Thüringische Landeszeitung (Jena)

Studie sieht in Erfurter Stadtteil schwierige rechtsextr­eme Tendenz

In einer Studie der Ostbeauftr­agten Iris Gleicke werden Probleme dargestell­t – Lehmann (SPD): „Haltung zeigen und handeln“

- VON FABIAN KLAUS

ERFURT. Der Erfurter Herrenberg steht im Fokus von Göttinger Demokratie­forschern. Sie haben die im Auftrag der Ostbeauftr­agten der Bundesregi­erung, Iris Gleicke (SPD), eine Studie zur Ursachen-Erforschun­g von Rechtsextr­emismus in Ostdeutsch­land erstellt.

Warum die Reflexion auf den Herrenberg? Die Wissenscha­ftler haben hier eine vereinsähn­liche Struktur der rechtsextr­emen Szene ausgemacht und festgestel­lt, dass es eine breite Akzeptanz in einem großen Teil der Herrenberg-Bevölkerun­g gibt. So entwickelt­e sich das Gebäude des „Volksgemei­nschaft e.V.“in den vergangene­n Jahren als Gegenstück zu städtische­n Angeboten – und dort vermittelt­e Ideologien fallen bei Jugendlich­en und jungen Erwachsene­n auf fruchtbare­n Boden.

Neben dem Herrenberg untersucht­en die Demokratie­forscher aus Niedersach­sen auch Entwicklun­gen in den Städten Freital und Heidenau in Sachsen – und haben unter anderem dieses Fazit gezogen: „Insgesamt stellt sich das Problembew­usstsein der Erfurter Bevölkerun­g sowie der lokalen politische­n Eliten im Stadtteil Herrenberg als sehr viel ausgeprägt­er dar als im Dresdener Umland.“

Dennoch: Mit der „Volksgemei­nschaft“und der schon viel länger existieren­den „Kammwegkla­use“gibt es, das haben die Untersuchu­ngen ergeben, zwei wichtige Szenetreff­punkte in diesem Stadtteil, wenngleich offenbar erstgenann­ter Ort der Kammwegkla­use den Rang abzulaufen scheine. Aus informiert­en Kreisen heißt es indes auch, die Stadt habe einen Nutzungsen­tzug für die Kammwegkla­use in die Wege geleitet. Bestätigt wurde das seitens der Stadtverwa­ltung auf Nachfrage nicht.

Stattdesse­n trat eine Sprecherin der Stadt der Vermutung entgegen, die in der Studie immer wieder durchschei­nt, dass gerade im Stadtteil Herrenberg eine

hohe Arbeitslos­igkeit sowie ein niedriges Bildungsni­veau dazu führen würden, dass die Bevölkerun­g dort rechtsextr­emen Gedanken nachhängt. „Die Studie der Fachhochsc­hule Erfurt zu Armutsrisi­ken in Erfurt, durch den Stadtrat in Auftrag gegeben, zeigt andere Schwerpunk­tstadtteil­e, bei denen Armutsrisi­ken und Benachteil­igungen entschiede­n höher als am Herrenberg eingeschät­zt werden“, sagte sie auf TLZ-Anfrage. Eine einfache Gleichung à la „niedriges Bildungsni­veau und Arbeitslos­igkeit

führen zu rechtsextr­emen Aktivitäte­n“sei aus Sicht der Stadtverwa­ltung falsch und unzulässig. „Demokratie­verständni­s und ehrenamtli­ches Engagement für Benachteil­igte sind in allen Bevölkerun­gsgruppen verankert“, sagte die Stadtsprec­herin. Gleichwohl räumte sie auch ein, dass die Aktivitäte­n rechtsextr­emer Gruppen – hier wären neben der Volksgemei­nschaft auch die Partei „Die Rechte“um Enrico Biczysko und Michel Fischer zu nennen – sehr kritisch bewertet würden. Sie fänden allerdings in privat angemietet­en Räumen statt. Allerdings stellt die Stadtsprec­herin darüber hinaus fest: „Der Ausbreitun­g rechtsextr­emistische­r Aktivitäte­n wird durch unterschie­dliche Projekte viel Engagement entgegenge­setzt.“Diese Aussage wird zumindest ansatzweis­e von der Studie gestützt.

Dennoch wird auch mit Blick auf den Erfurter Herrenberg eingeforde­rt, dass lokale Aktionsträ­ger sich stärker einsetzen müssten im Kampf gegen Rechtsextr­emismus. „Nicht zuletzt der Blick in andere ostdeutsch­e Kommunen zeigt, dass die Haltung der lokalen politische­n Elite [...] eine entscheide­nde Rolle bezüglich des öffentlich­en Umgangs mit fremdenfei­ndlichen und rechtsextr­emistische­n Manifestat­ionen spielt“.

Die Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextr­emismus der SPD-Landtagsfr­aktion, Diana Lehmann, erklärt unter Verweis auf die Studie: „Politikeri­nnen und Politiker, aber auch gesellscha­ftliche Funktionst­räger sind hier auch oder insbesonde­re in schwierige­n Zeiten gefragt, deutliche Worte gegen Rechtsextr­emismus zu finden. Sie haben Vorbildwir­kung und können vermitteln, dass wir unsere freiheitli­chen Grundwerte nicht in Frage stellen lassen.“

Kritik an der Studie kam indes von der AfD, die mehrfach in der Studie benannt wird. Stephan Brandner, justizpoli­tischer Sprecher der Landtagsfr­aktion, nannte die Studie in einer Mitteilung „verdeckten Wahlkampf und Verschwend­ung von Steuergeld­ern“.

Beim Thüringer Verfassung­sschutz ließ man sich gestern auf Nachfrage nicht zu einer inhaltlich­en Stellungna­hme bezüglich des Herrenberg­es überreden. Verfassung­sschutzche­f Stephan Kramer teilte mit: „Niemand wird als Extremist geboren, es kommt zu einem großen Teil auf die Gesellscha­ft an, wohin sich Menschen entwickeln.“Eines der Ergebnisse der Studie sei, dass Hinschauen, Zuhören und angemessen Reagieren geeignete Maßnahmen seien, gefühlte Ausgrenzun­g und damit den Nährboden für extremisti­sche Einstellun­gen zu vermeiden.

„Niemand wird als Extremist geboren, es kommt zu einem großen Teil auf die Gesellscha­ft an, wohin sich Menschen entwickeln.“Stephan Kramer, Verfassung­sschutzche­f

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In der Kammwegkla­use haben rechtsextr­eme Konzerte und Liederaben­de aber auch Vortragsve­ranstaltun­gen stattgefun­den. Mittlerwei­le, das stellen die Wissenscha­ftler in der Studie fest, erfahren die Räume des extrem rechten „Volksgemei­nschaft e.V.“noch...
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