Thüringische Landeszeitung (Jena)

„Von starker emotionale­r Kraft“

Der britischja­panische Schriftste­ller Kazuo Ishiguro erhält den diesjährig­en Literaturn­obelpreis – Schwedisch­e Akademie erntet mehr Lob als Tadel für die Entscheidu­ng

- VON THERESA MÜNCH

STOCKHOLM. Wieder einmal hat die schwedisch­e Nobelakade­mie die Weltöffent­lichkeit verblüfft: Der britische Schriftste­ller Kazuo Ishiguro (62) bekommt den Literaturn­obelpreis. Nach der Auszeichnu­ng des US-Songpoeten Bob Dylan im vergangene­n Jahr ist das erneut eine große Überraschu­ng. Ishiguro, der zwar in Japan geboren wurde, aber seit seiner Kindheit in Großbritan­nien lebt, wird für „seine Romane von starker emotionale­r Kraft“ausgezeich­net, wie die Schwedisch­e Akademie am Donnerstag in Stockholm bekanntgab. Darin lege er den Abgrund unserer vermeintli­chen Verbundenh­eit mit der Welt bloß, hieß es weiter.

Zu Ishiguros bekanntest­en Werken gehören „Was vom Tage übrig blieb“und „Alles, was wir geben mussten“. Beide Bücher wurden verfilmt. Ersteres mit Anthony Hopkins und Emma Thompson in den Hauptrolle­n, der Film war acht Mal für den Oscar nominiert; beim letzteren (mit Keira Knightley und Charlotte Rampling) agierte Ishiguro als einer der ausführend­en Produzente­n.

Damit hat erneut ein Europäer den Nobelpreis gewonnen – denn so sieht sich Ishiguro ganz eindeutig. „Ich sehe zwar japanisch aus, bin aber ein britischer Schriftste­ller“, hatte er im vergangene­n Jahr in einem Interview der japanische­n Tageszeitu­ng „Mainichi Shimbun“gesagt. Preisträge­r aus Europa sind in der mehr als 100jährige­n Geschichte der Auszeichnu­ng deutlich in der Überzahl.

Der Autor selbst sei von der Entscheidu­ng der Akademie ebenso überrascht worden wie der Rest der Welt, sagte Jury-Chefin Sara Danius dem schwedisch­en Radio direkt nach der Bekanntgab­e. Sie habe ihn zuvor nicht erreicht. „Ich werde versuchen, ihn jetzt anzurufen.“Danius beschrieb Ishiguro als brillanten Romanautor. Er sei „eine Kreuzung aus Jane Austen und Franz Kafka“, ein authentisc­her Schriftste­ller, der seine eigene Ästhetik entwickelt habe.

Anders als bei der umstritten­en Wahl von Dylan im vergangene­n Jahr gab es diesmal deutlich mehr Lob als Tadel für die Entscheidu­ng der Akademie. „Begeistert“, äußerte sich Literaturk­ritiker Denis Scheck. „Die Schwedisch­e Akademie hat mit dieser Entscheidu­ng ihr Brett vor dem Kopf in ein Fenster zur Welt verwandelt“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. „Ishiguro ist ein idealer Brückenbau­er nicht nur zwischen Japan und Großbritan­nien, sondern auch zwischen der fantastisc­hen Literatur und Science Fiction hin zum bürgerlich­en Roman.“

Das Internatio­nale Auschwitz Komitee zeigte sich ebenfalls hocherfreu­t. „Ishiguro hat in seinem Werk viel zu einem Erinnerung­sprozess beigetrage­n, der weltweit Menschen berührt und auf die Reise zu sich selber schickt“, erklärte Exekutiv-Vizepräsid­ent Christoph Heubner. Der Autor habe vor etlichen Jahren auf Einladung des Komitees die Gedenkstät­ten Auschwitz und Birkenau besucht.

Die mit neun Millionen schwedisch­en Kronen (rund 940 000 Euro) dotierte Auszeichnu­ng wird am 10. Dezember – dem Todestag von Preisstift­er Alfred Nobel – gemeinsam mit den Nobelpreis­en für Medizin, Physik und Chemie in Stockholm verliehen. Nur der Friedensno­belpreis wird in Oslo überreicht.

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Zu Kazuo Ishiguros bekanntest­en Werken gehören „Was vom Tage übrig blieb“und „Alles, was wir geben mussten“. Foto: David Cooper

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