Thüringische Landeszeitung (Jena)
Künftige Erstwähler fühlen Politikern auf den Zahn
Von Gebietsreform bis Lehrermangel: Weimarer Schillergymnasiasten wollen konkrete Antworten – Redezeit auf zwei Minuten beschränkt
Gespannte Aufmerksamkeit über mehr als zwei Schulstunden – das erleben Landesund Kommunalpolitiker nicht alle Tage. Im Weimarer Schillergymnasium aber war das am Mittwoch der Fall: Zum Tag der Gesellschaftswissenschaften fühlten 129 Elft- und Zwölftklässler Thüringer Politikern auf den Zahn: den Landtagsabgeordneten Steffen Dittes (Linke), Christoph Matschie (SPD), Jörg Geibert (CDU) und Wiebke Muhsal (AfD) sowie Weimars Grünen-Fraktionschef Andreas Leps. Moderiert wurde die sehr gut vorbereitete Runde von den Schülern Franziska Lamers, Marlen Siegmund und Jullien Holland aus dem Leistungskurs Sozialkunde, die die Politiker nicht nur befragten, sondern auch deren Redezeit strikt beschränkten: Nach jeweils zwei Minuten wurde mit einer Glocke „abgebimmelt“. Die Politiker mussten – anders als in so manch anderer Debatte – also rasch auf den Punkt kommen.
Die Fragen reichten vom Thüringer Bildungssystem bis zur Gebietsreform, Themen, die die Schüler, von denen 2017 die meisten erstmals wählen gehen, direkt berühren. Etwa das Problem des Stundenausfalls und Lehrermangels: Spätestens in der Oberstufe, merkte Marlen Siegmund an, falle jede Unterrichtsstunde ins Gewicht. Vor allem jede nicht erteilte. Was Marlen zu der Frage führte, warum in Thüringen nicht genügend Lehrer eingestellt werden – genügend auch, um eine Vertretungsreserve zu bilden. Christoph Matschie, immerhin von 2009 bis 2014 als Kultusminister in Verantwortung, wusste dazu erstaunlich wenig zu sagen. Außer, dass das Problem bestehe, weil das Durchschnittsalter der Lehrer hoch und die Zahl junger Lehrer gering sei, und dass die Landesregierung dem Ist-Zustand rasch abhelfen will. Steffen Dittes erinnerte daran, dass in den Jahren vor Rot-RotGrün gar nicht eingestellt wurde, während die neue Landesregierung bereits in den ersten beiden Monaten 180 Lehrer einstellte und weitere 500 pro Schuljahr einstellt – zuzüglich einer Vertretungsreserve von 100 Lehrern.
„Trotzdem kann der demografisch bedingte Abgang nicht kompensiert werden“, wies Dittes darauf hin, dass es das eine ist, Stellen im Haushalt zu schaffen, das andere, sie mit Personen zu untersetzen. Jörg Geibert kritisierte das viel zu schleppend verlaufende Einstellungsverfahren, das zur Folge habe, dass gut ausgebildete junge Lehrer in andere Bundesländer abwandern, Wiebke Muhsal die „nicht richtig geführte Statistik“zu Ausfallstunden. Aus ihr gehe nicht hervor, ob etwa fachfremder Unterricht erteilt oder Stillarbeit aufgegeben wurde. Lehrer fehlten „an allen Ecken und Enden“, weshalb die AfD vehement die Einstellung von mehr Lehrern fordere. Grünen-Stadtrat Andreas Leps will derweil auch die Schulstrukturen auf den Prüfstand gestellt wissen.
Kontroverse Ansichten natürlich auch zum Thema Gebietsreform: Während Steffen Dittes von prognostizierten Effizienzrenditen zwischen 3 und 20 Prozent im Ergebnis der Reform sprach, ohne die die Ausgaben für Verwaltung drastisch steigen würden, hielt ihm Jörg Geibert die Aussage von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) vor, dass die Reform kein Geld spare, sondern koste. „Es ist nirgendwo belegt, dass die Gebietsreform Geld spart“, sagte Geibert und monierte das „kommunikative Desaster, das den Menschen nicht gerecht wird“. Für seine Forderung, an Weimars Kreisfreiheit nicht zu rütteln, erhielt er Unterstützung von Christoph Matschie: Der SPDPolitiker findet, dass Weimar als die „stärkste internationale Marke Thüringens“die größte Steuerungsfähigkeit dann hat, wenn sie kreisfrei bleibt.
Ins „Reich der Märchen“wollte Wiebke Muhsal einen möglichen Einspareffekt verdammt wissen: „Die Reform lässt zudem völlig außer Acht, was die Leute wollen.“