Thüringische Landeszeitung (Jena)
Katalysator für Wut, Ohnmacht und Identitätsängste
Manfred Grund zu den Lehren aus der USWahl: Politik darf nicht an Sorgen und Ängsten der Menschen vorbeiregieren
In jeder Demokratie ist das Volk der Souverän, und das amerikanische Volk hat souverän entschieden. Das Ergebnis mag viele überraschen. Ich habe die Entscheidung für Trump erwartet, wie ich auch den Brexit als Ergebnis des Referendums in Großbritannien erwartet hatte.
Wie beim Brexit brauchte man nur die Realitäten in den USA in den richtigen Kontext zu stellen: Den Arbeitsplatz verlust inder Stahl und Automobil industrie, die damit verbundenen Globalisierungsängste, die Verachtung für das politische Personal in Washington, die Ablehnung der ClintonDynastie, die Bevormundung durch viele Formen von „political correctness“, die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich, in„ die da oben und wir da unten“. Donald Trump war nur noch der Katalysator, der die Wut, die Ohnmacht, den verletzten Stolz und die Abstiegs und Identitätsängste großer Teile des amerikanischen Volkes nutzte, um an die Regierungsspitze zu gelangen.
Nun wird er amerikanischer Präsident. Wir müssen das nicht gut finden, wir müssen ihn aber auch nicht dämonisieren. Auch nicht beschimpfen, wie es in den letzten Tagen und Wochen durch Politik und Medien geschehen ist.
Können wir aus der Wahl Trumps etwas lernen? Ja, könnten wir, wenn Politik, Medien und Gesellschaft denn noch lernfähig sind. Erstens gilt es zu begreifen, dass die Politik sich an der Welt und den Fakten zu orientieren hat und nicht umgekehrt. Wenn im ThüringenMonitor eine Mehrheit der Bürger wegen der Flüchtlingskrise Sorge um die gesellschaftliche Stabilität hat, steigende Kriminalität befürchtet, die Kosten für die Flüchtlinge für zu hoch hält und sich wegen des wachsenden Einflusses durch den politischen Islam sorgt, muss Politik darauf eingehen und nicht an den Sorgen und Ängsten der Menschen vorbeiregieren und auch nicht daran vorbeikommentieren. Denn die Aufgeregtheiten und Überraschungen über den Wahlerfolg von Donald Trump sind auch deshalb so groß, weil sich Politik und veröffentlichte Meinung in einem selbstreferenziellen Meinungssystem bewegen. Da bleibt dann alles, was nicht ins eigene und korrekte Weltbild passt, außen vor. Es geht um die Welt wie sie ist und nicht um die Welt als Wille und Vorstellung!
Wir wären damit auch wieder näher bei den Menschen, die sich in Politik und Medien nicht mehr wiederfinden: Ihnen nicht nach dem Maul reden, aber auf den Mund schauen.
Des Weiteren frage ich mich, was die völlig undemokratische Abqualifizierung der Trump Wähler als „weiße Männer mit unterdurchschnittlicher Bildung“soll. Eine Formulierung, die im Fernsehen mehrfach als Erklärung herhalten musste.
Wähler, die anders entscheiden, als der „Mainstream“von ihnen erwartet, müssen nicht ungebildet oder unmündig sein. Sie haben vielleicht einfach genug von einer gefühlten Umerziehung, einer Infantilisierung und Dämonisierung in der Berichterstattung. Und sie wehren sich mittels Stimmzettel. Wir sollten sie ernst nehmen, auch vor Wahlterminen.
Ich will noch auf einen wesentlichen Unterschied zwischen der politischen Ordnung in den USA und bei uns in der Bundesrepublik hinweisen: Die amerikanische Verfassungswirklichkeit und deren reale Demokratieausformung ließen den Wählern nur noch die Entscheidung zwischen Trump und Clinton, für manche wie zwischen Pest und Cholera.
In den USA schafft es ein politischer Freibeuter wie Trump, die Partei der ehemals stolzen und verdienstvollen Republikaner zu kapern. Eine Hillary Clinton mit ihren Skandalen, finanziellen Verstrickungen und Exaltierthei ten schafft es bei den Demokraten auf den Wahlzettel.
Beide wären in unserem Parteiensystem entweder in den Parteigremien hängen geblieben oder wären von der Parteibasis aussortiert worden. Und wenn es solche Typen doch bis an die Spitze schaffen würden, gibt unser Wahlsystem keine absoluten Mehrheiten her – the winner takes not all! Unser Wahlsystem begünstigt Koalitionen, zwingt zu Kompromissen, hat bisher tiefe gesellschaftliche Spaltungen verhindert. Es entstehen keine klaren, keine einseitigen Mehrheiten.
Unser politisches System muss sich immer wieder neu um die gesellschaftliche Mitte zentrieren. Das ist nicht immer aufregend, garantiert aber stabile Regierungen. Es gilt also, der zunehmenden Polarisierung auch in unserer Gesellschaft politisch zu begegnen – dies ist die Herausforderung an die Volksparteien in Deutschland. Der Thüringer Bundestagsabgeordnete Manfred Grund ist Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
„Wähler, die anders entscheiden, als der ‚Mainstream‘ von ihnen erwartet, müssen nicht ungebildet oder unmündig sein.“Manfred Grund, CDUMdB