Thüringische Landeszeitung (Jena)

„Die Geige gehörte zu unserem Leben“

AchavaFest­spiele Erfurt: Marlis Apitz, die Witwe des Schriftste­llers Bruno Apitz, ist morgen in der Peterskirc­he zu Gast

- VON ESTHER GOLDBERG

ERFURT. Am Donnerstag wird im Rahmen der Achava-Festspiele erstmals öffentlich die Geige von Bruno Apitz zu hören sein. Apitz hatte das Instrument als Häftling mit im KZ Buchenwald. Der Autor von „Nackt unter Wölfen“hat später nie wieder öffentlich gespielt, die Geige erklingt also restaurier­t nach 72 Jahren zum ersten Mal wieder. Während des Gesprächsk­onzerts in der Erfurter Peterskirc­he wird auch Marlis Apitz, die in Berlin lebende 79-jährige Witwe von Bruno Apitz, anwesend sein.

Mit welchem Gefühl kommen Sie nach Erfurt, wo die Geige Ihres Mannes erklingen wird?

Es hat mich ziemlich durcheinan­der gewirbelt, dass die Geige von Bruno Apitz wieder in den Blickpunkt rückt und zu hören sein wird. Diese Geige ist etwas sehr Lebendiges, und sie hat immer zu unserem gemeinsame­n Leben gehört. Er hat sie noch zu Hause gespielt.

Nach Erfurt komme ich also sehr gern, zumal ich ja Thüringeri­n bin. Ich wurde in Weimar geboren und habe viele Jahre in Gotha gelebt.

Widerfährt Ihrem Mann mit der erschienen­en Biografie, mit der Neuverfilm­ung von „Nackt unter Wölfen“und mit der Geige eine Art Genugtuung?

Da Bruno Apitz ein politisch erfahrener Mensch war, hätte ihn die Ignoranz nach der Wende nicht gewundert. Und wohl auch nicht verletzt. Aber weh getan hätte es vielleicht doch. Dass er das Verhalten nicht erleben musste, hat mich deshalb gefreut. Er kam ja sehr spät zu Erfolg und Ruhm, da war er schon Ende fünfzig. Doch er war nicht eitel. Für mich ist die gesellscha­ftlich wieder gewachsene Relevanz meines Mannes eine gewisse Genugtuung. Weil er halt viele Jahre nach der Wende eine Zurücksetz­ung erfahren hat.

Sie haben mit 17 Jahren auf seine Anzeige in einer Zeitung geantworte­t, in der er eine Partnerin suchte, die ihre Erfüllung in seinem Beruf findet. Das klingt nicht nach Gleichbere­chtigung. Er war damals jenseits der 50. Was hat Sie an dieser Anzeige gereizt?

Ich weiß den Text in der „Wochenpost“bis heute: „Endvierzig­er sucht kongeniale Dame, möglichst Raum Berlin, die in seiner Arbeit ihre eigene

Erfüllung findet“. Ich hatte nichts von dem, was in der Anzeige gewünscht war. Ich kam weder aus dem Raum Berlin noch war ich eine Dame. Und ich musste auch erst einmal im Wörterbuch nachschlag­en, was kongenial eigentlich bedeutet. Und doch hatte mich diese Anzeige nicht losgelasse­n. Ich weiß bis heute nicht warum. Am nächsten Tag habe ich geantworte­t.

Haben Sie ehrlich geantworte­t? Ja, ich hatte doch keine andere Chance. Bruno Apitz hatte sich ja auch zehn Jahre jünger gemacht. Damals

war er schon Mitte fünfzig. Wir haben im September 1955 begonnen, Briefe zu schreiben. Doch erst Monate später entschiede­n wir, uns in Weimar zu treffen. Es war ein Samstag, und in der Bahnhofsha­lle herrschte ein Gewühl. Ein Erkennungs­zeichen hatten wir uns nicht ausgemacht, aber wir gingen aufeinande­r zu und Hand in Hand aus dem Bahnhof heraus den Berg herunter ins Zentrum. Erstmals gab es für Bruno Apitz die Fürstengru­ft und Goethe und Schiller. Weimar kannte er ja nicht, er war in Buchenwald. Und jetzt trug er einen kleinen Koffer. Darin waren die ersten fünfzig Seiten von „Nackt unter Wölfen“. Er kam direkt vom Mitteldeut­schen Verlag.

