Thüringische Landeszeitung (Jena)
Lebenskünstler der zeitgenössischen Bohème
„The Gasping Society“: Das Angermuseum Erfurt zeigt Werke von Ulrike Theusner
ERFURT. „Das Bild ist gestern erst fertig geworden“, deutet Ulrike Theusner auf das „Alexanderplatz“betitelte Großformat. Sie lacht. „Eigentlich sind meine Bilder ja nie fertig.“Die 34 Jahre junge Künstlerin, globale Szenebummlerin mit Atelier in Weimar, zeigt im Grafikkabinett des Erfurter Angermuseums die Ausstellung „The Gasping Society“eine Auswahl aktueller Werke – vornehmlich aus dem gleichnamigen Werkzyklus, aber ebenso Radierungen aus „The Rake‘s Progress“und „The tragic Life of desperate Art Bitches“. Auf den ersten Blick wirken die Bilder ungeheuer farbreich, lebensfroh und vital auf den Betrachter. Das Gros der Motive stellt junge Leute Anfang zwanzig dar, die sich in durchaus exzentrischer Selbststilisierung inszenieren, denen gemein ist, anders – möglichst besonders – sein zu wollen und deren grell-individuelle Äußerlichkeiten reizvoll und anziehend, zugleich aber maskenhaft verschlossen erscheinen. Das sind lauter bunte Vögel, Lebenskünstler, maximal vernetzte und dennoch im Innersten einsame Techno-Eremiten aus einer neuen Bohème, wie man sie auf Partys in der einschlägigen Szene weltweit, zumal im Berliner Kiez, antreffen mag.
Dort, in der Tat, treibt Theusner sich um. Sie arbeitet zwar zuweilen auch mit dem Skizzenblock, flinker jedoch hat sie ihre ständige Begleiterin, eine Pocketkamera, zur Hand, um Motive einzufangen. So stellen all ihre Porträts real existierende Figuren dar: Schaufensterpuppen, Fremde, auch mal einen Schäferhund, oder gute Bekannte: „Der Sam hat sich sehr gefreut, dass er jetzt an der Wand hängt“, berichtet die Künstlerin.
Auf den zweiten Blick indes erkennt man eine Leere und Abwesenheit in vielen Gesichtern, eine seltsame Verhärmtheit, ja Verschlossenheit. Das Lebensgefühl dieser vermeintlichen Romantiker in unserer unberechenbaren, komplexen globalen Welt ist von kaum verhohlenem Fatalismus geprägt; es sind lauter Leute, wie Theusner sagt, die sich in einem Schwebezustand befinden, die sich nicht festlegen können und wollen und auf nichts – schon gar nicht auf die Zukunft – vertrauen. „Viele Bilder reflektieren Berliner Erfahrungen – eine Welt die aus den Fugen ist“, erläutert Museumsdirektor Kai Uwe Schierz. Daher rührt auch der Titel der Erfurter Schau, weil sich ihr Personal halt zu einer „Gasping Society“(zu Deutsch etwa: schnappatmende Gesellschaft) formiert.
Theusner gibt ihre Porträts am liebsten in Mischtechniken, sie arbeitet mit Acrylfarben, Pastellkreiden, Tusche und natürlich dem Zeichenstift. Etwas Sketchartiges, Alfrescohaftes ist allen Werken gemein; gerade das verleiht ihnen ihre stupende Vitalität. Dieser Eindruck hat nicht zuletzt mit der Arbeitsweise der Künstlerin zu tun: „Ich mag es, auf Papier zu arbeiten, weil es einen zwingt, schnell zu sein“, sagt sie. Diese spontanen Entwürfe arbeitet sie dann jedoch in oft wochen-, ja monatelangen Prozessen aus; das verleiht ihnen ihre hintergründige Reflektiertheit, die zudem eine gewisse Typenhaftigkeit generiert.
„Der Alex“, wie Theusner ihn nennt, könnte etwa als moderner Dandy mit antiquierter Attitüde durchgehen: wie er da statuarisch, vor Weltekel distinguiert grimassierend und gewandet in noblen, kobaltblauen Zwirn sich mit gespreizten Fingern auf ein klassizistisches Möbel stützt. Das erinnert motivisch und ebenso in der Malweise an Munchs berühmtes Porträt Harry Graf Kesslers; rote, gelbe und grüne Farbschlieren bilden die enervierten Gesichtszüge des Lebemannes.
Damit gesteht Ulrike Theusner freimütig ihre Affinität zu expressionistischen Altvorderen ein, wie sie sich etwa an der Großherzoglichen Kunstschule Weimar haben ausbilden lassen. Sie selbst hat an deren Nachfolgeeinrichtung, der BauhausUniversität, studiert, ist aber nicht als irgendjemandes Apologetin zugange, sondern hat ihren durchaus sehr eigenen Stil entwickelt und ist als zeitgenössische Künstlerin gut unterwegs – „eine der besten, die wir im Augenblick in Thüringen haben“, wie Professor Schierz sie preist.