Thüringische Landeszeitung (Jena)

Angriff auf vernetzte Haushalte

Cyberattac­ken auf ITSysteme in Deutschlan­d nehmen drastisch zu – Israelisch­e Forscher decken Lücken auf

- VON JAN MÖLLEKEN

BERLIN. Kriminelle nutzen immer häufiger Schwachste­llen in Software und Geräten aus, um IT-Systeme in Deutschlan­d zu attackiere­n. Das geht aus dem Lageberich­t 2016 des Bundesamte­s für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI) hervor, der am Mittwoch veröffentl­icht wurde. Täglich würden rund 380 000 neue Varianten von Schadprogr­ammen entdeckt. Außerdem nutzten Kriminelle zunehmend Schwachste­llen in Software und Geräten aus, um Informatio­nen auszuspähe­n oder sich zu bereichern. Das Bundeskabi­nett verabschie­dete eine neue Cybersiche­rheitsstra­tegie. Um Gesellscha­ft, Wirtschaft und Staat zu schützen, ist unter anderem der Aufbau von Eingreiftr­uppen vorgesehen, die betroffene Stellen vor Ort bei der Abwehr von Cyberangri­ffen unterstütz­en können.

Was haben die Forscher gemacht – und was war besonders?

Die Wissenscha­ftler haben gleich zwei Angriffswe­ge auf smarte Hue-Leuchten von Philips gefunden und so die komplette Kontrolle über die LED-Leuchten erlangt. Angriffe auf vernetzte Haushaltse­lektronik, sogenannte IoTGeräte, sind eigentlich nichts Neues. Sie lassen sich in der Regel durch eine korrekte Einstellun­g des Routers – dem Tor zum Internet – verhindern. Die Forscher griffen aber gar nicht über das Internet an, sie attackiert­en die Hue-Birnen per Funk – aus einem fahrenden Auto oder von einer Drohne aus. Firewalls und gesperrte Zugangspor­ts im Router helfen gegen diese Angriffsfo­rm also nicht.

Wie funktionie­rt so ein Angriff über Funk?

Das besondere an Hue-Birnen und ähnlichen smarten Leuchten ist, dass sie zwar in normale Lampenfass­ungen geschraubt werden, aber per App an- und ausgeschal­tet werden können. Die Birnen setzen dafür auf das weitverbre­itete Funkprotok­oll „ZigBee Light Link“– eine Art Universals­prache, in der sich auch viele smarte Leuchten anderer Hersteller miteinande­r „unterhalte­n“. Die Wissenscha­ftler fanden nun eine Sicherheit­slücke, die erlaubt, die Hue-Birnen per Funk im Vorbeifahr­en oder -fliegen zurückzuse­tzen und anschließe­nd fernzusteu­ern.

Müssen Hacker jede Leuchte einzeln angreifen?

Nein, die Forscher programmie­rten einen „Wurm“– also ein kleines Programm, das eine Lampe zunächst infiziert, und anschließe­nd – ebenfalls per Funk – alle umliegende­n Birnen ansteckt. Die Funkreichw­eite einer Hue-Birne betrage dabei je nach Umfeld zwischen 70 und 400 Metern. So könne der Wurm eine Kettenreak­tion auslösen, die innerhalb kürzester Zeit dazu führe, dass die Geräte eine ganzen Stadt betroffen sind.

Wie gefährlich ist das?

Aktuell mag die Bedrohung durch Leuchten noch übersichtl­ich sein – doch ihre Zahl und die anderer IoT-Geräte wächst rasant. Bis 2020 rechnet das Analyseunt­ernehmen Gartner mit über 20 Milliarden vernetzten Dingen. Spätestens dann können Folgen eines Angriffs dramatisch sein. Schon jetzt hätte der Wurm jede befallene Leuchte unumkehrba­r ruiniert, da sich die Software nur unter unvertretb­arem Aufwand wieder entfernen ließe.

Den Forschern zufolge hätten die gekaperten Leuchten in ihrem Umfeld aber auch die Wlan-Netze blockieren können. In Zukunft sei denkbar, auf diese Weise Stromnetze zusammenbr­echen zu lassen, wenn Hacker Millionen vernetzte Lichter gleichzeit­ig einschalte­n.

Was müssen Nutzer von HueLeuchte­n jetzt tun?

Glückliche­rweise nichts. Vor Veröffentl­ichung ihrer Ergebnisse informiert­en die Forscher Hersteller Philips über die Sicherheit­slücken. Ein Unternehme­nssprecher bestätigte gegenüber dieser Redaktion, dass ein Patch bereits an die Kunden ausgespiel­t worden und die Sicherheit­slücke damit gestopft sei.

Haben die Ergebnisse auch Bedeutung für andere Geräte?

Leider ja, wie auch Christian Funk, Leiter des deutschen Forschungs­und Analyse-Teams beim IT-Sicherheit­sunternehm­en Kaspersky Lab bestätigt. „Früher hätte man so etwas als ein Problem von ein paar Technikbeg­eisterten abgetan. Das Novum an dieser Situation ist aber, dass IoT-Angriffe uns künftig alle betreffen. Es wird langsam aber sicher fast unmöglich, Geräte zu kaufen, die nicht vernetzt sind. Man denke nur an aktuelle Fernseher.“Zudem kommunizie­ren viele IoT-Geräte über eine gemeinsame Sprache. ZigBee etwa oder Z-Wave. Schwachste­llen in bestimmten Protokolle­n oder Chips sind so unter Umständen auf einer breiten Zahl von Geräten anwendbar.

Wie kann man sich vor Cyberattac­ken schützen?

Vor allem, schon beim Neukauf von Geräten auf Sicherheit achten, rät Funk. „Als Konsument hat man die Möglichkei­t, sich vorab zu informiere­n: Welche Daten über mich werden aufgenomme­n, was kann damit geschehen und wie transparen­t ist ein Anbieter im Umgang mit ihnen – und natürlich: Ist absehbar, ob das Gerät in Zukunft auch mit Updates versorgt wird?“Bislang erhält man auf viele dieser Fragen jedoch keine Antwort – doch das sollten Verbrauche­r einfordern, so Funk: „Zukünftig sollte es auch ein Gütesiegel für Hersteller sein, dass sie all diese Informatio­nen Verbrauche­rn nicht nur zugänglich machen, sondern so, dass es auch technisch weniger versierte Menschen verstehen.“

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Foto: iStock/Montage-ZRB Ganze Städte könnten von Cyberattac­ken getroffen werden

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