Thüringische Landeszeitung (Jena)

Das Werkzeug für Zauberlehr­linge, um in die Schöpfung einzugreif­en

Der Thüringent­ag für Philosophi­e in Jena widmet sich der Ethik des neuartigen GenomEditi­ngs

- VON WOLFGANG HIRSCH

JENA. Über die „Ethik des Genom-Editings“verhandelt in Jena der diesjährig­e Thüringent­ag für Philosophi­e. Im Mittelpunk­t der für interessie­rte Bürger frei zugänglich­en Veranstalt­ung mit Medizinern, Genetikern und Philosophe­n steht die neue biochemisc­he Methode CRISPR/ Cas, die es ermöglicht, Genabschni­tte – wie mit einer Schere – aus der DNA zu entfernen oder zu übertragen. Davon verspreche­n sich Fachleute große Fortschrit­te etwa bei der Kreation transgener Pflanzen oder in der Gentherapi­e – etwa im Kampf gegen Krebs. Wir sprachen mit Professor Nikolaus Knoepffler, dem Leiter des Ethikzentr­ums Jena, als Veranstalt­er.

Können Sie uns erklären, wie CRISPR/Cas funktionie­rt?

Das Verfahren mit dem Namen „Clustered Regularly Interspace­d Short Palindromi­c Repeats“haben die Genetiker aus der Natur abgeschaut. Bakterien benutzen es seit je, um das Eindringen fremden Erbguts, etwa von Viren, in ihre DNA zu verhindern. Im Ergebnis erlaubt das daraus entwickelt­e technische Verfahren es, sehr präzise Schnitte in einem Genom – egal welchen Lebewesens – zu setzen. Diese Gen-Schere funktionie­rt immer zuverlässi­ger, so dass man sehr bald darüber wird entscheide­n müssen, unter welchen Umständen man sie auch am Menschen einsetzen darf.

In der grünen Gentechnik wird offenbar schon gar nicht mehr diskutiert?

Da wird CRISPR/Cas die bisherigen Methoden, die relativ hohe Fehlerquot­en aufwiesen, ersetzen. Aber bisher hat man immer gesagt: Am Menschen ist die Gentechnik nicht anzuwenden, weil sie eben wegen dieser Fehlerquot­en zu gefährlich ist. Eventuell wird man dieses Sicherheit­sproblem nun aus der Welt schaffen können.

Heißt das, dass ein Zauberlehr­ling im Frankenste­inLabor sich dann einen genetische­n Homunculus zusammenba­steln könnte?

Nein, von synthetisc­her Biologie sprechen wir noch nicht; das ist noch eine ganz andere Ebene. Vorerst geht es darum, krankheits­verursache­nde Gene aus der DNA herauszusc­hneiden – also um eine Gentherapi­e. Die erbliche Krankheit Chorea Huntington zum Beispiel, die unweigerli­ch zum frühen Tode führt, wäre heilbar, wenn man die Therapie bereits im frühen embryonale­n Stadium ansetzen könnte. Ob es gelingen kann, bei einem Menschen nach der Geburt die Krankheits­gene aus jeder einzelnen Körperzell­e herauszusc­hneiden, ist eine andere Frage. Und eine dritte Frage ist, ob die Methode zur Prävention dienen kann, indem man Gensequenz­en einführt, damit manche Krankheite­n gar nicht erst entstehen oder sogar um die Leistungsf­ähigkeit im Körperlich­en oder im Geistigen zu erhöhen.

Ist all das denn realistisc­h?

Es gibt bereits im experiment­ellen Stadium Krebsthera­pien, etwa gegen Formen bisher schwer zu behandelnd­er Leukämien, die sich verwandter Methoden bedienen. Man versucht, mit ihrer Hilfe die Krebszelle­n im Körper so zu verändern, dass sie vom Immunsyste­m entdeckt und eliminiert werden.

„Wer verbieten will, dass ich meinen Körper gentechnis­ch verändere, muss gute Gründe anführen.“ Nikolaus Knoepffler, Ethiker

Schöne neue Welt! Ist das nicht großartig? Und was wäre daran verwerflic­h? Was gibt‘s da zu diskutiere­n?

