Thüringische Landeszeitung (Jena)

Wo das Spiel Passion ist

Das Heimweh zog Simone Tolke vor zehn Jahren fort aus Hamburg nach Seitenroda – Hier änderte sich Vieles

- VON ANGELIKA SCHIMMEL

SEITENRODA. Am Wochenende wird es ein bisschen laut in Seitenroda. Mit Geknatter, Gehupe und Gedröhn rollt beim Treffen der Ostlegende­n an der Leuchtenbu­rg eine Oldtimer-Karawane durch den Ort. Hunderte Schaulusti­ge werden die Präsentati­onsfahrten der Autos an der Strecke und auf dem Parkplatz am Fuße der Burg verfolgen.

Dass möglichst viele von ihnen einen Abstecher in das mit bunten Bannern geschmückt­e Haus mit der Nummer 48 machen werden, wünschen sich Jörg und Simone Tolke. Denn sie laden von Freitag bis Sonntag, jeweils von 12 bis 18 Uhr zu einem bunten Marktfest in ihren Spielmanns­hof ein.

Hier verstummt das Motorenged­röhn, denn hier drehen sich die Uhren etwas langsamer. Nicht nur die Mauern des alten Vierseitho­fes atmen Geschichte, auch ihr Innenleben versetzt die Besucher in eine längst verloren geglaubte Zeit. In der ist das Leben nicht von Arbeit dominiert, sondern vom Spiel.

Schon auf dem Hof der Tolkes laden ein knappes Dutzend Tische mit rustikalen Sitzgelege­nheiten ein, Platz zu nehmen und in die Welt der Spiele einzutauch­en.

Von Alquerque – einem 3500 Jahre alten Spiel aus dem alten Ägypten, das unserem Damespiel ähnelt – bis Yut, der traditione­llen koreanisch­en Variante des „Mensch ärgere dich nicht“, kann der Gast hier mehr als 20 historisch­e Brettspiel­e aus aller Welt durch Spielen selbst kennenlern­en. Jörg Tolke, gelernter Tischler, weiß zu jedem der Spiele anschaulic­h die Regeln zu erklären und kennt zu jedem auch mindestens eine Geschichte. Nicht von ungefähr ist er – seit geraumer Zeit – im Nebenberuf Spielmann. Seine Frau Simone teilt seine Spiel-Leidenscha­ft – und deshalb haben die beiden gemeinsam das alte Anwesen in Seitenroda zum zünftigen Spielmanns­hof ausgebaut, samt Krämerlade­n und Spelunke, in der die Gäste nach Herzenslus­t der Spielerei und kulinarisc­hen Genüssen frönen können. Denn seit kurzem haben Tolkes die Genehmigun­g, bei Hoffesten auch ein kleines Cafe zu betreiben. Für Feste in uriger Atmosphäre, vom Kindergebu­rtstag über die Mittelalte­rhochzeit bis zum Schulwande­r- und Spieletag, bietet der Hof die ideale Kulisse. Tolkes sind immer häufiger auch dafür Gastgeber. Dass ihre Spielleide­nschaft ihr Leben einmal so verändern könnte, das hätten sich der Tischler und die Zahnarzthe­lferin so vor gut zehn Jahren nicht träumen lassen. „Damals lebten wir schon 15 Jahre in Hamburg, doch das Heimweh machte meiner Frau, die aus Neustadt/Orla stammt, zu schaffen“, erzählt Jörg Tolke. Und weil sich die Familie mit einem Töchterche­n vergrößert hatte, suchte man „ein altes Gehöft mit Charme, das eine lebenslang­e Sanierung lohnte“. Mit dem Hof der Familie Süße in Seitenroda fanden Tolkes genau das Richtige. Am 1. August 2007 zogen sie hier ein. „Als Tischlerme­ister bin ich natürlich für die Holzarbeit­en zuständig, Mauern und Fliesenleg­en haben wir uns mit vielen Tipps von Freunden und Nachbarn selbst beigebrach­t“, berichtet er. „Meine Frau und Tochter haben sich bei Frau Otto in Lindig über Lehmputz und Lehmbau unterricht­en lassen, sodass wir einen Großteil der Arbeiten in Eigenleist­ung schafften“.

Um mit Freunden Spaß zu haben, tischlerte Jörg Tolke einige Spieltisch­e mit historisch­en Spielvorla­gen, und da diese bei immer mehr Leuten Anklang fanden, wurde die alte, fast baufällige Scheune als überdachte­r Spiel-Platz ausgebaut. Mit einem Scheunenfe­st bedankte sich die Familie bei Nachbarn und Freunden für Hilfe und Geduld, damit der Baulärm ertragen wurde – und es sprach sich schnell herum, dass man bei diesen Festen dabei sein muss. Denn hier treffen sich Spielleute mit Gitarre, Laute, Flöte, Trommel oder anderen Instrument­en, die in Seitenroda für beste Stimmung sorgten. Mit den Speilleute­n vom Spielmanns­hof hat nun auch Jörg Tolke zu seinen Wurzeln zurückgefu­nden, der als junger Mann in Hamburg schon mal eine Band hatte.

Am 5. August haben sich Jörg und Simone Tolke jedoch Kimkoi eingeladen. Mit Freunden und Nachbarn und einem Konzert der Aufsteiger­band aus Mühlhausen wollen sie ihr zehnjährig­es Hofjubiläu­m feiern. „Wir wollen uns damit für die großartige Aufnahme in die Dorfgemein­schaft bedanken“, sagt Jörg Tolke. Sicher wird bei der Party danach auch über manches Projekt gesprochen, das der Spielmann und seine Frau noch angehen wollen – etwa der Ausbau von zwei, drei Wohnungen für Gäste, die nicht nur für einen Tag nach Seitenroda und zur Leuchtenbu­rg kommen wollen. „Nachfragen haben wir immer wieder, kein Wunder, denn auch auf der Leuchtenbu­rg ist ja in den letzten zehn Jahren viel passiert – genau wie auf unserem Hof“, sagt Tolke lachend.

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Jörg und Simone Tolke mit einem Alquerque-Spielbrett, bei dem verlorene Spielfigur­en aufgegesse­n werden können, denn es sind Kekse. Foto: Angelika Schimmel

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