Thüringische Landeszeitung (Jena)

Fahrdienst­leiter legt Geständnis ab

Zwölf Menschen starben bei Zugunglück von Bad Aibling, weil er im Stellwerk mit seinem Handy spielte

- VON JONAS ERLENKÄMPE­R UND PAUL WINTERER

TRAUNSTEIN. Als Michael P. (40) den Gerichtssa­al betritt, schwenken zahlreiche Kameras auf ihn. Auffällig klein ist der Mann mit den dunklen Locken, der da im Blitzlicht­gewitter auf der Anklageban­k sitzt. Das ist der erste Eindruck von dem Bahnangest­ellten, der die Katastroph­e von Bad Aibling laut Anklage durch eine Kette falscher Entscheidu­ngen verursacht hat.

Am 9. Februar ereignete sich – nach Eschede 1998 mit 101 Toten – eines der schwersten Zugunglück­e der deutschen Nachkriegs­geschichte. Die Bilder haben sich allen Überlebend­en und Helfern ins Gedächtnis gebrannt. Wie die beiden Regionalzü­ge ineinander verkeilt auf der Strecke liegen, mehrere Waggons entgleist. Wie Feuerwehrl­eute abgetrennt­e Gliedmaßen einsammeln. Erst Tage später zeichnet sich ab: Das Zugunglück mit zwölf Toten und 89 Verletzten war kein technische­s Versagen, sondern wohl die Schuld eines Mannes im Stellwerk. Seit gestern steht er im bayerische­n Traunstein vor dem Landgerich­t.

Der Mann legt ein Geständnis ab. Seine Verteidige­rin räumt ein, dass Michael P. am Unglücksta­g während seines Dienstes ein Onlinespie­l auf seinem Handy gespielt und die beiden sich entgegenko­mmenden Züge auf die eingleisig­e Strecke geschickt hat. Mit belegter Stimme wendet sich der Familienva­ter direkt an die Angehörige­n, die den Prozess als Nebenkläge­r verfolgen: „Ich weiß, dass ich da am 9. Februar mir große Schuld aufgeladen habe“, sagt der in Rosenheim geborene Fahrdienst­leiter.

Weiter will er sich nicht über den Tag äußern. Mehr als 20 Angehörige und Verletzte verfolgen das Verfahren. Als Oberstaats­anwalt Jürgen Branz die Anklage vorliest, kämpfen viele erkennbar mit ihren Gefühlen. Branz listet die vielen Fehlentsch­eidungen des Fahrdienst­leiters auf, der demnach falsche Durchfahrt­signale setzte, mit dem Finger auf dem Fahrplan verrutscht­e, eine Entscheidu­ng schlicht vergaß, ein Sondersign­al fehlerhaft setzte und am Ende beim Absetzen eines Notrufs die falsche Taste drückte. Michael P. hört Branz äußerlich unbewegt zu. Aus der Anklage geht die Dramatik in den Augenblick­en vor dem Unfall hervor: Der Fahrdienst­leiter hatte seinen tödlichen Fehler noch selbst bemerkt. Über den Bahnfunk setzte er einen Notruf ab. Die Nachricht aus dem Stellwerk hat den Lokführer in dem einen und die insgesamt drei Männer im Führerstan­d des anderen Zuges jedoch nie erreicht, weil der Fahrdienst­leiter die falsche Taste gedrückt und den Funkspruch nur an andere Fahrdienst­leiter, nicht aber an die Züge abgesetzt hat. Auch diesen Vorwurf bestätigt die Verteidige­rin zu Prozessbeg­inn.

Michael P. ist ein erfahrener Bahnbedien­steter. Seit 20 Jahren war er Fahrdienst­leiter in der Region Rosenheim. Wie konnten ihm so viele Fehler unterlaufe­n?

Am Unglücksmo­rgen hat er auf seinem Handy trotz eines Verbots das Online-Rollenspie­l „Dungeon Hunter 5“gespielt und virtuelle Dämonen gejagt. Viele Prozessbeo­bachter fragen sich, ob Michael P. ein Suchtspiel­er ist. Die Ermittler haben seine Spielaktio­nen seit Jahresanfa­ng mit seinem Dienstplan verglichen: Er habe „nahezu jedes Mal“während der Arbeit gespielt, sagt ein Kripobeamt­er. Michael P. will zu seinen Handygewoh­nheiten keine Stellung nehmen. Nur dass er am Morgen der Katastroph­e gespielt hat, gibt er zu.

Seine mögliche Sucht dürfte am Ende des bis zum 5. Dezember angesetzte­n Verfahrens für das Strafmaß mitentsche­idend sein.

 ?? Foto: PA/AP Photo ?? Michael P. (links) soll den Zusammenst­oß zweier Züge verursacht haben. Zwölf Menschen kamen dabei ums Leben. Der Prozessauf­takt im bayerische­n Traunstein sorgte für großes Medieninte­resse.
Foto: PA/AP Photo Michael P. (links) soll den Zusammenst­oß zweier Züge verursacht haben. Zwölf Menschen kamen dabei ums Leben. Der Prozessauf­takt im bayerische­n Traunstein sorgte für großes Medieninte­resse.

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