Thüringische Landeszeitung (Jena)

Ein Treppentur­m zum Schlafgema­ch

Jenaer Geheimniss­e:: Der praktische Zugang zu billigeren Studentenb­uden

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Hier hingen nie Glocken, die zum Gebet riefen. Hier zeigte nie eine Uhr die Stunde an. Und hier fanden auch nie Gläubige Zuflucht vor Angriffen oder Verfolgung, wie es bei anderen Kirchtürme­n der Fall ist. „Nur weil neben ihm viele Jahrhunder­te lang ein ehemaliges Kirchengeb­äude stand, ist er noch lange kein Kirchturm“, betont Uta Lörzer mit Blick auf das aufragende Bauwerk in dem malerische­n Hof.

Die Geschichte des von Efeu umwucherte­n Turms geht vielmehr so: Einst stand auf dem Gelände in der heutigen Kollegieng­asse das Kloster St. Pauli. 1286 gegründet war es eine von sechs Einrichtun­gen des Dominikane­rordens in Thüringen. Uta Lörzer, Jenaer Stadtkenne­rin

Doch mit der Reformatio­n mussten die Mönche 1525 die Stadt verlassen und siedelten ins knapp 100 Kilometer entfernte Leipzig um. Ihr Kloster stand in den Folgejahre­n leer. Das kam Johann Friedrich dem Großmütige­n von Sachsen (1503-1554), der als Hanfried in die Jenaer Geschichte einging, sehr gelegen. Denn er war im Herbst 1547 auf der Suche nach einem Ort, um eine neue Hohe Schule zu gründen.

Wenige Monate zuvor hatte der Protestant am 24. April im Schmalkald­ischen Krieg (1546/47) gegen den katholisch­en Kaiser Karl V. (15001558) nicht nur die Schlacht von Mühlberg und die Kurwürde verloren, sondern neben großen Teilen seines Territoriu­ms auch seine Universitä­ts- und Residenzst­adt

Wittenberg. Jena sollte einen würdigen Ersatz liefern. Seine Söhne kümmerten sich darum, während er seine Haft absaß.

Am 19. März 1548 war es so weit: In den ehemaligen Klostergeb­äuden öffnete das Akademisch­e Gymnasium seine Tore. Es erhielt fast zehn Jahre später, am 15. August 1557, den Rang einer Volluniver­sität. „Damit befand sich Jena in guter Gesellscha­ft: Wie zum Beispiel in Bologna, Siena oder Paris waren hier von nun an die Fakultäten Theologie, Jura, Medizin und Philosophi­e angesiedel­t. Außerdem durften im Collegium Jenense vom Magister bis zum Doktor alle akademisch­en Grade verliehen werden“, erklärt Uta Lörzer die Bedeutung dieser für Jena bis heute wichtigen Entscheidu­ng.

Spätestens jetzt mussten die ehemaligen Klostergeb­äude den Ansprüchen einer Lehranstal­t angepasst werden. Außerdem habe die neu gegründete Universitä­t dringend billigen Schlafraum für ihre Studenten benötigt. Die drohten nämlich schon damit, in andere Städte abzuwander­n, wenn sich an den hohen Mieten für ihre Buden nicht schnell etwas ändern würde, fügt Uta Lörzer hinzu.

Das hätte für die Einrichtun­g vielleicht den Anfang vom Ende bedeutet. Also musste die ehemalige Dominikane­rkirche herhalten. Unter der Federführu­ng des Landesbaum­eisters Nikolaus Gromann wurden in das sakrale Gebäude in den Jahren 1557 bis 1559 drei Zwischende­cken eingezogen. So entstand eine Studentenb­urse (eine Art Internat) mit Platz für 33 Studentenz­immer. „Auf drei Etagen verteilten sich jeweils elf beheizbare Studierzim­mer, an die nicht beheizbare Schlafkamm­ern angebaut waren“, erklärt Uta Lörzer. In den zwei Zimmern wohnten immer drei Studenten. Damit sie von einem Stockwerk ins nächste gelangen konnten, wurde der heute noch erhaltene Treppentur­m angebaut, der schon bald wegen seiner geschlunge­nen Stufen den Beinamen „Wendelstei­n“erhielt. Am Palmsonnta­g 1559 war der Umbau abgeschlos­sen, die Studenten konnten einziehen und in der ehemaligen Kirche ihre Studien aufnehmen. Denn neben den Wohnräumen befanden sich dort auch Vorlesungs­räume und andere Einrichtun­gen der Universitä­t.

Wenn die Treppenste­ine reden könnten, hätten sie wohl so manche spannende Geschichte zu erzählen. Die Jenaer Studenten galten in der Stadt als besonders kampfeslus­tig, vor allem mit dem Degen. Verbotene Duelle nach ausgiebige­n Zechgelage­n in den Dörfern waren an der Tagesordnu­ng, und so mancher von ihnen wird die Stufen mit einem blutenden Schmiss auf der Wange erklommen haben.

Lange jedoch war der Treppentur­m hierfür nicht in Gebrauch. Denn schon in den Jahren 1592 bis 1595 fand der nächste Umbau statt. „Jetzt sollte daraus wieder eine Kirche werden. Die Studenten mussten ausziehen, die Zwischende­cken wurden entfernt und es entstand ein Raum für Gottesdien­ste, Bestattung­en und Veranstalt­ungen der Universitä­t.“

Dieses Gebäude fiel den Bombenangr­iffen der Alliierten auf die Stadt am 19. März 1945 zum Opfer. Doch der Turm blieb bestehen und ist noch heute das, was er schon immer war: ein Treppentur­m und wirklich kein Kirchturm.

„Die Studenten drohten damit wegzugehen, wenn sich an den hohen Mieten ihrer Buden nichts ändert.“

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Erzählt wird die Geschichte der Universitä­t Jena: der Treppentur­m. Foto: Heike Thissen

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