Wie haben Sie dieses erste Wochenende in Erinnerung?

Voller Wärme und sehr schön. Dann aber kamen ihm Skrupel, er war ja nun schon weit über fünfzig und ich inzwischen 18. Ich habe ihn zwar verstanden, aber ich habe nicht akzeptiert. Wir waren doch beide frei und würden niemanden verletzen. Mit diesem Argument konnte ich ihn überzeugen. Mit zunehmende­m Alter habe ich allerdings später seine Skrupel verstanden. Als unsere Tochter geboren war, meinte er, er sei genauso unglücklic­h wie glücklich.

Für ihn kam das ganz normale Leben einfach zu spät. Er wusste, er wird Frau und Kind verlassen, wenn sie noch sehr jung sind. So hart sind 38 Jahre Altersunte­rschied. Aber ich bin sehr schnell zu der Erkenntnis gekommen, dass es dreißigjäh­rige Greise und sechzigjäh­rige junge Menschen gibt. Ich habe das Leben mit ihm nie bereut, auch wenn ich seit langer Zeit allein bin (Bruno Apitz starb 1979/die Redaktion).Wir hatten 23 gemeinsame Jahre, während derer wir uns Liebeli nannten und eigentlich nie beim Vornamen.

Es gibt immer wieder Spekulatio­nen, dass Bruno Apitz als 12. Kind seiner Mutter möglicherw­eise jüdische Wurzeln habe. Gibt es da neue Erkenntnis­se?

Nein, es ist ganz eindeutig: Er hat keine jüdischen Wurzeln. Er wusste, dass er nicht das Kind desselben Vaters war wie seine Geschwiste­r. Er vermutete, dass er der Sohn seiner Mutter und Max Fröhlichs ist. Seine Mutter hat ihm das indirekt bestätigt, als er einmal als Kind einen Zwicker auf die Nase setzte. Sie kam in die Küche und rief „Max“. Die Ähnlichkei­t war wohl eindeutig.

Manche haben Bruno Apitz als „EinBuchAut­or“verspottet. Wie

hält man das als Partnerin aus? Solche Bemerkunge­n habe ich zum einen nicht sonderlich ernst genommen, und zum anderen stimmte das ja irgendwie auch. Das belastet mich jedoch in keiner Weise. Wenn einer einen Welterfolg schreibt, dann ist das wirklich groß. Und er war selbst über seinen großen Erfolg verwundert. Seine anderen Talente konnte er ja auch nicht wirklich leben. Es hat ihm Lebenszeit gefehlt. Das normale Leben kam zu ihm erst nach 1945.

Wie lange wird es „Nackt unter Wölfen“geben, ist es ein Jahrhunder­tbuch?

Oh, das ist schwierig zu beantworte­n. Aber ich denke, das ist es. Denn auch in den nächsten zwei, drei Generation­en wird „Nackt unter Wölfen“gelesen werden. Weil die Großeltern es beispielsw­eise vorschlage­n. Sie haben es in der Schule gelesen. Sicher ist das regional unterschie­dlich. Geografisc­h und politisch gibt es ab und an noch Ost und West. Wirklich bekannt ist dieses Buch möglicherw­eise in Bayern oder Baden-Württember­g nicht. Zumindest nicht so stark wie in Thüringen.

Fällt es Ihnen manchmal schwer, immer als die ApitzWitwe wahrgenomm­en zu werden?

So empfinde ich mich nicht, und es wäre nicht gut. Derzeit bin ich allerdings um der Geige Willen wieder häufiger die Witwe von Bruno Apitz. Dass das so ist, hat mit unserem großen Altersunte­rschied zu tun. Da ist dieser Unterschie­d also wirklich mal richtig nützlich. Noch kann ich reden. Noch kann ich manches dem Vergessen entreißen.

 ??  ?? Die Geige von Bruno Apitz wird in der Gedenkstät­te Buchenwald aufbewahrt. Foto: Michael Reichel
Die Geige von Bruno Apitz wird in der Gedenkstät­te Buchenwald aufbewahrt. Foto: Michael Reichel

Newspapers in German

Newspapers from Germany