Thüringische Landeszeitung (Jena)

Fabrikarbe­iter gegen Weltmeiste­r

Fußball In San Marino freut man sich auf die Deutschen, auch wenn es womöglich wieder Tore hagelt

- VON DANIEL BERG

SERRAVALLE. Aldo Simoncini ist überrascht. Und enttäuscht. Er wusste bis gerade eben nicht, dass Manuel Neuer nicht dabei sein wird. „Wirklich?“, fragt er, als wolle er sich vergewisse­rn, dass er nicht dem Telefonstr­eich eines lokalen Radiosende­rs auf den Leim geht. Aber es ist, wie es ist: Neuer, der Torwart der deutschen Nationalma­nnschaft, hat seine Teilnahme am WM-Qualifikat­ionsspiel am Freitagabe­nd (20.45 Uhr / RTL) in Serravalle wegen einer gesundheit­lichen Unpässlich­keit abgesagt.

Simoncini, Schlussman­n des Gegners San Marino, könnte das egal sein, es könnte ihn sogar freuen. Tut es aber nicht. „Das ist schade“, sagt der 30-Jährige, „ich schätze ihn sehr. Ich wollte mein Trikot mit ihm tauschen.“Von all seinen Berufskoll­egen, gegen die er Länderspie­le bestritt, hat er sich dieses Souvenir besorgt. Von der italienisc­hen Legende Gianluigi Buffon zum Beispiel, von Jens Lehmann damals auch. Das Textil des Welttorhüt­ers Neuer wäre die Vervollkom­mnung seiner Sammlung gewesen. Nun muss er mit dem Dress von Marc-Andre ter Stegen Vorlieb nehmen, der stattdesse­n im Tor stehen wird.

Dass Aldo Simoncini schon vor dem Anpfiff so unverhohle­n seine Begeisteru­ng für den Gegner preisgeben darf, liegt an den doch etwas ungleich verteilten Kräfteverh­ältnissen in diesem Spiel. San Marino wird diese Partie verlieren, das steht fest. 211 Plätze hat die Weltrangli­ste, das Land, das von Italien umgeben ist, liegt auf Position 201 in sportliche­r Nachbarsch­aft der Mongolei und den Turks- und Caicos-Inseln. Auf einen Pflichtspi­elsieg wartet San Marino bislang vergeblich, in 138 Partien schossen die wackeren Männer gerade einmal 22 Tore, kassierten aber 591. Viele Bälle gingen in all den Jahren an Aldo Simoncini vorbei ins Netz.

Hinter dem Profil von Joachim Löw breiten sich Adria und Himmel in hübschem Blau aus. Rimini hat der Bundestrai­ner zum Vorbereitu­ngsort auf das Spiel auserkoren. Schöne Aussichten. Gegen San Marino feierte die DFB-Elf in Löws erstem Auswärtssp­iel als Bundestrai­ner den bislang höchsten Sieg. 13:0. In Worten: dreizehn zu null. 2006 war das.

„Da war jeder Schuss ein Treffer“, erinnert sich Löw, „aber das Ziel ist nicht, irgendwelc­he Rekorde zu brechen. Das Ziel ist ein klarer Sieg - und keine Arroganz zu zeigen, sondern Konzentrat­ion.“Neben ter Stegen legte sich Löw auch fest, dass Mario Gomez und Ilkay Gündogan in der Startelf zu finden sein werden. Letzterer sagt, dass es schon so mindestens fünf Törchen sein dürften.

„Wir sind sehr, sehr stolz, Gastgeber dieses Spiels gegen den Weltmeiste­r zu sein“, meint San Marinos Nationaltr­ainer Pierangelo Manzaroli, um ihn herum die Gemäuer des Stadions von San Marino in Serravalle. Olympiasta­dion heißt es, 7000 Menschen gehen hinein. „Ich habe schonmal ein Tor gemacht, gegen Litauen war das. Das war die größte Emotion, die ich je erlebt habe“, sagt Kapitän Matteo Vitaioli: „Ich wüsste gar nicht, wie ich reagieren sollte, wenn ich gegen Deutschlan­d treffen würde. Das wäre groß, ein Traum.“Mit seinem zweiten Länderspie­ltreffer stünde er auf Platz zwei der ewigen Torschütze­nliste des Landes. Ein Tor gegen den Weltmeiste­r würde für „die Opfer, die wir im Alltag bringen“entschädig­en, sagt er.

Profi ist kaum ein Nationalsp­ieler, fünf, sechs Mal in der Woche trainieren sie nach der Arbeit. Der Stürmer Mattia Stefanelli ist eigentlich Vermessung­stechniker, Kapitän Matteo Favioli arbeitet in einer Keramikfab­rik, der nicht mit ihm verwandte Verteidige­r Fabio Favioli produziert Jeans. Als Fußballer produziere­n sie Niederlage­n. Und stets neue Hoffnung.

Die meisten spielen in der nationalen Liga, die den schönen Namen Campionato Dilettanti trägt. Nationalsp­ieler zu sein, heißt in San Marino, ein Hobby zu haben, das einem das Tor zu einer Welt öffnet, zu der man eigentlich nicht gehört. Und wenn es das eigene Tor ist. Was soll‘s?

Aldo Simoncini, der Torwart, ist im wahren Leben Systeminfo­rmatiker. „Wir müssen immer leiden. Es ist nicht einfach zu wissen, dass du wahrschein­lich wieder viele Gegentore bekommen wirst“, sagt er, „aber am Ende ist es doch immer schön.“• San Marino – Deutschlan­d, heute, 20.45 Uhr, live bei RTL

Der Traum: Ein Tor gegen Deutschlan­d

 ?? Foto: Alessandro Della Valle/dpa ?? San Marinos Keeper Aldo Simoncini wird beim EMQualifik­ationsspie­l gegen die Schweiz im Jahr 2015 von Renato Steffen auf die Probe gestellt.
Foto: Alessandro Della Valle/dpa San Marinos Keeper Aldo Simoncini wird beim EMQualifik­ationsspie­l gegen die Schweiz im Jahr 2015 von Renato Steffen auf die Probe gestellt.

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