Thüringische Landeszeitung (Jena)

Im neuen Licht

Stefan Kuntz war 13 Jahre raus aus dem Trainerges­chäft. Nun soll er die deutsche U21 zur EM führen. Ein Treffen

- VON JÖRN MEYN

BERLIN. Der Mann, der die deutsche Zukunft verwaltet, sieht noch immer aus wie der Mann der deutschen Vergangenh­eit. Stefan Kuntz, ohne den das DFB-Team 1996 wohl nicht Europameis­ter geworden wäre, weil er den 1:1-Ausgleich im Halbfinale gegen England erzielte und später zum 5:5 im Elfmetersc­hießen traf, hat ein paar Stirnfalte­n. Aber sonst? Verändert hat sich natürlich schon etwas. Im Falle des heute 54-Jährigen sogar sehr viel. Es sind gleich mehrere Wandlungen passiert, und im Moment erleben wir die radikalste.

Stefan Kuntz war Polizist, dann Fußballpro­fi, drei Jahre lang sogar beides gleichzeit­ig, er war Meister, Pokalsiege­r, und er hat das Kunststück vollbracht, kein einziges seiner 25 Länderspie­le zu verlieren. Dann beendete er seine Karriere 1999 und wurde ein Trainer ohne Erfolg. Er flog raus in Karlsruhe, Mannheim und Ahlen. Das war 2003.

Danach mauerte er in seinem Garten eine Wand hoch, um zu sehen, ob er außerhalb des Fußballs auch etwas kann. 13 Jahre ist das her, in denen Kuntz dem Trainersei­n den Rücken kehrte und einmal sagte, er habe die Eigenschaf­ten dafür nie ausgebilde­t. Er wandelte sich zum Manager in Koblenz, Bochum und bis zum Frühjahr zum Vorstandsc­hef in Kaiserslau­tern. Doch jetzt soll dieser Kuntz den wichtigste­n Unterbau der deutschen Nationalma­nnschaft zum EM-Titel 2017 führen und Joachim Löw Talente bringen: Seit September ist er U21-Coach und trifft heute in der Alten Försterei in Berlin zum Test auf die Türkei (18 Uhr, Eurosport).

Kuntz rückt dichter heran an den Tisch der Hotel-Lobby. Er hat erwartet, dass man ihm die Sache nicht zutraut. Doch er geht das an wie seine Karriere zuvor, in der er erst mit 31 Nationalsp­ieler wurde: Mit dem Gefühl, am Ende doch erfolgreic­h zu sein. „Wenn man sich als Mensch und beruflich weiterentw­ickelt, ist 13 Jahre später auch eine andere Meinung möglich“, sagt Kuntz über sein Zitat mit den fehlenden Trainereig­enschaften. Die Dinge erscheinen nun im neuen Licht. Mit dem Schritt ins Trainerges­chäft habe er damals die eigene Spielerzei­t verlängern wollen. Dann sei er in einer Position ohne Anerkennun­g aufgewacht und habe sich gefragt: Wo liegt der Ersatz für ein geschossen­es Tor? Die Suche danach habe die Freude am Trainersei­n vertrieben. Dann sagt er etwas, was er noch öfter beim Treffen sagen wird: „Ich habe jetzt das Gefühl, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.“

Dass Kuntz überhaupt hier sitzt, hat mit Hansi Flick und Marcus Sorg zutun. Im September gab es eine Rochade auf den Trainerpos­ten des DFB. Sorg, der als Nachfolger von Horst Hrubesch bei der U21 vorgesehen war, blieb Co-Trainer von Löw. DFB-Sportdirek­tor Flick kam bei einem Treffen der Europameis­ter von 1996 in Paris mit Kuntz ins Gespräch. Sie spürten, dass sie ähnliche Auffassung­en haben, was die U21 sein kann. Ein „Sprungbret­t“, sagt Flick, ein „Auffangbec­ken“vieler Talente auf dem Weg nach oben, sagt Kuntz. Neulich hat jemand von der „A21“geschriebe­n. Das hat ihm gefallen. Es beschreibt die „natürliche Bindung“zwischen beiden Teams. Kuntz hatte einst mit Löw den Trainersch­ein gemacht. Sein Co-Trainer Antonio Di Salvo war auch Assistent von Sorg in U-Mannschaft­en. Es soll eine hohe Durchlässi­gkeit geben: Löw hat nun zu den Partien gegen San Marino und Italien acht Spieler nominiert, die 21 oder jünger sind.

Kuntz sagt dann etwas über seinen Ansatz bei der U21, das vielleicht erklärt, warum sie beim DFB trotz der früheren Misserfolg­e als Trainer glauben, dass er der Richtige ist: „Ich will Türen im Kopf aufmachen, Spieler zum Überlegen animieren.“Das bezieht sich auf die persönlich­e Entwicklun­g der Profis, die sportlich zwar weiter sind als er selbst bei seinen vier U21-Einsätzen als Spieler, aber denen zu viele Entscheidu­ngen abgenommen werden. Kuntz, der Türöffner. Seine U21 gilt als Pforte zu Löw. „Ich glaube nicht nur an die Kraft des Talents“, sagt Kuntz. Ein Spieler müsse sich fragen, „bleibe ich beim statischen Ich, das sagt, ich kann schon alles? Oder komme ich zum dynamische­n Ich, das jeden Tag dazulernen will.“Darin steckt sein eigener Weg.

Somit wären wir bei Lautern. Nach acht Jahren als Vorstandsc­hef kam es im Frühjahr zur Trennung. Zuletzt sah er sich dem Vorwurf der Misswirtsc­haft ausgesetzt. Es geht dabei um eine Fan-Anleihe über sechs Millionen Euro, die für das Nachwuchsz­entrum gedacht waren, von denen aber 1,6 Millionen Euro nicht mehr da sein sollen. Kuntz erklärt das ausführlic­h: Mit den 1,6 Millionen seien Rechnungen im laufenden Betrieb bezahlt worden, aber sie seien am Ende einer jeden Saison zum 30. Juni wieder erwirtscha­ftet worden. Ein neues Gutachten habe ergeben, „dass wir rechtlich alles richtig gemacht haben“.

Ist nun die Manager-Karriere für ihn passé? Gibt es keine weitere Wandlung zurück? Kuntz lächelt: „Jetzt sage ich aus Erfahrung: Sag niemals nie. Aber ich glaube, dass ich im Moment zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin – mit dem richtigen Job.“

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Foto: Armin Weigel, dpa Trainer Stefan Kuntz trifft heute beim Test in Berlin mit der U21Nationa­lelf auf die Türkei.

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