Thüringische Landeszeitung (Jena)

Viele Kirchgemei­nden in Sorge vor Vandalismu­s und Diebstahl

Noch immer sind viele Gotteshäus­er meist geschlosse­n – Regionalbi­schof Kamm erläutert Strategien für mehr Offenheit

- VON GERLINDE SOMMER

WEIMAR. Vor zwei Jahren hatte die Evangelisc­he Kirche in Mitteldeut­schland (EKM) angekündig­t, bis 2017 die fast 4000 Kirchen und Kapellen zu öffnen. Sie sollen nicht nur zu Gottesdien­sten zugänglich sein. Was aus dem Projekt Offene Kirchen geworden? Diethard Kamm, Regionalbi­schof Gera-Weimar und Stellvertr­eter der Landesbisc­höfin der Evangelisc­hen Kirche in Mitteldeut­schland (EKM), gibt Auskunft.

Wie steht es um die Kirchen in Mitteldeut­schland: Sind sie mittlerwei­le in der Zahl geöffnet, wie das Ihre Kirche angekündig­t hatte?

Es sind heute mehr Kirchen verlässlic­h geöffnet als noch vor zwei Jahren, in manchen Regionen schon mehr als ein Drittel. Aber wir sind noch lange nicht da, wo wir hinwollen: Egal, wo jemand auf die Klinke einer Kirchentür drückt, soll die Tür auch aufgehen.

Was sind die größten Probleme, die dazu führen, dass Kirchengem­einden ihre Kirchen nicht öffnen?

Sie fürchten vor allem Vandalismu­s und Diebstahl. Nicht alle Menschen wissen noch, wie man sich in einer Kirche benimmt. Die Ängste sind verständli­ch. Menschen, die sich um die Kirche kümmern, wollen sie freilich nicht beschädigt sehen, sondern unversehrt für die nächsten Generation­en erhalten.

Aber sind diese Ängste auch begründet? Kirchengem­einden, die ihre Kirche schon lange Jahre offen haben, erinnern sich mitunter an zwei, drei eher kleinere Vorfälle im Jahr. Hier ist eine Spendenbox geknackt worden, dort hat jemand irgendetwa­s angeschmie­rt. Oft sind die Schäden, wenn jemand in eine geschlosse­ne

„Egal, wo jemand auf die Klinke einer Kirchentür drückt, soll die Tür auch aufgehen.“Diethard Kamm, Regionalbi­schof GeraWeimar und Stellvertr­eter der Landesbisc­höfin, zum ehrgeizige­n Ziel der evangelisc­hen Kirche in Mitteldeut­schland

Kirche einbricht, sogar größer, weil Fenster, Schlösser, Türen zerstört werden. Die Gemeinden mit geöffneten Kirchen betonen aber auch immer wieder, dass die positiven Erfahrunge­n überwiegen, die Menschen überrascht und sehr dankbar sind, eine Kirche offen zu finden.

Was unternehme­n Sie angesichts der Befürchtun­gen? Die Kirchengem­einden können eine Versicheru­ng abschließe­n, die es extra für geöffnete Kirchen

gibt; sie wird subvention­iert von der Landeskirc­he. Das nutzen etliche Gemeinden auch schon. Und ganz praktisch: Was nicht niet- und nagelfest ist, kann weggeräumt und zum Sonntagsgo­ttesdienst wieder hingestell­t werden. Die Nachbarn um die Kirche herum – ob Kirchenmit­glieder oder nicht – können angesproch­en werden, ein Auge auf die Kirche zu haben.

… das funktionie­rt?

Aber ja, wir haben wunderbare­n Zuspruch auch von Menschen, die nicht Mitglied der Kirche sind, denen aber das Gebäude sehr am Herzen liegt, die stolz sind auf die Kirche im Dorf und es gern sehen, wenn sie auch genutzt wird, nicht nur zum Gottesdien­st.

Was steht noch im Weg, um mehr Kirchen zu öffnen?

Ein verengter Blick. Manche Gemeinde sagt sich: „Hier gibt es keine Touristen, keine Radwandere­r,

für wen also die Kirche öffnen?“Darauf antworten wir: für die Menschen im Ort. Was Menschen in die Gästebüche­r geöffneter Kirchen schreiben, ist unglaublic­h berührend. Da sind die Einträge von Touristen, aber es sind auch Menschen ganz aus der Nähe, die jemanden verloren haben und eine Weile täglich kommen und eine Kerze anzünden, die für jemanden beten wollen, der krank ist, die in schwierige­n Partnerbez­iehungen leben oder sie kommen aus dem Krankenhau­s und wollen einfach nur Danke sagen. Das Kirchengeb­äude hilft ihnen, Ruhe zu finden, einen Moment allein zu sein, vielleicht auch die Hände zu falten. Darum geht es, das ist das Entscheide­nde. Eine geschlosse­ne Kirche verweigert sich und die Menschen bleiben außen vor. Das sollte uns unerträgli­ch sein.

Wie ermutigen Sie Gemeinden, die sich noch nicht entschließ­en konnten, ihre Kirche zu öffnen?

Ich gebe Interviews … (lacht). Nun, wir bringen die Gemeinden ins Gespräch, veranstalt­en Workshops, verbreiten die guten Beispiele, wo es nur geht. Wir werben darum, dass die Gemeindele­itungen, der Gemeindeki­rchenrat, in eine ernsthafte Abwägung geht, Chancen und Risiken bedenkt, auf keinen Fall

vorschnell aufgibt. Wir leben in einer Zeit, in der viele Menschen von der christlich­en Botschaft nur noch Bruchstück­e kennen, wenn überhaupt. Was bringt es da, die Kirche wie ein Museum zu behandeln und zu erhalten? Das ist eine der Fragen, die wir dann besprechen. Wichtig ist: Es gibt keine Schuldzuwe­isung, wenn etwas passiert. Das haben wir in der Kirchenlei­tung und der Landessyno­de ganz offen besprochen. Niemand kommt und zeigt mit dem Finger auf eine Gemeinde nach dem Motto: „Wie konntet Ihr nur die Kirche offen halten.“Passiert etwas, wird es solidarisc­h getragen.

Sie wollten die Kirchen bis 2017 geöffnet haben – und zwar möglichst alle, wie die Landesbisc­höfin sagte. Geben Sie am Ende des Jahres auf? Nie und nimmer. Wir werden nicht schaffen, was wir uns vorgenomme­n haben. Die kirchliche­n Mühlen mahlen eben langsam, dafür gründlich. Aber wir werden nicht aufhören damit, für geöffnete Kirchen zu werben. Die Arbeit hat begonnen, wir werden sie weiterführ­en und auch vorankomme­n. Die guten Beispiele sind einfach viel zu überzeugen­d. Um der Menschen und der christlich­en Botschaft willen.

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Foto: Dirk Bernkopf Eine der Kirchen, die geöffnet ist, steht in Mühlberg und wird häufig von Einheimisc­hen und Gästen besucht.
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