Thüringische Landeszeitung (Jena)
Der menschliche Faktor
Spannendes Match um die Schachkrone
Carlsen gegen Karjakin. In New York erleben wir ab morgen eine SchachWeltmeisterschaft, die in einer neuen Kategorie firmiert. Keine politische Dimension mehr wie einst beim berühmtesten aller Zweikämpfe zwischen Fischer und Spasski. Oder den epischen Schlachten zwischen Karpow und Kortschnoi oder Kasparow. Mal war es Kalter Krieg, mal Dissident gegen Sowjetmacht, mal Perestroika gegen Linientreue. Jetzt ist es ein Duell der Wunderkinder.
Schachkönige und ihre Kronprinzen sind sensible Geister. Fischer wollte keine klickenden Kameras, Kortschnoi witterte an der Farbe des Joghurts, den man Karpow servierte, eine geheime Botschaft. Und Kasparow feuerte seinen Sekundanten, weil er in ihm einen Verräter sah.
Carlsen Ängste sind moderner Natur. Er fürchtet Hacker angriffe und zieht um seine Laptops vorsorglich virtuelle Brandmauern hoch. Analysen sind kostbar.
Dabei wirkt es ja immer so, als sei gerade er darauf gar nicht angewiesen. Anders als Kasparow, unerreichter Meister der Vorbereitung mit ausanalysierten Varianten, strebt Carlsen anspruchslose Stellungen an, die er einfach immer weiter spielt. Vorteile aus dem Nichts zu holen, das kann niemand so gut wie der junge Norweger. Zurückhaltung kann mehr demoralisieren als stürmischer Angriff, sagte der englische WMKandidat Jon Speelman einmal.
Das scheinbar keine Geheimnisse mehr kennende königliche Spiel in der Ära der Rechner auf die menschliche Ebene zurückzuholen und ihm etwas wiederzugeben von seiner Unergründlichkeit, ist unzweifelhaft Carlsens größte Meisterschaft. Sie stempelt ihn auch in seinem dritten WMMatch zum klaren Favoriten.