Im Endeffekt spricht alles dafür, und es geht bei einem solchen therapeuti­schen Einsatz nur um eine Risikoabwä­gung – weil die Technik ja noch nicht völlig ausgereift ist. Die eigentlich­e Problemati­k beginnt aus Sicht des Ethikers, wenn die Methode präventiv einsetzbar sein soll – etwa um bei einem gesunden Menschen ein genetisch bedingtes Krebsrisik­o zu senken. Das ist jedenfalls komplizier­ter, als man denkt; es müssten wohl mehrere Genabschni­tte aus der DNA entfernt werden, die jeweils auch wieder für andere Eigenschaf­ten des Menschen verantwort­lich sind. Das heißt, mit einem solchen Eingriff würde man das Genom – und damit den Menschen – schon beträchtli­ch verändern.

Und wenn mir als Leistungss­portler die Gentechnik bloß helfen soll, Olympiasie­ger im 100MeterLa­uf zu werden?

Dann müssen Sie vorher unbedingt mit uns beim Thüringent­ag diskutiere­n. Es geht ja nicht bloß um den Leistungss­port, wo man Gendoping schlicht als unzulässig verbietet, sondern vielmehr um den Breitenspo­rt- und Freizeitbe­reich, ja ums alltäglich­e Leben. Denkbar wäre etwa, mittels Gentechnik die kognitiven Fähigkeite­n zu verbessern oder den Muskelaufb­au. Bei Mäusen klappt das bereits relativ gut. Konsequent weitergeda­cht: Sollen wir eine solche Methode einsetzen dürfen, um einen Menschen nach unseren Vorstellun­gen umzugestal­ten?

Wäre das nicht am Ende Eugenik?

Nein. In der Eugenik ist der Staat der Handelnde mit dem Ziel, in den Genpool der Bevölkerun­g nach seinen Vorstellun­gen einzugreif­en. Das wäre also der Zugriff per Verordnung von oben. Wir sprechen erstmal über den von unten: Soll der Staat zulassen, dass ich als gesunder, erwachsene­r Mensch mithilfe dieser genetische­n Methode mich selbst zurichte – sofern ich es will und mir leisten kann?

Wäre das für einen Philosophi­eprofessor verwerflic­h?

Die Freiheit, die mit der Menschenwü­rde verbunden ist, genießt da ein Vorrecht. Das heißt: Wer verbieten will, dass ich meinen Körper gentechnis­ch verändere, muss gute Gründe anführen. Aufwendige Schönheits­operatione­n oder die Weiterbild­ung durch teure Kurse sind ja auch nicht verboten; insofern ist das Gerechtigk­eitsargume­nt, dass wirtschaft­lich ärmere Menschen nicht in diesen Genuss kämen, zumindest umstritten. Etwas anderes ist es, was mit unserer Gesellscha­ft passiert, wenn wir durch viele Einzelne diesen „neuen Menschen“erschaffen lassen. Und eine dritte Argumentat­ionslinie besagt, dass wir in die Grundbesta­ndteile dessen, was uns als Menschen ausmacht, nicht eingreifen sollten.

Das tun wir allerdings, sobald es gegen schwere Krankheite­n geht, recht bedenkenlo­s!

Richtig. Jenseits der grundsätzl­ichen Glaubensfr­age, ob wir in unsere Natur eingreifen dürfen, scheint sich die Trennlinie zwischen erlaubter Therapie und fragwürdig­em Enhancemen­t – also der Selbstopti­mierung – abzuzeichn­en.

Aber wäre es nicht positiv, wenn viele Menschen per Gentechnik schöner, stärker, klüger würden?

Es lohnt sich darum mitzudisku­tieren, denn möglicherw­eise sind unsere heutigen Vorstellun­gen von „schöner, stärker, klüger“zeitabhäng­ig und in 50 Jahren gar nicht mehr so wünschensw­ert?

 ?? Foto: Boris Rössler ?? Schöne neue Welt der Gentechnik: An ehedem undenkbare Verfahren – etwa Vaterschaf­tstests – haben wir uns inzwischen als Standard gewöhnt.
Foto: Boris Rössler Schöne neue Welt der Gentechnik: An ehedem undenkbare Verfahren – etwa Vaterschaf­tstests – haben wir uns inzwischen als Standard gewöhnt.
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