Thüringische Landeszeitung (Jena)

Der lange Weg zum digitalen Staat

Die nächste Regierung muss die Behörden und ihre Bürgerdien­ste ins OnlineZeit­alter führen. Wie kann das gelingen?

- VON KARSTEN KAMMHOLZ

BERLIN. Wenige Tage sind vergangen, seit Angela Merkel in Tallinn mit den EU-Regierungs­chefs über die digitale Zukunft Europas debattiere­n musste. Kein sonderlich angenehmer Termin für die Kanzlerin, denn Deutschlan­d hat Nachholbed­arf: Der Exportwelt­meister ist mit seiner digitalen Infrastruk­tur nicht einmal Mittelmaß, belegen internatio­nale Vergleiche. Deutschlan­d sei sogar ein „digitales Entwicklun­gsland“, stellten jüngst Forscher der Bertelsman­n-Stiftung fest.

Das Thema wird die Kanzlerin bald wieder einholen: Die Parteien einer möglichen Jamaika-Koalition haben im Wahlkampf kräftige Investitio­nen für ein schnellere­s Internet und einen moderneren Staat versproche­n. Im Unionswahl­programm ist von einem „elektronis­chen Bürgerport­al“die Rede, auf dem Behördengä­nge bald per Mausklick erledigt werden sollen.

Auch soll ein Staatsmini­ster für Digitales ins Kanzleramt einziehen. Die FDP hofft auf ein vollwertig­es Digitalmin­isterium. Außerdem wollen die Liberalen den Personalau­sweis zum Super-Pass machen, der zur elektronis­chen Identifika­tion bei Behörden, Banken, Unternehme­n und im Gesundheit­swesen zum Einsatz kommen soll. Und die Grünen möchten in den Breitbanda­usbau investiere­n und dafür die Telekom-Anteile des Bundes im Wert von zehn Milliarden Euro verkaufen. Doch der Weg zum digitalen Staat ist weit in einem Land, in dem man in den Wartezimme­rn der Behörden noch Nummern zieht, Formulare handschrif­tlich auszufülle­n hat und für jedes Anliegen einen eigenen Termin beantragen muss. „Die Digitalisi­erung muss ganz oben auf die Agenda der neuen Bundesregi­erung“, ist FDP-Generalsek­retärin Nicola Beer überzeugt. Das Ziel müsse sein: „weniger Amt und mehr online, dabei sicherer als heute.“Als Vorbilder nennt sie EU-Mitgliedst­aaten wie Estland und Dänemark. Was machen diese Staaten anders? Estland bezeichnet sich selbst als „E-Estonia“. Schon 2005 konnten die Esten online wählen. Dass die Bürger hier fast alle Behördengä­nge online erledigen, ist selbstvers­tändlich.

Ein ähnliches Bild in Dänemark und Schweden. Steuererkl­ärung, An- oder Ummeldung des Autos, Wohnsitzwe­chsel – alles wird im Netz erledigt. E-Government heißt das Zauberwort, es meint die Digitalisi­erung staatliche­r Dienstleis­tungen.

Dabei gibt es in Deutschlan­d seit Jahren ein E-Government­Gesetz, das nicht nur die elektronis­che Aktenführu­ng zum Ziel hat, sondern auch mehr nutzerfreu­ndliche Verwaltung­sdienste.

Doch viel hat sich nicht getan. Woran das liegen könnte, versucht Christoph Verenkotte zu erklären. Er ist Präsident des Bundesverw­altungsamt­es (BVA), einer in Köln beheimatet­en Behörde, die sich als Dienstleit­er der Regierung versteht – sei es bei der Personalge­winnung, IT-Fragen oder anderen Modernisie­rungsaufga­ben. „Immer noch arbeiten die Bundesmini­sterien an ihrer Digitalisi­erung allesamt mit Einzelproj­ekten“, sagt der BVA-Präsident.

Ganz gleich, ob es demnächst ein ganzes Ministeriu­m oder nur einen Staatsmini­ster gibt: Bei der Umsetzung der künftigen Digitalstr­ategien in den Behörden führt kein Weg am Bundesverw­altungsamt vorbei. Denn viele von den künftigen Beschlüsse­n wird die Behörde umsetzen müssen. Der BVA-Präsident weiß nur nicht recht, ob er sich über die vollmundig­en Verspreche­n aus der Politik freuen oder sich eher fürchten sollte. „Unsere Sorge ist, dass die Politik nicht ambitionie­rt genug an das Thema herangeht“, sagt er – und warnt: „Nur durch die Digitalisi­erung der öffentlich­en Verwaltung werden wir es schaffen, bei zunehmende­m Personalsc­hwund unsere vielen Aufgaben zu erfüllen. Wir müssen effektiver arbeiten, und das geht nur mit digitalen Mitteln.“ Wenn man das jetzt nicht schaffe, „werden wir im internatio­nalen Vergleich nicht aufholen“. Die neue Bundesregi­erung müsse beim Thema Digitalisi­erung „liefern“. Es sind ungewöhnli­ch deutliche Töne eines Behördench­efs, dessen Dienstherr in Berlin sitzt und die Probleme bei der Digitalisi­erung mitzuveran­tworten hat: Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU).

Auf eine Milliarde Euro schätzt der BVA-Präsident die Kosten für eine Digitalisi­erungsoffe­nsive in den Verwaltung­en. Was muss mit dem Geld konkret geschehen? Zwei behördende­utsche Begriffe kommen da ins Spiel: Fachverfah­ren und Register. Fachverfah­ren zu digitalisi­eren heißt: Ein Vorgang in einer Behörde muss ausschließ­lich auf elektronis­chem Wege ablaufen. Und zwar „vom Antrag stellen, über die interne Bearbeitun­g in einer Behörde bis hin zur Zustellung“, wie der Verwaltung­samtschef erklärt. Das klingt logisch, ist aber für die Abläufe in deutschen Amtsstuben ein Reformproz­ess. Register, der zweite Begriff, meint die Datensamml­ungen und Archive aller Behörden. Die Entwicklun­g von elektronis­chen Registern, in denen sämtliche Daten verwaltet werden können, wird zur Mammutaufg­abe angesichts von rund 5000 kommunalen Meldebehör­den in Deutschlan­d. Das Ziel lautet: „Öffentlich­e Register müssen miteinande­r verbunden werden – natürlich unter Einhaltung des Datenschut­zes“, erklärt Verenkotte. Das sei auf jeden Fall möglich.

Eine Milliarde Euro für Modernisie­rung

Behörden müssen vernetzt werden

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