Thüringische Landeszeitung (Jena)
Frau Holle liebt Klöße
Sabine Wienker-Piepho hat sich mit Leib und Seele den Märchen verschrieben
Sabine Wienker-Piepho ist Erzählforscherin. Sie ist Professorin an der Universität in Jena und befasst sich seit über 40 Jahren mit dem Thema Märchen. Seit Tausenden von Jahren werden Geschichten erzählt, egal ob bei der Arbeit, Freizeit oder an der Universität. „Vermutlich haben sich bereits die Steinzeitmenschen Märchen erzählt, wir können es nur nicht beweisen“, sagt die 70-Jährige.
Nicht nur in Jena ist sie unterwegs, sondern auch in Meiningen. In der Südthüringer Stadt gibt es neben dem berühmten Theater auch ein Märchen- und Sagenfest. Das ist in diesem Jahr vom 30. Oktober bis zum 24. Dezember. Dort ist die Professorin auch anzutreffen. „Ich werde meine Studenten dort mit hinnehmen“, sagt sie. Denn Meiningen hat für die Thüringer Märchenforscher eine besondere Bedeutung. Ludwig Bechstein sammelte und schrieb vor etwa 200 Jahren dort viele Märchen auf. Er war großer Fan von Jacob und Wilhelm Grimm, die einer der Ersten waren, die die Geschichten aufschrieben. Was zuvor nur von Mund zu Mund weitergegeben wurde, konnte nun in Büchern nachgeschlagen werden.
„Die Grimms wandelten die Erzählungen für Erwachsene in Geschichten für Kinder um. Sie strichen Sachen heraus, die nicht für Kinder geeignet waren“, sagt Sabine Wienker-Piepho. Ludwig Bechstein tat das auch, mit kleinen Veränderungen. Bis heute gebe es noch immer eine Debatte, wie grausam Märchen für Kinder sein dürfen, wie sie sagt. Sie haben eine andere Funktion: Wir lernen mit unterschiedlichen Situationen umzugehen, auch mit dem Tod. „Doch den Tod gibt es nicht im Märchen, auch nicht im Totenhemdchen bei den Grimms. Denn das Kind kommt wieder.“In dieser Erzählung stirbt ein Kind, doch es erscheint der trauernden Mutter immer wieder. Eines Tages kommt das Kind mit einem weißen Hemd. Das sei so schwer, beklagt es sich, es ist voll mit Tränen. Die Mutter solle aufhören zu weinen. Der Märchensammler Ludwig Bechstein wandelte diese Geschichte. In seiner Version zieht Frau Holle mit den Kindern umher. Eines der Kinder hat einen Tränenkrüglein, das schwerer und schwerer wird, wegen der Trauer der Mutter.
Frau Holle schenkte den Thüringern übrigens das Kloß-Rezept, weil ihr, der Sage nach, der Meininger Wein nicht schmeckte. Frau Holle sagte: „Hier hast du das Rezeptum, hüt‘ es.“Deshalb heißen die Klöße in Meiningen auch Hütes.