologetin zugange, sondern hat ihren durchaus sehr eigenen Stil entwickelt und ist als zeitgenöss­ische Künstlerin gut unterwegs – „eine der besten, die wir im Augenblick in Thüringen haben“, wie Professor Schierz sie preist.

 ??  ?? Ulrike Theusner posiert im Angermuseu­m Erfurt vor ihrem jüngst vollendete­n Bild „Alexanderp­latz“. In seinem expressive­n Farbreicht­um und der Schemenhaf­tigkeit der Figuren erinnert es nicht zufällig an ähnliche Motive von Grosz, Dix oder Beckmann. Foto:...
Ulrike Theusner posiert im Angermuseu­m Erfurt vor ihrem jüngst vollendete­n Bild „Alexanderp­latz“. In seinem expressive­n Farbreicht­um und der Schemenhaf­tigkeit der Figuren erinnert es nicht zufällig an ähnliche Motive von Grosz, Dix oder Beckmann. Foto:...
 ??  ?? Zwei Vertreter aus der „Gasping Society“: „Junior“(links) und „Portrait of a Girl“Ulrike Theusner
Zwei Vertreter aus der „Gasping Society“: „Junior“(links) und „Portrait of a Girl“Ulrike Theusner
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