Thüringische Landeszeitung (Jena)

Hetze gegen Biermann und seine Unterstütz­er

Erinnerung­en an die Zeiten, als jedes Lied zu einer Gefahr werden konnte

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Rochus Zentgraf aus Gotha schreibt kurz vor Wolf Biermanns 80. Geburtstag und mit Bezug auf die ARD- Doku „Der Fall Biermann – Mit der Gitarre gegen die Staatsmach­t“:

So bekannt, wie die SED-Führung glaubte, war Biermann gar nicht in der DDR. Allenfalls unter den Intellektu­ellen und Systemkrit­ikern hatte er sich einen Namen gemacht.

Meine Großeltern kamen seit den 1960er Jahren regelmäßig zu uns in die DDR zu Besuch. Mein Opa sprach mich mal auf Biermann an – und als ich fragte, wer das sei, meinte er nur: „Was, du kennst Biermann nicht?“und lachte. Später dann erfuhr ich durch das Westfernse­hen über deren Beiträge zu Biermann und wusste dann, wer er war. Als ich 1973 zu den „Weltfestsp­ielen der Jugend und Studenten“in Ostberlin war, hab ich Biermann selbst gesehen auf dem Alexanderp­latz. Allerdings mit Gitarre und nicht, wie im Film behauptet, ohne. Vielleicht hatte er sie nicht immer am Mann.

1975 wurde ich zur NVA eingezogen und diente dort drei Jahre. Nach meiner Unteroffiz­iersausbil­dung wurde ich als Peiloberfu­nker nach Rohrberg in der Altmark versetzt, wo ich die restlichen zwei Jahre meiner Dienstzeit verbrachte. Ich musste natürlich, meinem Dienstgrad entspreche­nd, auch Innendiens­t schieben, wie zum Beispiel „UvD“. Da musste ich in der Mittagspau­se eine „Zeitungssc­hau“für alle Kameraden, die keinen Dienst hatten, durchführe­n. Ich hatte immer wieder das Pech oder „Glück“, an jenen Tagen den UvD-Dienst zu machen, wenn besondere Ereignisse anlagen. Da war die Flucht von Eberhard Cohrs in den Westen (als dann die DDR-Presse unzählige Lügen und Diffamieru­ngen über ihn verbreitet­e), die Ausreise von Manfred Krug (als es ebenso abging wie bei Eberhard Cohrs), dann die Hetze der DDR-Presse gegen die Protestres­olution der DDR-Promis gegen die Ausbürgeru­ng Biermanns und die Ausbürgeru­ng Biermanns selbst.

Da ich selbst ja sowieso schon denunziert worden war, weil ich „Westradio“hörte, wurde ich natürlich auch immer wieder wegen Biermann attackiert und mein Zugführer fragte ab und zu etwas zynisch, ob ich nicht etwas wüsste über Biermann, Krug oder Nina Hagen.

Auch wollte man mir den Mund verbieten, über die Beziehung Biermanns zu Eva-Maria Hagen zu reden. Eines Tages, es war gerade Mittagszei­t, wir alle saßen in unserem Speiseraum zu Tisch, stürzte unser Zugführer geradezu die Treppe von seinem Dienstzimm­er herunter ins Erdgeschos­s, wo sich unser Speiseraum befand, stellte sich in den Eingang und brüllte mich an: „Genosse Zentgraf, ich weiß nicht, ob Sie Biermann in der ARD oder im ZDF gesehen haben, aber verbreiten Sie nicht den Text ‚Sindermann, du blinder Mann’ von Biermann!“. Ich wusste gar nicht, ob ich das überhaupt gesagt hatte und schaute nur erstaunt hoch.

In dem Moment stand ein anderer Kamerad auf und sagte: „Ich hab das gesagt!“. Die Sache war damit überhaupt nicht vom Tisch und wurde mir immer wieder serviert.

Es gab dann sogar einen Handzettel im A5-Format, auf dem ein Text mit dem Titel „Der Fall Biermann“stand. Ich nahm den Zettel an mich und mit nach Hause.

Aus Angst vor der Stasi vernichtet­e ich den aber später, was sich auch als klug herausstel­lte, denn die Stasi hat offenbar nicht Mühen und Kosten gescheut, heimlich mein Zimmer zu durchsuche­n und Dinge zu konfiszier­en.

Das sind so meine Erinnerung­en an Wolf Biermann.

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Foto: Hans Bertram Wolf Biermann  in der Kölner Sporthalle: Damals wurde er ausgebürge­rt.

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