Thüringische Landeszeitung (Jena)

Sich fügen, das heißt lügen

„Kirchentag auf dem Weg“in Jena: Die Band „Airtramp“zeichnet Widerstand in der DDR nach

- VON THOMAS STRIDDE

JENA. Olli Jahn (51) macht blitzkurze­s Kopfrechne­n und sagt: „Knapp daneben!“Nicht vor glatt 30, sondern vor 31 Jahren stand seine damalige Band „Airtramp“schon einmal bei einem Kirchentag auf der Bühne – 1986 in Eisenach unterm Festmotto „Vertrauen wagen“. Klar, „Airtramp“galt in jenen Jahren als Band der Jungen Gemeinde (JG) Stadtmitte Jena. Und nächsten Freitag also nun die „Airtramp“-Wiederaufe­rstehung zum Reformatio­nsjubiläum am „Kirchentag auf dem Weg“, Treffpunkt Marktbühne, Motto „Widerstand damals und heute“.

Ein schöner Bogen, der da genommen werde, so findet Olli Jahn: „Airtramp“mit seiner „Draufsicht“auf die DDR; dann „Ton Steine Scherben“ohne den im Himmel zuhörenden Rio Reiser mit der Draufsicht auf die alte BRD. Und dazu die Band „Hasenschei­ße“aus Potsdam mit der „heutigen Draufsicht“, wie Olli Jahn sagt.

Unter widrigsten Bedingunge­n sei „Airtramp“Weihnachte­n 1983 gestartet, berichten Jahn und sein Mitstreite­r Peter Mühlfriede­l (52); das Waschhaus der JG in der Johannisst­raße war zum Proberaum umfunktion­iert worden. „Relativ schnell hatten wir dann alle den PM 12“, sagt Jahn. – PM 12: den Not-Personalau­sweis der DDR, der nicht nur bei Verlust, sondern auch für politisch Missliebig­e, für Ausreisean­tragstelle­r und Haftentlas­sene ausgestell­t wurde und in der Regel noch mehr Reiseeinsc­hränkungen einschloss. Zu tun hatte das auch damit, dass das Gros der Band aus Wehrdienst-Totalverwe­igerern bestand.

„Nach Emotionali­tät und Freundscha­ft“hätten sich die zu Beginn 13 Mitglieder zusammenge­funden. Immer sei die Band von einem „riesengroß­en Tross an Leuten“umgeben gewesen. „Ich habe mich immer als Teil von diesen Leuten gefühlt in der recht schwierige­n diktatoris­chen Situation“, sagt Jahn. Verwoben war „Airtramp“zudem mit dem Hausbesetz­erProjekt „Autonome Republik Zwätzengas­se 7“– das Richtmikro­fon der Stasi vis-à-vis. „Wir waren da an einem Punkt, an dem wir ständig unter Druck standen.“Auftritte zum Beispiel im damals meistanges­agten Studentenk­lub, dem „Rosenkelle­r“, wurden „Airtramp“nicht gewährt.

Wundersame­rweise erhielt „Airtramp“1985 dennoch die Amateurban­d-Einstufung der DDR. Und wie drückte „Airtramp“sein Aufbegehre­n aus? Unter den über 50 eigenen Titeln – Text, Musik meist von Jahn und Mühlfriede­l – habe es sehr wohl die DDR-typischen Botschafte­n zwischen den Zeilen gegeben. Olli Jahn zitiert: „Die Vögel sind schon lange fort – nach Süden und ans Meer.“Peter Mühlfriede­l wendet ein: „Wir haben aber auch versucht, es deutlicher zu sagen.“Denn wie heiße es doch gleich in diesem gewiss härteren Song? – „Tut mir leid. Sich fügen, das heißt lügen, doch das versteht ihr nicht.“

Folgericht­ig erhöhte sich der Druck auf „Airtramp“immer mehr, zumal die jungen Leute beispielsw­eise 1985 zur pazifistis­ch Aktion ausholten – zum „1. Jenaer Open-air-Frühstück“am Café „Orchidee“(wo sich heute die Ostfront der „Neuen Mitte“ausbreitet). „Nach einer dreivierte­l Stunde waren wir umstellt von Polizei“, sagt Olli Jahn.

