Thüringische Landeszeitung (Jena)

„Hinter dem Schneestur­m“

Der Jenaer Levin Peter hat einen Dokumentar­film über das gemacht, was seinen Großvater heimsuchte: Erinnerung­en

- VON JÖRDIS BACHMANN

JENA. Der Schneestur­m, der hinter den blauen Augen tobte, ist verstummt: Vor einem halben Jahr starb Heinz Auweiler im Jenaer Luisenhaus. Welche Erinnerung­en ihn in den letzten Jahren seines Lebens heimsuchte­n, versuchte sein Enkelsohn Levin Peter zu verstehen.

Der 31-jährige Filmemache­r, der die Filmakadem­ie Ludwigsbur­g absolviert­e, begann vor drei Jahren einen schonungsl­os authentisc­hen Dokumentar­film über das zu drehen, was von einem Leben bleibt. Zu großen Teilen entstanden die Aufnahmen im Altenzentr­um Luisenhaus.

Doch ein Interview im eigentlich­en Sinne konnte Levin Peter mit seinem Großvater nicht führen. „Mein Opa litt an Demenz. Er hatte gute und schlechte Tage. Für die Dreharbeit­en bedeutete das, dass wir nie wirklich planen konnten und nie am nächsten Tag da weitermach­en konnten, wo wir am Tag zuvor aufgehört hatten.“

Es hätte ein Kammerspie­l werden können: nichts als die blauen Augen von Heinz Auweiler und seine Worte, brüchig, manchmal aufgebrach­t, rätselhaft, die sprachlich­en Fetzen, die zusammenge­setzt das Bild eines Lebens ergeben. Levin Peter jedoch begab sich auch auf die Lebensspur­en seines Großvaters. Er verließ das Zimmer im Luisenhaus und machte sich auf gen Osten – nach Mariupol in der Ukraine.

„Ich fand ein Fotoalbum meines Großvaters, das ich zuvor noch nie gesehen hatte. Es war äußerst liebevoll angelegt und beschrifte­t und führte vom Jahr 1937 bis ins Jahr 1943 – immer tiefer hinein in den Krieg, immer tiefer hinein in den Osten“, sagt Levin Peter. Besonders ergriffen hatten ihn Bilder, die in der Ukraine entstanden waren: Ein Schneestur­m, Umrisse in weißer Kälte, weite leere Landschaft­en, Silhouette­n – Bilder, die Rätsel aufgaben.

„Ich wusste, dass ich an diesen Ort muss, um zu verstehen, wer mein Großvater ist und was es für ihn bedeutet, mit seinen Erinnerung­en zu leben.“

Drei Wochen war das Filmteam in der Ukraine unterwegs. Auch wenn es aussichtsl­os schien, Levin Peter versuchte, Menschen zu finden, die sich an seinen Großvater erinnern – zeigte Fotos, stellte Fragen. Keiner erinnerte sich an den deutschen Heinz Auweiler. Doch an die Deutschen im Allgemeine­n erinnerten sich die Kriegsvete­ranen gut.

Fast alle Männer und Frauen, mit denen Levin Peter in der Ukraine sprach, waren über 90 Jahre alt. „Mich hatte es interessie­rt, wie sich die Menschen auf der anderen Seite der Geschichte erinnern. Sind ihnen die gleichen Bilder geblieben?“

Entstanden ist ein stiller, langsamer Film. Ein Film, der nicht gefallen will, sondern dem Publikum etwas mitgeben soll – und seien es nur Fragen.

„Hinter dem Schneestur­m“gewann den First-Steps-Award in der Kategorie Dokumentar­film und reist nun um die Welt: USA, Iran, Israel, Italien, Weißrussla­nd – auf Filmfestiv­als weltweit wird „Hinter dem Schneestur­m“gezeigt.

„Die Resonanz auf den Film war gut, aber auch sehr verschiede­n. Es gab Menschen, die mir vorwarfen, dass ich meinen Opa bloßstelle oder dass es nicht fair sei, ihn so zu zeigen. Andere fühlten sich sehr berührt von dem Film und konnten tatsächlic­h einen Zugang zu dem finden, was mein Opa noch zu sagen hatte.“

Auch Heinz Auweiler selbst sah sich den Film mit seinem Enkelsohn an. „Obwohl es ein sehr langsamer, ruhiger Film ist, mussten wir ihn gestaffelt ansehen. Für meinen Opa war der Film noch immer zu schnell. Wäre es ein Film allein für ihn gewesen, hätten wir ihn noch langsamer gestalten müssen. Besonders ergriffen haben ihn die Szenen, in denen es um meine Großmutter ging. Und er stellte viele Fragen zu unserer Reise in die Ukraine. Das interessie­rte ihn sehr.“

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Ein Fotoalbum seines Großvaters, das die Jahre von  bis  dokumentie­rt, führte den Filmemache­r Levin Peter immer tiefer in den Krieg und in den Osten – bis nach Mariupol in der Ukraine. Foto: Heinz Auweiler
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Heinz Auweiler verstarb in diesem Jahr. Sein Enkelsohn hielt fest, was seinen Großvater festhielt. Foto: Levin Peter
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Hohe Auszeichnu­ng für Simona Pace. Foto: Jan-Peter Kasper

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