Thüringische Landeszeitung (Jena)
Amoralisches am FKK-Strand
Neuer Band aus dem ZeitgutVerlag mit 45 Alltagsgeschichten aus der DDR – Die TLZ verlost drei Exemplare
WEIMAR/BERLIN. 27 Jahre nach dem Ende der DDR ist es an der Zeit, sich auch einmal mit einem lachenden Auge an die untergegangene Republik zu erinnern. Denn das Bemühen, dem Volk zu zeigen, wo der Hammer, der Zirkel und der Ährenkranz hingen, produzierte auch viel Komisches und Absurdes. Zumindest aus heutiger Sicht. Damals freilich war es für die Betroffenen oft eine mittlere Katastrophe.
Der Leipziger Alfredo Grünberg erinnert sich beispielsweise daran, wie er 1955 mit seiner Familie auf Hiddensee im Urlaub war, und sich am Strand die ganze Familie ihrer Kleidung entledigte. Niemand nahm daran Anstoß, zumal der Strandabschnitt nahezu leer war, und sich auch die übrigen Badegäste in nahtloser Blässe sonnten.
Plötzlich aber umringten sieben Volkspolizisten in Zivil, begleitet von drei Schäferhunden, Grünberg, seine Frau und seinen vier Jahre alten Sohn. Sie forderten den splitternackten Familienvater nicht nur auf, seinen Ausweis vorzuzeigen (der natürlich in der Tasche seiner Hose steckte, die ein paar Meter vom Ufer entfernt lag). Wegen „unproletarischer Moral und Missachtung der Volkspolizei“musste die Familie den Urlaub auch vorzeitig abbrechen und die Insel verlassen. Der Vorfall wie auch die Tatsache, dass sich Familie Grünberg nicht an den gemeinsamen Veranstaltungen beteiligt hatte, fanden sogar Eingang in Grünbergs Kaderakte. Sein Glück war, dass weder die Betriebs- noch die Gewerkschaftsoder Parteileitung je darauf zu sprechen kamen.
Aufgeschrieben hat Grünberg, der heute in Kassel lebt, diese Erinnerung für den Band „Im Konsum gibt’s Bananen“aus dem Zeitgut-Verlag Berlin. Das Buch umfasst 45 Alltagsgeschichten aus der DDR und den Jahren 1946 bis 1989, aufgeschrieben von Zeitzeugen.
Zu ihnen gehört auch der Mühlhäuser Bernd Hob, Jahrgang 1960. Der Thüringer war als Hausgerätetechniker im Außendienst im Einsatz – und oft genug der Prügelknabe. Denn weil Ersatzteile fehlten, konnte er Kühlschränke oder Waschmaschinen oft wochenlang nicht reparieren. Mehr als einmal entluden genervte Kunden bei ihm, der für diesen Umstand so gar nichts konnte, ihren geballten Zorn. Trafen die Ersatzteile dann irgendwann doch ein, musste der Auftragsstau wiederum so schnell wie möglich abgearbeitet werden. Bernd Hob weiß noch, dass er deshalb einmal einen ganzen Monat einschließlich der Wochenenden durcharbeitete. Mehr als einen Händedruck seines Chefs brachte ihm das aber nicht ein.
Doch nicht nur wegen der Ersatzteile war der Monteur oft gehandicapt: Immer neuen Ärger gab es auch wegen des maroden fahrbaren Untersatzes und des beständigen Mangels an Sprit. Und als hätte das nicht genügt, hatte es der arme Hausgerätetechniker auch noch mit etlichen Zeitgenossen zu tun, die sich besonders wichtig nahmen.
Zu ihnen gehörten auch Volkspolizisten, die ihn nach einem langen, harten Arbeitstag im Grenzgebiet am Kontrollpunkt die Heimreise verwehrten. Der Mühlhäuser, der selber an der Grenze gedient hatte und sich folglich mit den Gepflogenheiten auskannte, hätte noch verstanden, wenn man ihn in der Gegenrichtung aufgehalten hätte, weil sein Passagierschein, wie er erst bei der Kontrolle mit Entsetzen feststellte, seit drei Tagen abgelaufen war. Aber nein: Die Staatsmacht waltete ihres Amtes, prüfte und tat, als kenne sie den Mann, der den Kontrollpunkt einmal pro Woche passierte, nicht, bis sie ihn nach zweieinhalb Stunden endlich weiterfahren ließ.
Weitaus harmloser war da freilich, was Judith Böhnke aus Weimar in ihrer Kindheit erlebte: Die Wahl-Brandenburgerin, Jahrgang 1973, erinnert sich daran, wie ein Bananenkauf sie als Dreijährige restlos irritierte. Weil pro Nase nur ein Kilo der begehrten Südfrüchte abgegeben wurden, entschieden ihre Eltern nach kurzer Rücksprache, sich getrennt voneinander und mit einigen Metern Abstand in die „sozialistische Wartegemeinschaft“einzureihen, auf die sie bei einem Stadtbummel zufällig getroffen waren. Die Tochter, die an der Hand der Mutter blieb, konnte natürlich nicht verstehen, weshalb sie ihren Papa plötzlich nicht mehr kennen durfte. Und warum der Vater, als sich seine Tochter vor ihm aufpflanzte, so tat, als sei sie Luft. Im Laden platzte diese Frage zwar dann aus dem Kind heraus, doch ein jeder überhörte sie geflissentlich. Es gab jedenfalls keinerlei Reaktion. Dafür aber verließen die Eltern mit je einem Kilo Bananen das Geschäft.
In einem weiteren Kapitel beschreibt die Autorin geradezu köstlich die Begrüßungsrituale vor jeder Unterrichtsstunde und die Demonstrationen zum 1. Mai, von denen Judith Böhnke nicht nur die jeweils mitgeschleppten ungeliebten „Winkelemente“im Gedächtnis haften geblieben sind, sondern auch der stets restlos geleerte Bratwurstrost, den die Schüler nach dem Passieren der Alt-HerrenTribüne ansteuerten.
Aber es gibt auch Erinnerungen mit eher bitterem Beigeschmack: Elisabeth Schmack (1930-2017) beispielsweise, zuletzt in Mühlhausen beheimatet, begann ihr Berufsleben 1947 in der Lederfabrik in Hirschberg (Saale-Orla-Kreis). Sie hat nie vergessen, wie schmutzig und schwer die Arbeit in der Chromgerberei für ein junges Mädchen wie sie war – und wie rau der damalige Umgangston.
• Die TLZ verlost drei Exemplare des Buches. Wer an der Verlosung teilnehmen will, sollte bis Sonntag, . Oktober, eine Postkarte mit Namen und Anschrift senden an die TLZ-Thüringenredaktion, Goetheplatz a, Weimar. Viel Glück!