Thüringische Landeszeitung (Jena)
Sich fügen, das heißt lügen
„Kirchentag auf dem Weg“in Jena: Die Band „Airtramp“zeichnet Widerstand in der DDR nach
JENA. Olli Jahn (51) macht blitzkurzes Kopfrechnen und sagt: „Knapp daneben!“Nicht vor glatt 30, sondern vor 31 Jahren stand seine damalige Band „Airtramp“schon einmal bei einem Kirchentag auf der Bühne – 1986 in Eisenach unterm Festmotto „Vertrauen wagen“. Klar, „Airtramp“galt in jenen Jahren als Band der Jungen Gemeinde (JG) Stadtmitte Jena. Und nächsten Freitag also nun die „Airtramp“-Wiederauferstehung zum Reformationsjubiläum am „Kirchentag auf dem Weg“, Treffpunkt Marktbühne, Motto „Widerstand damals und heute“.
Ein schöner Bogen, der da genommen werde, so findet Olli Jahn: „Airtramp“mit seiner „Draufsicht“auf die DDR; dann „Ton Steine Scherben“ohne den im Himmel zuhörenden Rio Reiser mit der Draufsicht auf die alte BRD. Und dazu die Band „Hasenscheiße“aus Potsdam mit der „heutigen Draufsicht“, wie Olli Jahn sagt.
Unter widrigsten Bedingungen sei „Airtramp“Weihnachten 1983 gestartet, berichten Jahn und sein Mitstreiter Peter Mühlfriedel (52); das Waschhaus der JG in der Johannisstraße war zum Proberaum umfunktioniert worden. „Relativ schnell hatten wir dann alle den PM 12“, sagt Jahn. – PM 12: den Not-Personalausweis der DDR, der nicht nur bei Verlust, sondern auch für politisch Missliebige, für Ausreiseantragsteller und Haftentlassene ausgestellt wurde und in der Regel noch mehr Reiseeinschränkungen einschloss. Zu tun hatte das auch damit, dass das Gros der Band aus Wehrdienst-Totalverweigerern bestand.
„Nach Emotionalität und Freundschaft“hätten sich die zu Beginn 13 Mitglieder zusammengefunden. Immer sei die Band von einem „riesengroßen Tross an Leuten“umgeben gewesen. „Ich habe mich immer als Teil von diesen Leuten gefühlt in der recht schwierigen diktatorischen Situation“, sagt Jahn. Verwoben war „Airtramp“zudem mit dem HausbesetzerProjekt „Autonome Republik Zwätzengasse 7“– das Richtmikrofon der Stasi vis-à-vis. „Wir waren da an einem Punkt, an dem wir ständig unter Druck standen.“Auftritte zum Beispiel im damals meistangesagten Studentenklub, dem „Rosenkeller“, wurden „Airtramp“nicht gewährt.
Wundersamerweise erhielt „Airtramp“1985 dennoch die Amateurband-Einstufung der DDR. Und wie drückte „Airtramp“sein Aufbegehren aus? Unter den über 50 eigenen Titeln – Text, Musik meist von Jahn und Mühlfriedel – habe es sehr wohl die DDR-typischen Botschaften zwischen den Zeilen gegeben. Olli Jahn zitiert: „Die Vögel sind schon lange fort – nach Süden und ans Meer.“Peter Mühlfriedel wendet ein: „Wir haben aber auch versucht, es deutlicher zu sagen.“Denn wie heiße es doch gleich in diesem gewiss härteren Song? – „Tut mir leid. Sich fügen, das heißt lügen, doch das versteht ihr nicht.“
Folgerichtig erhöhte sich der Druck auf „Airtramp“immer mehr, zumal die jungen Leute beispielsweise 1985 zur pazifistisch Aktion ausholten – zum „1. Jenaer Open-air-Frühstück“am Café „Orchidee“(wo sich heute die Ostfront der „Neuen Mitte“ausbreitet). „Nach einer dreiviertel Stunde waren wir umstellt von Polizei“, sagt Olli Jahn.
Zuletzt unter „Schluckauf“Flagge
„Die haben also gesehen, dass das aus dem Ruder läuft.“Jenas Kulturobere hätten zunächst die Form des Einstufungsstempelbildes moniert – ein rundes, obwohl doch ein viereckiges gefordert sei. Schließlich kam das Aus mit der Begründung, die Band sei „nicht an den Wurzeln der sozialistischen Kulturpolitik“ausgerichtet und habe zudem die Einstufungskommission manipuliert. Einige Auftritte hatten die „Airtramp“-Musiker dennoch weiterhin – und zwar unter der Flagge der befreundeten Band „Schluckauf“, wenn deren Musiker kurzfristig verhindert waren. Vor der Ausreise in den Westen stieg im Februar 1987 das letzte Konzert der Band; deren 38 gab es insgesamt, so hat der Verein Geschichtswerkstatt Jena recherchiert.
„Die Energie, die bei uns zusammengeflossen ist – die kenn‘ ich heute nur von krassen PunkBands“, sagt Olli Jahn. Und Peter Mühlfriedel schaut so zurück: „Der Druck der Leute musste kanalisiert, die Sau rausgelassen werden. Und wir haben dafür die Plattform gegeben.“
Bemerkenswert ist es für Olli Jahn, dass die alten „Airtramp“-Texte heute nicht etwa als unzeitgemäß abgetan werden können. „Ich hab vor Augen, wie modern sie sind. Die Themen sind sehr relevant“, denke man etwa an die Antikriegslieder. Selbst der damals besungene Traum von einer Weltreise „hält die Leute heute immer noch in Spannung“, sagt Peter Mühlfriedel. Und: Nach der „Airtramp“-Ausreise formierte sich als Nachfolger die „Montagsband“, die eine JenaHymne in die Welt brachte.
Man darf auf die Song-Mischung am nächsten Freitag also gespannt sein. – Auch auf den personellen Mix: Am Schlagzeug zum Beispiel sitzt Konrad Grund, der Sohn von Thomas „Kaktus“Grund, der damals als einer der Vorarbeiter im Projekt „Offene Arbeit“der JG die „Airtramp“-Unternehmung befördern half. Und wenn das nicht weltoffen ist: Als Sänger ist der Syrer Ghays Manouz dabei. • Konzert zum „Kirchentag auf dem Weg“am Freitag, . Mai, bis Uhr auf der Bühne des Marktplatzes: mit „Airtramp“(Jena), mit Kai und Funky von „Ton Steine Scherben mit Gymmick“(Berlin) und „Hasenscheiße“(Potsdam).
Die Moderation des Abends am nächsten Freitag – Interviews inklusive – übernehmen TheaterhausChef Marcel Klett und Stadtjugendpfarrer Lothar König.