Thüringische Landeszeitung (Jena)
Das Werkzeug für Zauberlehrlinge, um in die Schöpfung einzugreifen
Der Thüringentag für Philosophie in Jena widmet sich der Ethik des neuartigen GenomEditings
JENA. Über die „Ethik des Genom-Editings“verhandelt in Jena der diesjährige Thüringentag für Philosophie. Im Mittelpunkt der für interessierte Bürger frei zugänglichen Veranstaltung mit Medizinern, Genetikern und Philosophen steht die neue biochemische Methode CRISPR/ Cas, die es ermöglicht, Genabschnitte – wie mit einer Schere – aus der DNA zu entfernen oder zu übertragen. Davon versprechen sich Fachleute große Fortschritte etwa bei der Kreation transgener Pflanzen oder in der Gentherapie – etwa im Kampf gegen Krebs. Wir sprachen mit Professor Nikolaus Knoepffler, dem Leiter des Ethikzentrums Jena, als Veranstalter.
Können Sie uns erklären, wie CRISPR/Cas funktioniert?
Das Verfahren mit dem Namen „Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats“haben die Genetiker aus der Natur abgeschaut. Bakterien benutzen es seit je, um das Eindringen fremden Erbguts, etwa von Viren, in ihre DNA zu verhindern. Im Ergebnis erlaubt das daraus entwickelte technische Verfahren es, sehr präzise Schnitte in einem Genom – egal welchen Lebewesens – zu setzen. Diese Gen-Schere funktioniert immer zuverlässiger, so dass man sehr bald darüber wird entscheiden müssen, unter welchen Umständen man sie auch am Menschen einsetzen darf.
In der grünen Gentechnik wird offenbar schon gar nicht mehr diskutiert?
Da wird CRISPR/Cas die bisherigen Methoden, die relativ hohe Fehlerquoten aufwiesen, ersetzen. Aber bisher hat man immer gesagt: Am Menschen ist die Gentechnik nicht anzuwenden, weil sie eben wegen dieser Fehlerquoten zu gefährlich ist. Eventuell wird man dieses Sicherheitsproblem nun aus der Welt schaffen können.
Heißt das, dass ein Zauberlehrling im FrankensteinLabor sich dann einen genetischen Homunculus zusammenbasteln könnte?
Nein, von synthetischer Biologie sprechen wir noch nicht; das ist noch eine ganz andere Ebene. Vorerst geht es darum, krankheitsverursachende Gene aus der DNA herauszuschneiden – also um eine Gentherapie. Die erbliche Krankheit Chorea Huntington zum Beispiel, die unweigerlich zum frühen Tode führt, wäre heilbar, wenn man die Therapie bereits im frühen embryonalen Stadium ansetzen könnte. Ob es gelingen kann, bei einem Menschen nach der Geburt die Krankheitsgene aus jeder einzelnen Körperzelle herauszuschneiden, ist eine andere Frage. Und eine dritte Frage ist, ob die Methode zur Prävention dienen kann, indem man Gensequenzen einführt, damit manche Krankheiten gar nicht erst entstehen oder sogar um die Leistungsfähigkeit im Körperlichen oder im Geistigen zu erhöhen.
Ist all das denn realistisch?
Es gibt bereits im experimentellen Stadium Krebstherapien, etwa gegen Formen bisher schwer zu behandelnder Leukämien, die sich verwandter Methoden bedienen. Man versucht, mit ihrer Hilfe die Krebszellen im Körper so zu verändern, dass sie vom Immunsystem entdeckt und eliminiert werden.
„Wer verbieten will, dass ich meinen Körper gentechnisch verändere, muss gute Gründe anführen.“ Nikolaus Knoepffler, Ethiker
Schöne neue Welt! Ist das nicht großartig? Und was wäre daran verwerflich? Was gibt‘s da zu diskutieren?
Im Endeffekt spricht alles dafür, und es geht bei einem solchen therapeutischen Einsatz nur um eine Risikoabwägung – weil die Technik ja noch nicht völlig ausgereift ist. Die eigentliche Problematik beginnt aus Sicht des Ethikers, wenn die Methode präventiv einsetzbar sein soll – etwa um bei einem gesunden Menschen ein genetisch bedingtes Krebsrisiko zu senken. Das ist jedenfalls komplizierter, als man denkt; es müssten wohl mehrere Genabschnitte aus der DNA entfernt werden, die jeweils auch wieder für andere Eigenschaften des Menschen verantwortlich sind. Das heißt, mit einem solchen Eingriff würde man das Genom – und damit den Menschen – schon beträchtlich verändern.
Und wenn mir als Leistungssportler die Gentechnik bloß helfen soll, Olympiasieger im 100MeterLauf zu werden?
Dann müssen Sie vorher unbedingt mit uns beim Thüringentag diskutieren. Es geht ja nicht bloß um den Leistungssport, wo man Gendoping schlicht als unzulässig verbietet, sondern vielmehr um den Breitensport- und Freizeitbereich, ja ums alltägliche Leben. Denkbar wäre etwa, mittels Gentechnik die kognitiven Fähigkeiten zu verbessern oder den Muskelaufbau. Bei Mäusen klappt das bereits relativ gut. Konsequent weitergedacht: Sollen wir eine solche Methode einsetzen dürfen, um einen Menschen nach unseren Vorstellungen umzugestalten?
Wäre das nicht am Ende Eugenik?
Nein. In der Eugenik ist der Staat der Handelnde mit dem Ziel, in den Genpool der Bevölkerung nach seinen Vorstellungen einzugreifen. Das wäre also der Zugriff per Verordnung von oben. Wir sprechen erstmal über den von unten: Soll der Staat zulassen, dass ich als gesunder, erwachsener Mensch mithilfe dieser genetischen Methode mich selbst zurichte – sofern ich es will und mir leisten kann?
Wäre das für einen Philosophieprofessor verwerflich?
Die Freiheit, die mit der Menschenwürde verbunden ist, genießt da ein Vorrecht. Das heißt: Wer verbieten will, dass ich meinen Körper gentechnisch verändere, muss gute Gründe anführen. Aufwendige Schönheitsoperationen oder die Weiterbildung durch teure Kurse sind ja auch nicht verboten; insofern ist das Gerechtigkeitsargument, dass wirtschaftlich ärmere Menschen nicht in diesen Genuss kämen, zumindest umstritten. Etwas anderes ist es, was mit unserer Gesellschaft passiert, wenn wir durch viele Einzelne diesen „neuen Menschen“erschaffen lassen. Und eine dritte Argumentationslinie besagt, dass wir in die Grundbestandteile dessen, was uns als Menschen ausmacht, nicht eingreifen sollten.
Das tun wir allerdings, sobald es gegen schwere Krankheiten geht, recht bedenkenlos!
Richtig. Jenseits der grundsätzlichen Glaubensfrage, ob wir in unsere Natur eingreifen dürfen, scheint sich die Trennlinie zwischen erlaubter Therapie und fragwürdigem Enhancement – also der Selbstoptimierung – abzuzeichnen.
Aber wäre es nicht positiv, wenn viele Menschen per Gentechnik schöner, stärker, klüger würden?
Es lohnt sich darum mitzudiskutieren, denn möglicherweise sind unsere heutigen Vorstellungen von „schöner, stärker, klüger“zeitabhängig und in 50 Jahren gar nicht mehr so wünschenswert?