Thüringische Landeszeitung (Jena)
Strich für Strich zum ruhigen Ich
Kinder malen und zeichnen meist ganz von selbst. Doch künstlerische Betätigung mit Stift und Papier kann einen glücklich machenden Zustand erzeugen – und sich in jedem Alter und in jeder Lebenslage lohnen
Ständiges Surfen im Internet, Selbstoptimierung und allgegenwärtiger Leistungsdruck – die durchdigitalisierte Welt mit all ihren Reizüberflutungen kann ganz schön anstrengend sein. Kein Wunder, dass sich immer mehr Menschen analogen Ausgleich suchen.
Der Griff zu Stift und Papier verspricht dabei besonders entspannend zu sein, wie man an den aktuellen Mal- und Zeichentrends beobachten kann. Das Angebot an immer neuen Ausmalbüchern ist riesig und die Nachfrage nach Buntstiften dabei so stark angestiegen, dass einige Hersteller mit der Produktion kaum nachkommen. Ob Zentangeln, Ausmalen, Doodling oder sogar das lange als unkreativ befundene Malen-nachZahlen – das Spektrum an Möglichkeiten, in größter Ruhe künstlerisch aktiv zu werden, ist groß. Dabei hat die neue Malwelle kaum etwas mit der seit Mitte des 20. Jahrhunderts bekannten Kunsttherapie zu tun, bei der Patienten Erfahrungen und auch extreme Gefühle verarbeiten sollen. Bei den verschiedenen aktuellen Maltrends geht es vor allem um Entspannung.
Ganz bei sich am Zeichenblock
Die wird vor allem durch den sogenannten Flow erzeugt, also den glücklich machenden Zustand völliger Konzentration auf eine Sache. Multitasking und friedliches Zeichnen sind schließlich kaum zu vereinbaren. Passend dazu verändert sich das Erleben von Zeit und Raum. Malend und zeichnend taucht man ähnlich wie beim Meditieren ein in eine eigene Welt und kann so leichter Abstand vom alltäglichen Ballast und sonstigen Problemen gewinnen. Zudem soll das Ausmalen und Zeichnen nach den neuen Methoden gar keine hohe Kunst ergeben. Es geht also weniger um das Ergebnis als um die Tätigkeit an sich, die weder über- noch unterfordern soll.
Dass sich die künstlerische Betätigung tatsächlich positiv auswirkt, zeigen verschiedenste wissenschaftliche Untersuchungen. Weniger überraschend ist indes, dass Malen und Zeichnen die Wahrnehmung und Konzentrationsfähigkeit verbessern. Die Feinmotorik wird trainiert, was sich besonders bei kleinen Kindern, aber auch bei älteren Menschen lohnt. Durch künstlerische Betätigung erhöht sich die Stressresistenz deutlich, außerdem wird die Anzahl an neuronalen Verbindungen gesteigert, was wiederum gut für das Gedächtnis ist. So kann man malend und zeichnend nicht nur mehr Entspannung und Zufriedenheit erlangen, sondern tatsächlich auch ein Stück Lebenskunst.