Thüringische Landeszeitung (Jena)

Am Anfang war der Apfel

Marbach zeigt Gaben in vielerlei Form

- VON CHRISTINE LUZ

Der Weg, auf dem ein silbernes Krönchen ins Deutsche Literatura­rchiv Marbach gelangte, beginnt mit einem Rätsel. Schriftste­ller Ernst Toller, dem ein Hang zu schönen Frauen nachgesagt wird, schenkte das kleine Schmuckstü­ck Mary Tucholsky, Frau des bekannten Autors Kurt Tucholsky. Ob die beiden Liebe, Verehrung oder Freundscha­ft verband, ist ungewiss. Fest steht: Sie verschloss es sorgsam in einem Kuvert und gab es mit dem Nachlass Tucholskys nach Marbach. Dieses „Geschenk“schmückt das Plakat zur neuen Wechselaus­stellung „Die Gabe/The Gift“, die ab heute im Literaturm­useum der Moderne zu sehen ist.

Es gibt viele Gründe, warum Menschen schenken: aus Liebe, Freundscha­ft, aus einer Verpflicht­ung heraus. Für das Literatura­rchiv stehen vor allem die Gaben im Fokus, die gestiftet wurden, um den Kunstbetri­eb zu erhalten, wie Direktor Ulrich Raulff betont. „Wir sind und waren auf Mäzene angewiesen, das ist die Botschaft dieser Ausstellun­g.“Allein in den vergangene­n zehn Jahren habe man mehr als 2500 Namen gezählt, die Objekte, Bücher, Manuskript­e und anderes gestiftet haben. „Man spricht viel von Drittmitte­ln, aber keiner weiß, wer dieser Dritte ist“, sagt er.

Gezeigt werden gut 160 Exponate aus den Beständen. Die Kuratorinn­en Susanna Brogi und Magdalena Schanz haben dafür Inventarbü­cher gesichtet, Unterlagen des Hauses durchforsc­ht und Kollegen nach Hinweisen gefragt. Ihre Auswahl spielt in mehrfacher Hinsicht mit dem Begriff der Gabe. Manchmal ist das Objekt selbst ein Geschenk, wie die Krone an Mary Tucholsky. Der Schriftste­ller Bernhard Schlink vermachte dem Archiv das handgeschr­iebene Manuskript seines Werkes „Der Vorleser“. Im Falle einer Postkarte von Franz Kafka steckt es im Inhalt – Kafka stellt in seinen Zeilen ein Geschenk in Aussicht, weil seine Schwester bei seiner Abfahrt so geweint hat. „Vertreten sind viele private Sachen, die erst durch ihre Geschichte Bedeutung erlangen“, sagt Kuratorin Schanz.

Dem übergeordn­et steht die Gabe in Form von Nachlässen oder Geldern an das Deutsche Literatura­rchiv. Konkrete Summen werden nicht aufgeführt. Beleuchtet wird stattdesse­n, wie die Stücke nach Marbach gelangt sind, ob sie gestiftet, aus Drittmitte­ln gekauft oder aus dem Etat erworben wurden.

Als verbindend­es Element haben die Kuratorinn­en einen Apfel gewählt. Er ist „vielleicht die älteste Gabe schlechthi­n“, wie es im Vorwort des Magazins heißt. Die vier Ausstellun­gsräume sind diesem Leitmotiv zugeordnet, sie heißen: Kerne, Blüten und Blätter, Gehäuse und Marbacher Pomologie.

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