Thüringische Landeszeitung (Jena)
Der lange Weg zum digitalen Staat
Die nächste Regierung muss die Behörden und ihre Bürgerdienste ins OnlineZeitalter führen. Wie kann das gelingen?
BERLIN. Wenige Tage sind vergangen, seit Angela Merkel in Tallinn mit den EU-Regierungschefs über die digitale Zukunft Europas debattieren musste. Kein sonderlich angenehmer Termin für die Kanzlerin, denn Deutschland hat Nachholbedarf: Der Exportweltmeister ist mit seiner digitalen Infrastruktur nicht einmal Mittelmaß, belegen internationale Vergleiche. Deutschland sei sogar ein „digitales Entwicklungsland“, stellten jüngst Forscher der Bertelsmann-Stiftung fest.
Das Thema wird die Kanzlerin bald wieder einholen: Die Parteien einer möglichen Jamaika-Koalition haben im Wahlkampf kräftige Investitionen für ein schnelleres Internet und einen moderneren Staat versprochen. Im Unionswahlprogramm ist von einem „elektronischen Bürgerportal“die Rede, auf dem Behördengänge bald per Mausklick erledigt werden sollen.
Auch soll ein Staatsminister für Digitales ins Kanzleramt einziehen. Die FDP hofft auf ein vollwertiges Digitalministerium. Außerdem wollen die Liberalen den Personalausweis zum Super-Pass machen, der zur elektronischen Identifikation bei Behörden, Banken, Unternehmen und im Gesundheitswesen zum Einsatz kommen soll. Und die Grünen möchten in den Breitbandausbau investieren und dafür die Telekom-Anteile des Bundes im Wert von zehn Milliarden Euro verkaufen. Doch der Weg zum digitalen Staat ist weit in einem Land, in dem man in den Wartezimmern der Behörden noch Nummern zieht, Formulare handschriftlich auszufüllen hat und für jedes Anliegen einen eigenen Termin beantragen muss. „Die Digitalisierung muss ganz oben auf die Agenda der neuen Bundesregierung“, ist FDP-Generalsekretärin Nicola Beer überzeugt. Das Ziel müsse sein: „weniger Amt und mehr online, dabei sicherer als heute.“Als Vorbilder nennt sie EU-Mitgliedstaaten wie Estland und Dänemark. Was machen diese Staaten anders? Estland bezeichnet sich selbst als „E-Estonia“. Schon 2005 konnten die Esten online wählen. Dass die Bürger hier fast alle Behördengänge online erledigen, ist selbstverständlich.
Ein ähnliches Bild in Dänemark und Schweden. Steuererklärung, An- oder Ummeldung des Autos, Wohnsitzwechsel – alles wird im Netz erledigt. E-Government heißt das Zauberwort, es meint die Digitalisierung staatlicher Dienstleistungen.
Dabei gibt es in Deutschland seit Jahren ein E-GovernmentGesetz, das nicht nur die elektronische Aktenführung zum Ziel hat, sondern auch mehr nutzerfreundliche Verwaltungsdienste.
Doch viel hat sich nicht getan. Woran das liegen könnte, versucht Christoph Verenkotte zu erklären. Er ist Präsident des Bundesverwaltungsamtes (BVA), einer in Köln beheimateten Behörde, die sich als Dienstleiter der Regierung versteht – sei es bei der Personalgewinnung, IT-Fragen oder anderen Modernisierungsaufgaben. „Immer noch arbeiten die Bundesministerien an ihrer Digitalisierung allesamt mit Einzelprojekten“, sagt der BVA-Präsident.
Ganz gleich, ob es demnächst ein ganzes Ministerium oder nur einen Staatsminister gibt: Bei der Umsetzung der künftigen Digitalstrategien in den Behörden führt kein Weg am Bundesverwaltungsamt vorbei. Denn viele von den künftigen Beschlüssen wird die Behörde umsetzen müssen. Der BVA-Präsident weiß nur nicht recht, ob er sich über die vollmundigen Versprechen aus der Politik freuen oder sich eher fürchten sollte. „Unsere Sorge ist, dass die Politik nicht ambitioniert genug an das Thema herangeht“, sagt er – und warnt: „Nur durch die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung werden wir es schaffen, bei zunehmendem Personalschwund unsere vielen Aufgaben zu erfüllen. Wir müssen effektiver arbeiten, und das geht nur mit digitalen Mitteln.“ Wenn man das jetzt nicht schaffe, „werden wir im internationalen Vergleich nicht aufholen“. Die neue Bundesregierung müsse beim Thema Digitalisierung „liefern“. Es sind ungewöhnlich deutliche Töne eines Behördenchefs, dessen Dienstherr in Berlin sitzt und die Probleme bei der Digitalisierung mitzuverantworten hat: Innenminister Thomas de Maizière (CDU).
Auf eine Milliarde Euro schätzt der BVA-Präsident die Kosten für eine Digitalisierungsoffensive in den Verwaltungen. Was muss mit dem Geld konkret geschehen? Zwei behördendeutsche Begriffe kommen da ins Spiel: Fachverfahren und Register. Fachverfahren zu digitalisieren heißt: Ein Vorgang in einer Behörde muss ausschließlich auf elektronischem Wege ablaufen. Und zwar „vom Antrag stellen, über die interne Bearbeitung in einer Behörde bis hin zur Zustellung“, wie der Verwaltungsamtschef erklärt. Das klingt logisch, ist aber für die Abläufe in deutschen Amtsstuben ein Reformprozess. Register, der zweite Begriff, meint die Datensammlungen und Archive aller Behörden. Die Entwicklung von elektronischen Registern, in denen sämtliche Daten verwaltet werden können, wird zur Mammutaufgabe angesichts von rund 5000 kommunalen Meldebehörden in Deutschland. Das Ziel lautet: „Öffentliche Register müssen miteinander verbunden werden – natürlich unter Einhaltung des Datenschutzes“, erklärt Verenkotte. Das sei auf jeden Fall möglich.
Eine Milliarde Euro für Modernisierung
Behörden müssen vernetzt werden