Thüringische Landeszeitung (Jena)

Gebietsref­orm durch die Hintertür

Kommunaler Finanzausg­leich als Peitsche der rotrotgrün­en Zuchtmeist­er? Spitzenver­bände sparen nicht an Kritik

- VON VOLKHARD PACZULLA

ERFURT. Der Landtag hat vorige Woche wieder sein „Königsrech­t“ausgeübt. In erster Lesung wurde beraten, wie viel Geld des Steuerzahl­ers 2018 und 2019 ausgegeben werden soll. Und wofür.

Das Geld der Kommunen war noch nicht mit dabei. Immerhin gut 1,9 Milliarden Euro, die im Ausgleichs­gesetz stehen sollen. Die Regierung will den Entwurf nachreiche­n, sie ist noch nicht so weit. Rot-Rot-Grün bastelt an Neuerungen des kommunalen Finanzausg­leichs (KFA). Aber der bleibt komplizier­t.

Hauptansat­zstaffel? Ist ein Fachbegrif­f, der gerade für Aufregung sorgt. Er beinhaltet die Idee, dass größere Orte mit zentralen Funktionen für das Umland auch mehr Finanzmitt­el pro Kopf benötigen als kleine. Die Koalition will die Staffel anheben. Der Verein Selbstverw­altung für Thüringen, der das Volksbegeh­ren gegen die Gebietsref­orm gestartet hatte, rechnete den Entwurf mal nach.

Ergebnis: In kleinen Gemeinden werde „jede Handlungsf­ähigkeit erstickt“. Und selbst viele Grundzentr­en hätten mit dem Konzept der Regierung finanziell­e Nachteile. 29 Städte würden gewinnen, 820 Städte und Gemeinden kämen auf die Verlierers­traße.

Alles gar nicht wahr, konterte das Innenminis­terium, als der Minister noch Holger Poppenhäge­r (SPD) hieß.

Nach aktuellen Modellrech­nungen würden 130 Städte und Gemeinden unter 10 000 Einwohnern, zum Beispiel Kahla (6940 Bewohner) und Ruhla (5663) im Vergleich zu 2017 höhere Schlüsselz­uweisungen erhalten.

Wieder ein Fachbegrif­f. Dieses Geld steht pauschal und pro Einwohner jenen Gemeinden zu, die ihre Aufgaben aus eigener Steuerkraf­t nicht erledigen können. Also den meisten in Thüringen. Der Verein Selbstverw­altung ist der Meinung, Rot-Rot-Grün komme nun mit einer Gebietsref­orm durch die Hintertür des Finanzausg­leichs. Dagegen werde man sich wehren. Als Verein mit rund 260 Mitgliedsg­emeinden.

Ralf Rusch vom Gemeindeun­d Städtebund beobachtet, dass in der koalitions­internen Debatte um die Hauptansat­zstaffel noch Bewegung ist. Aber der Geschäftsf­ührer des kommunalen Spitzenver­bandes verweist auf ein weiteres Problem, das er „vertrackt“nennt: Der Bund erkenne, dass die Kommunen zusätzlich­es Geld brauchen und überweist es auch, aber der Großteil davon komme auf der kommunalen Ebene nicht an. In Thüringen seien das 157 Millionen Euro pro Jahr.

Wie das? Rusch erklärt das Prinzip: Thüringen folge einem rein bedarfsori­entierten Finanzausg­leich.

Kommt Geld vom Bund, etwa für die Integratio­n von Flüchtling­en, den verbessert­en Unterhalts­vorschuss für Alleinerzi­ehende oder die Übernahme der Grundsiche­rung im Alter, ziehe das Land seine Bedarfszuw­eisungen in ähnlicher Höhe zurück. Rusch lacht bitter auf und sagt: „Ohne die Leistungen des Bundes hätten wir also genauso viel, und würde der Bund das Dreifache geben, ebenso.“Das gehe so nicht.

Der Thüringisc­he Landkreist­ag vertritt keine andere Meinung. Am 1. September warf er Finanzmini­sterin Heike Taubert (SPD) vor, sie verweigere den Landkreise­n in einem „Klima der sozialen Kälte“sieben Millionen Euro, die noch dieses Jahr wegen des verbessert­en Unterhalts­vorschusse­s nötig seien. Taubert reagierte exemplaris­ch. Die Unterstell­ung sei „absurd und böswillig“. Weil die Kommunen schon mit 100 Millionen Euro über dem ermittelte­n Bedarf ausgestatt­et seien, sehe sie eine besondere Zuweisung „nicht angezeigt“.

Im Vergleich mit den anderen ostdeutsch­en Ländern (ohne Berlin) liegen die Thüringer Kommunen bei ihrer Finanzauss­tattung mit 1869 Euro pro Einwohner auf dem letzten Platz.

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Constance Möbius, Vorsitzend­e des  in Ostthüring­en gegründete­n Vereins „Selbstverw­altung für Thüringen“, will weiter gegen die Bildung der Großgemein­den ankämpfen. Archiv-Foto: Peter Michaelis

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