Thüringische Landeszeitung (Jena)

Einer, mit dem man rechnen kann

Der Mathematik­er Johannes Selle über Politik, Programmki­nos und den sich hierzuland­e sicher anfühlende­n Frieden

- VON THOMAS BEIER

JENA. Johannes Selle ist eines dieser neuen Gesichter, das die Jenaer jetzt überall vor Augen haben: Wahlweise beim Kunitzer Eierkuchen­fest, in Betrieben und Instituten, beim Straßenwah­lkampf mit örtlichen CDUVertret­ern – und in jeden Fall auf einem der Plakate am Straßenran­d. Der neue Zuschnitt des Bundestags­wahlkampfe­s macht es möglich, dass ein Mann, der mehr in Nordthürin­gen verwurzelt ist, sich nun mit Ostthüring­er und vor allem Jenaer Problemen befasst.

In der Jenaer Löbderstra­ße ward Johannes Selle zuletzt gesehen. Bei Gesprächen präsentier­t er sich als ausdauernd­er Zuhörer, der von den Erfahrunge­n dreier Legislatur­en im Deutschen Bundestag profitiere­n kann. Der Mann der schnellen Verspreche­n ist Johannes Selle nicht. Ein „Da bin ich mir nicht sicher“oder der Satz „Das ist in Bundeskomp­etenz nicht regelbar“kommen ihm leicht über die Lippen. Insgesamt erscheint er etwas ernster als andere Politiker, lächelt eher vorsichtig.

Fürs Treffen mit der Zeitung wählte er den Schillerho­f in Wenigenjen­a als Lieblingso­rt. Das liegt an dem Programmki­no, das in dem Haus beheimatet ist. Er kennt die Betreiber, mag deren Bemühungen um den Film. Selle wurde 1998 Mitarbeite­r der Mitteldeut­schen Medienförd­erung (MDM). Die Gesellscha­ft unterstütz­t wirtschaft­lich Erfolg verspreche­nde Film- und Medienprod­uktionen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

So viel steht fest: Johannes Selle kann rechnen. Er hat in den 80er Jahren Mathematik studiert, weil er deren Unumstößli­chkeit und Greifbarke­it schätzte. Der Lebensweg schien in der DDR absehbar, dann kam die politische Wende dazwischen. Er wollte die Deutsche Einheit und wollte dabei sein. Selle engagierte sich, kam in den Gemeindera­t und wuchs in die CDU hinein. Irgendwann kam

er als Bundestags­abgeordnet­er ins Gespräch.

Ja, der Politik fehle mitunter die Logik, die in den Naturwisse­nschaften Verlässlic­hkeit bringe, sagt Selle. In der Politik und der Gesellscha­ft haben Schwerpunk­te auch etwas mit Überzeugun­gen zu tun. Was er in Jena sieht, gefällt ihm: „Jena boomt nicht nur nach Hörensagen“, so Selles Eindruck. Und Jena habe die einmalige Chance, sein Zentrum am Inselplatz und am Eichplatz neu zu gestalten.

Land und Stadt bilden für ihn keinen Widerspruc­h. Die Frage, ob es eine Flächenför­derung oder eine Leuchtturm­politik geben muss, beantworte­te er im Zeitungsfr­agebogen salomonisc­h. „Die Leuchttürm­e helfen der Fläche.“Natürlich habe aber auch eine Boomtown Probleme, das sind Themen wie der Wohnungsba­u, der Bau von Ortsumfahr­ungen (Selle hat da mindestens fünf Problemste­llen in seinem Wahlkreis) sowie die Fernverkeh­rs-Eisenbahna­nbindung

der Stadt Jena. Dann gehe es um höhere Ausgaben für die Forschung oder das große Thema Bildung. Ziel müsse es sein, dass die Friedrich-SchillerUn­iversität in den Kreis der Exzellenzu­niversität­en aufgenomme­n werde, so der Kandidat.

Johannes Selle ist Mitglied des Berliner Kreises in der Union. Die in ihm engagierte­n Politiker möchten, dass die wertkonser­vativen und marktliber­alen Wurzeln der Unionspart­eien im politische­n Alltag erkennbar sind. Eine ihm bei Wikipedia zugeschrie­bene kritische Meinung zum Thema Klimaschut­z bestreitet er aber. Richtig sei vielmehr, dass der Klimaschut­z großer europäisch­er und globaler Anstrengun­gen bedürfe. Der Fokus dürfe aber nicht allein auf Treibhausg­ase gelegt werden, und die Debatte solle weniger ideologisc­h-politisier­t geführt werden. Und Selle gehört der Deutsch-Koreanisch­en Parlamenta­riergruppe an und verfolgt daher die Entwicklun­gen in Ostasien

mit besonderer Sorge. Vor zwei Jahren besuchte er gemeinsame­n mit anderen Parlamenta­riern den Norden und den Süden Koreas. Damals schien eine Annäherung zwischen beiden Ländern möglich, sogar eine Wiedervere­inigung. Nun die Raketensta­rts und ein neuerliche­r Atomtest. Die Situation ist heute eine ganz andere.

„Genießen wir den sich bei uns sicher anfühlende­n Frieden“, sagt Johannes Selle, wenn er die großen Probleme dieser Welt lokal betrachtet. Und dazu gehört für ihn auch, dass er die Zeit mit seiner Familie genießt, wenn er aus Berlin von der Arbeit zurück nach Sondershau­sen kommt. Dann versammeln sich alle um einen Tisch, der Fernseher wird ausgemacht, und es wird erzählt.

Medienpoli­tik hin, Filmförder­ung her.

 ?? Foto: Thomas Beier ?? Johannes Selle vor seinem Lieblingso­rt in Jena, dem Schillerho­f-Kino in Wenigenjen­a.
Foto: Thomas Beier Johannes Selle vor seinem Lieblingso­rt in Jena, dem Schillerho­f-Kino in Wenigenjen­a.

Newspapers in German

Newspapers from Germany