Thüringische Landeszeitung (Jena)
Thügidas Mauerfall-Demo mit Kühnengruß und Reichskriegsflagge
Polizei muss nach Aufmarsch Aufarbeitung leisten – Auch AntifaBengalos stehen im Fokus der Ermittler
JENA. Am Ende streiten sie sich doch: „USA – Völkermordzentrale.“Nazis skandieren das kurz vor Schluss bei ihrem Aufzug am 9. November in Jena. Andere aus ihren Reihen allerdings meinen, dass das nach dem Wahlsieg Donald Trumps in den USA nun nicht mehr tauge – so endet die Thügida-Demo am Jahrestag der Reichspogromnacht in Jena. Gerade einmal 80 Teilnehmer hatten sich eingefunden, schätzt die Polizei. Aus den Thügida-Reihen hieß es indes, es seien mindestens 120 Teilnehmer gewesen. Bei den Gegendemonstranten wurden von der Polizei 1500 gezählt nachdem sie zunächst nur von 1000 gesprochen hatte.
Begonnen hatte der Demoabend mit einem Antifa-Paukenschlag, Ein rechtliches Nachspiel scheint sicher, auch wenn die Polizei in ihrer Bilanz nichts von der Aktion erwähnt. Vermummte, es waren mindestens zwei, hatten an der Ecke Nollendorfer Straße das Ärztehaus besetzt, um Bengalfeuer anzuzünden. Mindestens wegen Hausfriedensbruch, möglicherweise aber wegen versuchter Brandstiftung, würde ermittelt, sagte eine Polizeisprecherin vor Ort.
Die Täter sind nach wie vor unerkannt. Noch bevor die Polizei zugreifen kann, entschwanden sie wieder. Dafür kommt es aus den Reihen der Gegendemonstranten zu Attacken auf Polizeibeamte. Fünf werden in Gewahrsam genommen. Vier Polizisten sind verletzt, als die Demo vorbei ist, aber weiterhin fähig, zu arbeiten.
Lautstark haben die Jenaer an diesem Abend gezeigt, was sie von Neonazi-Aufmärschen in ihrer Stadt halten. Größtenteils haben sie friedlich demonstriert. Allerdings, auch das gehört zum Lagebild dazu, gab es wieder Unverbesserliche, die mit Aktionen weit jenseits des zivilen Ungehorsam aufwarteten. Da war die Bengalaktion auf dem Dach, die Stürmung der Absperrung in der Nollendorfer Straße, die Attacke auf einen Polizeibeamten mit einer Holzlatte und es gab mehrere Widerstandshandlungen und Verstöße gegen das Vermummungsverbot. Sechs Anzeigen wegen Körperverletzung finden sich in der polizeilichen Statistik. Dass ausgerechnet ein Gegendemonstrant sich eine Anzeige einhandelte, weil er den Hitlergruß zeigte und „Sieg heil“rief, liest man in der Statistik.
Kein Wort fällt hier allerdings darüber: Teilnehmer der Thügida-Demo zeigten offen den sogenannten Kühnengruß, der eine Abwandlung des Hitlergrußes darstellt. Er gilt als verfassungsfeindliches Symbol, was aber in der jüngsten Vergangenheit von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich ausgelegt wurde. In Sachsen, so berichtete die Leipziger Volkszeitung vor einigen Monaten, habe die Generalstaatsanwaltschaft beim Kühnengruß einen klaren Straftatbestand nach § 86a festgestellt. In Potsdam ist zu Jahresbeginn ein 39-Jähriger zu einer Geldstrafe verurteilt worden – auch er hatte den Kühnengruß gezeigt. Offene Drohungen gab es darüber hinaus gegen die Landtagsabgeordnete Katharina König, den Chef der Jenaer Versammlungsbehörde und den Polizeieinsatzleiter.
Eine deutliche Reaktion der Polizeibeamten gab es allerdings in einem anderen Fall. Nachdem das Thügida-Mobil auf der Proteststrecke im Damenviertel zunächst unter einem von Anwohnern über die Straße gespannten Plakat mit der Aufschrift „Endspurt statt Endsieg“auf dem Weg zur Zwischenkundgebung durchgefahren war, störte dieses Banner offenbar auf dem Rückweg – unter der Begründung, dass es zu tief hinge, wurde es von einem der Polizei bekannten Neonazi abgerissen. Ihm droht eine Anzeige wegen Sachbeschädigung. Der Staatsschutz ermittelte, weil zahlreiche Thügida-Mitstreiter Fahnen dabei hatten, die an die Reichskriegsflagge erinnerten. Auf einer war sogar ein Reichsadler abgebildet mit Ehrenkranz – statt Hakenkreuz wurde hier aber ein eisernen Kreuz verwendet. Die Polizei resümiert allerdings: „Die Fahnen waren nach jetzigem Stand strafrechtlich nicht relevant.“