Thüringische Landeszeitung (Jena)
Luthers Schmatz und Luthers Botschaft
In Eisenach wurde gestern das Reformationsjahr in Thüringen feierlich eröffnet
EISENACH. Die Weihnachtstanne steht noch etwas einsam auf dem Platz vor der Georgenkirche, es ist früher Nachmittag, kalter Wind fährt in die Zweige, von Luther keine Spur bislang. Nicht einmal auf dem Karlsplatz, wo er doch seit 1895 auf seinem Sockel steht. Das tut er auch, aber des Reformators wuchtige Gestalt verschwindet in einem rosafarbenen Häuschen. Eine Kunstinstallation des Japaners Tatu Nishi: „In bed with Martin Luther“. Das ist nicht zu viel versprochen. Man muss nur die Metalltreppe erklimmen um zu sehen, wie der Reformator aus fein geblümter Bettwäsche emporsteigt.
Daneben steht Rainer Barth mit schwarzem Hut, bereit fürs Gespräch. Was er ihm bedeute, will ich wissen, der richtige Luther. Kurzes Nachdenken, dann: Es sei doch Zeit für einen neuen Luther. Die Gegenwart könne manche Reform gut vertragen. Auf dem Platz vor dem Lutherhaus, wo der Latein-Schüler Luther vier Jahre lang bei der „andächtigen Matrone“Ursula Cotta unterkam, luthert es dafür schon gewaltig. Hier hat der Reformationsmarkt seine Tresen aufgeschlagen. Am Stand des Lutherstammortes Möhra gibt es „Luthers Schmatz“(Käsebrot) und Reformationssuppe. Was bitte ist in einer Reformationssuppe? Wir haben, sagt Bruno Tröbs, den Speck weggelassen und sie so reformiert. Gelächter. Und im Ernst, was erwarten sie vom Lutherjahr, will ich wissen. Vielleicht, sinniert Monika Soßdorf, dass man sich ein wenig mehr mit Luthers Widersprüchlichkeit beschäftigt. Mit seinem Verhältnis zum Judentum zum Beispiel.
Am Honigstand schlägt ein Herr in langem Filzmantel ein melancholisches Lied an. Aha, freue ich mich, ein Luthertext zur Laute. Es ist aber nicht Luther, sondern Oswald Wolkenstein, der mittelalterliche Liedermacher. Es geht um Werden, Vergehen und den Tod, erklärt der Interpret und Honigmacher Heiko Ißleib. Irgendwie passend zum trübgrauen Himmel, aber heute geht es ja um Luther und ob er was zu sagen hätte. Hat er. Luther habe eine Menge verändert in der Welt. Aber seitdem hat sich auch die Welt verändert. Es wäre doch gut, wenn die Leute offener würden für solche Veränderungen, so wie damals jene, die Luther folgten.
Am Stand gegenüber werden zwischen blauer Töpferware bunte Matrjoschkas angeboten. Überraschend für einen Reformationsmarkt, die Puppen stammen eindeutig aus dem orthodoxen Kulturkreis. Die sind russisch, bestätigt Iwuc Przemek, der Rest der Ware stammt aus Polen, so wie sie. Aha, aus dem katholischen Polen. Die Ökumene, scheint es, zieht auch auf dem Reformationsmarkt ein. Die Frage des Tages geht auch an ihn. Luther? Er zuckt mit den Schultern. Ich wisse ja, Polen sei katholisch. Ganz ehrlich, so viel weiß er nicht über ihn. Aber vielleicht sei das ja ein Grund, sich zu beschäftigen.
Vielleicht im Luthermuseum, wo an diesem Tag schon drei Reisegruppen aus den USA vorsprachen, wie ich erfahre. Im Museumsshop gibt es Luther in vielerlei Gestalt. Als Playmobil (geht gerade sehr gut), Lutherquietschente, Lutherrose, Lutherbüste... Es werde keinen Lutherkult geben, hatte die Lutherbeauftragte Margot Käßmann gesagt, das scheint ein auslegbarer Satz zu sein. Er habe schon, erzählt Museumsmitarbeiter Burkhardt Breitsprecher, in der Lutherstube auf der Wartburg schon erlebt, wie auswärtige Besucher auf die Knie fallen.
Das Besucherpaar auf dem Marktplatz betrachtet zunächst einmal nur neugierig sein Mittagessen im Brötchen. „Eine typische regionale Spezialität“, wurde ihnen gerade von der Bratwurstverkäuferin erklärt. Sie sprechen Englisch, das müssen Luthertouristen sein!
Oh ja, bestätigen sie erfreut, Glenda und David Schomburgk, sie leben in Adelaide, Australien. Die Vorfahren kamen vor 150 Jahren aus Deutschland, alle Lutheraner, und jetzt sind sie auf ihren Spuren und auf denen von Luther. Ein Mann mit Mut, sagt die Frau. Der die Nähe zu Gott wiederherstellte, ergänzt der Mann. Ob ich das auch so sehe, fragen sie noch und machen sich fröstelnd auf den Weg zum Lutherhaus.
Hinter der Georgenkirche toben Kinder über einen Schulhof. Dorothee Kranz, die Erzieherin, hat ihre Pudelmütze tief ins Gesicht gezogen. Ich frage, ob ich die Kinder fragen darf. Sie wisse schon, Luther und so. Sie ruft Pauline und Leonard, beide acht Jahre alt. Welcher Tag ist heute? Donnerstag! Und noch? Laternenumzug! Wegen Martin Luther, und das sei der gewesen, der die Bibel übersetzt hat. Na bitte, es geht doch. Und ihre Erzieherin? Ich stelle die obligatorische Lutherfrage. Sie zuckt mit den Schultern, sie sei ja nicht kirchlich. Und nach einer Weile: Ob ich von Fritz Erbe gehört habe. Ein Anhänger der Täuferbewegung zu Luthers Zeiten, den sie wegen seiner Überzeugung ins Gefängnis auf der Wartburg warfen und der dort starb. Luther war ein studierter Mann mit Einfluss, Fritz Erbe ein einfacher Bauer, der einsam für seinen Glauben gestorben ist. Eigentlich, bemerkt sie, berühre sie sein Schicksal irgendwie mehr.
Am späten Nachmittag wird es vor der Georgenkirche staatsmännisch. Schwarze Limousinen, klappende Türen, der amtierende Ministerpräsident, eine ehemalige Ministerpräsidentin, zwei Bischöfinnen und ein Bischof... Die kurze Andacht ist aber gar nicht staatstragend, hier stehen die Kinder im Mittelpunkt, die darauf warten, ihre Laternen zum Einsatz zu bringen. Dann läuten die Kirchenglocken so wie es sein muss zum Anlass, der Zug mit den Laternen setzt sich in Bewegung, der Ministerpräsident trägt auch eine, sie ist gelb.
Während oben auf der erleuchteten Wartburg, wo die Landesregierung zum Festakt lädt, die Fotoapparate klicken, versucht das Fußvolk auf dem Reformationsmarkt noch etwas warm zu werden. Mit „Luthers Tintenfläschchen“zum Beispiel. Ein Jagatee aus Möhra, der, wie sie versichern, nicht nur den Teufel vertreibt.
Den Speck in der Suppe weggelassen