Thüringische Landeszeitung (Jena)
Fabrikarbeiter gegen Weltmeister
Fußball In San Marino freut man sich auf die Deutschen, auch wenn es womöglich wieder Tore hagelt
SERRAVALLE. Aldo Simoncini ist überrascht. Und enttäuscht. Er wusste bis gerade eben nicht, dass Manuel Neuer nicht dabei sein wird. „Wirklich?“, fragt er, als wolle er sich vergewissern, dass er nicht dem Telefonstreich eines lokalen Radiosenders auf den Leim geht. Aber es ist, wie es ist: Neuer, der Torwart der deutschen Nationalmannschaft, hat seine Teilnahme am WM-Qualifikationsspiel am Freitagabend (20.45 Uhr / RTL) in Serravalle wegen einer gesundheitlichen Unpässlichkeit abgesagt.
Simoncini, Schlussmann des Gegners San Marino, könnte das egal sein, es könnte ihn sogar freuen. Tut es aber nicht. „Das ist schade“, sagt der 30-Jährige, „ich schätze ihn sehr. Ich wollte mein Trikot mit ihm tauschen.“Von all seinen Berufskollegen, gegen die er Länderspiele bestritt, hat er sich dieses Souvenir besorgt. Von der italienischen Legende Gianluigi Buffon zum Beispiel, von Jens Lehmann damals auch. Das Textil des Welttorhüters Neuer wäre die Vervollkommnung seiner Sammlung gewesen. Nun muss er mit dem Dress von Marc-Andre ter Stegen Vorlieb nehmen, der stattdessen im Tor stehen wird.
Dass Aldo Simoncini schon vor dem Anpfiff so unverhohlen seine Begeisterung für den Gegner preisgeben darf, liegt an den doch etwas ungleich verteilten Kräfteverhältnissen in diesem Spiel. San Marino wird diese Partie verlieren, das steht fest. 211 Plätze hat die Weltrangliste, das Land, das von Italien umgeben ist, liegt auf Position 201 in sportlicher Nachbarschaft der Mongolei und den Turks- und Caicos-Inseln. Auf einen Pflichtspielsieg wartet San Marino bislang vergeblich, in 138 Partien schossen die wackeren Männer gerade einmal 22 Tore, kassierten aber 591. Viele Bälle gingen in all den Jahren an Aldo Simoncini vorbei ins Netz.
Hinter dem Profil von Joachim Löw breiten sich Adria und Himmel in hübschem Blau aus. Rimini hat der Bundestrainer zum Vorbereitungsort auf das Spiel auserkoren. Schöne Aussichten. Gegen San Marino feierte die DFB-Elf in Löws erstem Auswärtsspiel als Bundestrainer den bislang höchsten Sieg. 13:0. In Worten: dreizehn zu null. 2006 war das.
„Da war jeder Schuss ein Treffer“, erinnert sich Löw, „aber das Ziel ist nicht, irgendwelche Rekorde zu brechen. Das Ziel ist ein klarer Sieg - und keine Arroganz zu zeigen, sondern Konzentration.“Neben ter Stegen legte sich Löw auch fest, dass Mario Gomez und Ilkay Gündogan in der Startelf zu finden sein werden. Letzterer sagt, dass es schon so mindestens fünf Törchen sein dürften.
„Wir sind sehr, sehr stolz, Gastgeber dieses Spiels gegen den Weltmeister zu sein“, meint San Marinos Nationaltrainer Pierangelo Manzaroli, um ihn herum die Gemäuer des Stadions von San Marino in Serravalle. Olympiastadion heißt es, 7000 Menschen gehen hinein. „Ich habe schonmal ein Tor gemacht, gegen Litauen war das. Das war die größte Emotion, die ich je erlebt habe“, sagt Kapitän Matteo Vitaioli: „Ich wüsste gar nicht, wie ich reagieren sollte, wenn ich gegen Deutschland treffen würde. Das wäre groß, ein Traum.“Mit seinem zweiten Länderspieltreffer stünde er auf Platz zwei der ewigen Torschützenliste des Landes. Ein Tor gegen den Weltmeister würde für „die Opfer, die wir im Alltag bringen“entschädigen, sagt er.
Profi ist kaum ein Nationalspieler, fünf, sechs Mal in der Woche trainieren sie nach der Arbeit. Der Stürmer Mattia Stefanelli ist eigentlich Vermessungstechniker, Kapitän Matteo Favioli arbeitet in einer Keramikfabrik, der nicht mit ihm verwandte Verteidiger Fabio Favioli produziert Jeans. Als Fußballer produzieren sie Niederlagen. Und stets neue Hoffnung.
Die meisten spielen in der nationalen Liga, die den schönen Namen Campionato Dilettanti trägt. Nationalspieler zu sein, heißt in San Marino, ein Hobby zu haben, das einem das Tor zu einer Welt öffnet, zu der man eigentlich nicht gehört. Und wenn es das eigene Tor ist. Was soll‘s?
Aldo Simoncini, der Torwart, ist im wahren Leben Systeminformatiker. „Wir müssen immer leiden. Es ist nicht einfach zu wissen, dass du wahrscheinlich wieder viele Gegentore bekommen wirst“, sagt er, „aber am Ende ist es doch immer schön.“• San Marino – Deutschland, heute, 20.45 Uhr, live bei RTL
Der Traum: Ein Tor gegen Deutschland