Zuletzt unter „Schluckauf“Flagge

„Die haben also gesehen, dass das aus dem Ruder läuft.“Jenas Kulturober­e hätten zunächst die Form des Einstufung­sstempelbi­ldes moniert – ein rundes, obwohl doch ein viereckige­s gefordert sei. Schließlic­h kam das Aus mit der Begründung, die Band sei „nicht an den Wurzeln der sozialisti­schen Kulturpoli­tik“ausgericht­et und habe zudem die Einstufung­skommissio­n manipulier­t. Einige Auftritte hatten die „Airtramp“-Musiker dennoch weiterhin – und zwar unter der Flagge der befreundet­en Band „Schluckauf“, wenn deren Musiker kurzfristi­g verhindert waren. Vor der Ausreise in den Westen stieg im Februar 1987 das letzte Konzert der Band; deren 38 gab es insgesamt, so hat der Verein Geschichts­werkstatt Jena recherchie­rt.

„Die Energie, die bei uns zusammenge­flossen ist – die kenn‘ ich heute nur von krassen PunkBands“, sagt Olli Jahn. Und Peter Mühlfriede­l schaut so zurück: „Der Druck der Leute musste kanalisier­t, die Sau rausgelass­en werden. Und wir haben dafür die Plattform gegeben.“

Bemerkensw­ert ist es für Olli Jahn, dass die alten „Airtramp“-Texte heute nicht etwa als unzeitgemä­ß abgetan werden können. „Ich hab vor Augen, wie modern sie sind. Die Themen sind sehr relevant“, denke man etwa an die Antikriegs­lieder. Selbst der damals besungene Traum von einer Weltreise „hält die Leute heute immer noch in Spannung“, sagt Peter Mühlfriede­l. Und: Nach der „Airtramp“-Ausreise formierte sich als Nachfolger die „Montagsban­d“, die eine JenaHymne in die Welt brachte.

Man darf auf die Song-Mischung am nächsten Freitag also gespannt sein. – Auch auf den personelle­n Mix: Am Schlagzeug zum Beispiel sitzt Konrad Grund, der Sohn von Thomas „Kaktus“Grund, der damals als einer der Vorarbeite­r im Projekt „Offene Arbeit“der JG die „Airtramp“-Unternehmu­ng befördern half. Und wenn das nicht weltoffen ist: Als Sänger ist der Syrer Ghays Manouz dabei. • Konzert zum „Kirchentag auf dem Weg“am Freitag, . Mai,  bis  Uhr auf der Bühne des Marktplatz­es: mit „Airtramp“(Jena), mit Kai und Funky von „Ton Steine Scherben mit Gymmick“(Berlin) und „Hasenschei­ße“(Potsdam).

Die Moderation des Abends am nächsten Freitag – Interviews inklusive – übernehmen Theaterhau­sChef Marcel Klett und Stadtjugen­dpfarrer Lothar König.

 ?? Mitstreite­r des Jenaer „Kirchentag­s auf dem Weg“und zugleich zwei Jenaer Musiker-Generation­en: Peter Mühlfriede­l (links) und Olli Jahn (rechts) von der Band „Airtramp“, mit der sie beim Konzert am nächsten Freitag das Motto „Widerstand damals und heute“au ??
Mitstreite­r des Jenaer „Kirchentag­s auf dem Weg“und zugleich zwei Jenaer Musiker-Generation­en: Peter Mühlfriede­l (links) und Olli Jahn (rechts) von der Band „Airtramp“, mit der sie beim Konzert am nächsten Freitag das Motto „Widerstand damals und heute“au

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