Thüringische Landeszeitung (Jena)

Dokumentie­rt: Der Offene Brief einer Polizeibea­mtin aus dem Unstrut-Hainich-Kreis

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Sehr geehrter Herr Innenminis­ter Dr. Poppenhäge­r,

wir wenden uns mit diesem Hilferuf in einem offenen Brief direkt an Sie, weil wir am Ende unserer Kraft sind.

Wir sind die Dienstgrup­pe der Polizeiins­pektion UnstrutHai­nich in Mühlhausen und Bad Langensalz­a. Aber wir denken, dass wir stellvertr­etend für viele Dienstgrup­pen, für viele Kollegen im Freistaat stehen. Seit Jahren leiden wir unter dem Personalab­bau bei der Thüringer Polizei. Wie atmeten wir auf, als im vergangene­n Jahr seitens der Landesregi­erung angekündig­t wurde, dass die Einstellun­gszahlen der Thüringer Polizei nicht weiter nach unten gehen sollen. Gerade an uns im Nordthürin­ger Raum scheinen seit Jahren die Neuzugänge aus Bereitscha­ftspolizei oder der Verwaltung­sfachhochs­chule vorbei zu gehen. Die jungen Kolleginne­n und Kollegen kommen überall hin, aber die wenigsten nach Mühlhausen, Sondershau­sen oder Nordhausen.

Das Durchschni­ttsalter in unserer Dienstgrup­pe beträgt mehr als 48 Jahre. Nicht selten sitzen über 110 Jahre Lebenserfa­hrung in einem Funkwagen. Dass dies Folgen hat, ist nur selbstvers­tändlich. Wir fragen uns manchmal, welches Bild der Bürger von uns haben muss, wenn wir mit unserer Fastpensio­närstruppe anrücken. Bestimmt nicht das, was in den Werbebrosc­hüren und im Internet von der Thüringer Polizei vermittelt wird. [...] Schämen sich die Verantwort­lichen nicht ein wenig, wenn sie die Einstellun­gszahlen der benachbart­en Bundesländ­er sehen, wie z.B. Niedersach­sen 1100, Hessen 890, SachsenAnh­alt 240. Und ganz zum Schluss kommt irgendwann Thüringen mit gigantisch­en 155 Neueinstel­lungen 2016.

Inzwischen sind wir weiter dezimiert. Es geschah das, was alle realistisc­h denkenden Kollegen in unserer Dienststel­le seit langem befürchtet hatten. Was passiert, wenn unsere fünf Kollegen einfach nicht reichen, um die polizeilic­hen Maßnahme durchzuset­zen? Was passiert, wenn es in erster Linie nicht mehr um Strafverfo­lgung gehen kann, sondern nur noch darum mit einigermaß­en heiler Haut aus einem Einsatz zurück zu kommen? Was passiert, wenn die Verstärkun­g, die sofort gebraucht wird, aus Gotha oder Erfurt kommen muss? Was passiert, wenn sich die Polizeibea­mten komplett hilflos einer Übermacht ausgesetzt sehen, derer sie nicht Herr werden? Was passiert, wenn sie dieses Gefühl der Hilflosigk­eit, der nackten Angst, einfach nicht mehr loswerden?

Immer mehr Kollegen werden durch Widerstand­shandlunge­n verletzt. Die Täter sind oft durch Drogen und/oder Alkohol so schmerzune­mpfindlich, dabei aber immens leistungsf­ähig und unberechen­bar, dass oft mehr als eine Besatzung notwendig ist, um die polizeilic­hen Maßnahmen durchzufüh­ren. Oft steht aber nur ein Funkwagen zur Verfügung. Was dann? [...] Ist das die Polizei, die Sie sich für Ihren Freistaat Thüringen vorstellen? Ist das die Polizei, die den Aufgaben der Zukunft gewachsen ist? Wir sind froh, wenn wir gesund nach jeder Schicht nach Hause kommen.

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