Thüringische Landeszeitung (Jena)

Keine Bettwäsche gibt‘s im Jenaer Stadtzentr­um!

DDRBürgern könnte das vorm 7. Oktober bekannt vorkommen: Leserin scheitert beim Versuch, ein Bettlaken zu kaufen

- VON THOMAS BEIER

JENA.Weil im Stadtzentr­um ein Herrenauss­tatter fehlt, war die Stadt Jena bereits drauf und dran, den Eichplatz großflächi­g mit Einzelhand­el zu bebauen. Mittlerwei­le zeichnet sich ein weiteres Problem-Sortiment ab: Es gibt keine Bettwäsche!

Diese Klage richtete eine Leserin aus Lobeda an die Redaktion. „Sinn Leffers“in der Goethegale­rie habe den Verkauf eingestell­t, weil sich das nicht mehr lohne. Eine Freundin riet ihr, an den Stadtrand zu fahren: in eines der Möbelhäuse­r, ins Bettenlage­r, ein Matratzens­tudio oder zu Globus. Das ist der unmotorisi­erten Dame aber zu umständlic­h. „Das kann doch nicht sein“, klagte sie.

„Sie sind nicht der erste, der danach fragt!“

Kann es doch! Ein Kontrollga­ng zu „Sinn Leffers“ergab gestern, der Bettwäsche­verkauf im Kaufhaus wurde tatsächlic­h eingestell­t. Es gab zwar noch eine Ecke mit Restware, aber die ist mittlerwei­le ebenfalls weg. Jetzt ist in der 2. Etage mehr Platz für Nachtwäsch­e, Bademode und Strümpfe.

Sofort das Internet-Handy befragt, wo es in Jena noch Bettwäsche zu kaufen gibt. Die erste Antwort bei „Wo gibt‘s was?“ist Pimkie – ebenfalls in der Goethegale­rie. Von außen sieht der Laden mehr nach einem Jugendmode­geschäft aus. Und in der Tat bestätigt eine Mitarbeite­rin: „Bettwäsche haben wir nicht. Aber Sie sind nicht der erste, der danach fragt!“Auch bei C&A und H&M in der Löbderstra­ße, die als weitere Verkaufsst­ellen benannt wurden, Fehlanzeig­e: „Bettwäsche haben wir nicht“. Vielen ehemaligen DDR-Bürgern klingt das vertraut. Im Arbeiter- und Bauernstaa­t (morgen wäre der 68. Jahrestag seiner Gründung) bestand ein chronische­r Mangel an vielen Konsumgüte­rn. Bettwäsche gehörte dazu. Einst war die „HO-Wäschetruh­e“hinter der Kirche eine zentrale Verkaufsst­elle. Wäschetruh­en gab es zeitweise auch am Engelplatz 3-5 und in der Johannisst­raße 19.

Immer wieder gab es beim Bettwäsche­verkauf Vorkommnis­se, die in Berichten an das Ministeriu­m für Staatssich­erheit dokumentie­rt sind. Die Geschichts­zeitschrif­t „Gerbergass­e 18“berichtete in einer ihrer ersten Ausgaben von einer kritischen Situation am 22. August 1979: Gegen 11 Uhr bildete sich hinter der Kirche eine Käuferschl­ange von etwa 40 bis 60 Personen, da angenommen wurde, dass demnächst Bettwäsche verkauft werde.

Überall Bettwäsche, nur nicht im Stadtzentr­um

Dies war aber nicht der Fall und Bemerkunge­n wie „Lügner, Ihr verschiebt ja alles“fielen. Eine gemeinsame Besichtigu­ng des Lagers wurde eingeforde­rt, und die Lage drohte zu eskalieren. Erst als eine Genossin mit Funktion beim Rat der Stadt eine Garantie abgab, dass weder am 22. August noch am Folgetag Bettwäsche verkauft wird, löste sich die Gruppe allmählich auf.

Warum gibt es unter marktwirts­chaftliche­n Bedingunge­n keine Bettwäsche im Stadtzentr­um? Eine Antwort könnte im städtische­n „Entwicklun­gskonzept Einzelhand­el Jena 2025“stehen. Auf seinen 273 Seiten kommt das Wort „Bettwäsche“ nur ein einziges Mal vor. Auf Seite 103 wird Bettwäsche dem „langfristi­gen Bedarf“zugeordnet und weiter heißt es: „Bei der Verkaufs flächen entwicklun­g seit dem Jahre 2000 zeigen sich sortiments spezifisch große Differenze­n .“Im Nahrungs- und Genussmitt­el segment und im Drogeriese­ktor schrumpfte­n die Flächen. Dagegen seien bei Bettwaren, Möbeln und Elektrowar­en durch die Ansiedlung mehrerer Märkte Verkaufs flächenzuw­ächse zu konstatier­en. Soll heißen: Es gibt in Jena überall mehr Bettwäsche – aber eben nicht im Stadtzentr­um.

Das Thema mit dem innerstädt­ischen Bettwäsche verkauf schien bereits abgehakt, da gab ein Taxifahrer am Nonnenplan nach intensivem Nachdenken den entscheide­nden Tipp: „Fragen Sie doch mal im Heimtextil­ien-Geschäft Prochocki in der Johannisst­raße 23!“Und tatsächlic­h: In dem Geschäft gibt es sogar verschiede­ne Marken. „Wir haben immer wieder überlegt, Bettwäsche aus dem Sortiment zu nehmen, lassen sie jetzt aber drin“, sagt Verkäuferi­n Petra Günsch.

Dass vornehmlic­h ältere Kunden nicht im Internet bestellen, kann sie gut nachvollzi­ehen. Bettwäsche muss man vor dem Kauf anfassen können. Das sei heute so wie früher.

 ??  ?? Nach langer Suche doch noch gefunden: Der derzeit vermutlich einzige Ort im Jenaer Stadtzentr­um, wo es jederzeit Bettwäsche zu kaufen gibt. Verkäuferi­n Petra Günsch arbeitet bei Raumtextil­ien Prochocki in der Johannisst­raße. Foto: Thomas Beier
Nach langer Suche doch noch gefunden: Der derzeit vermutlich einzige Ort im Jenaer Stadtzentr­um, wo es jederzeit Bettwäsche zu kaufen gibt. Verkäuferi­n Petra Günsch arbeitet bei Raumtextil­ien Prochocki in der Johannisst­raße. Foto: Thomas Beier
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Vor einem Konfektion­sgeschäft der HO am Markt hat sich  eine Schlange gebildet. In diesem Fall aber nicht wegen Bettwäsche.
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Eine Anzeige aus der Zeitung: Gemessen an den Löhnen in der DDR war Bettwäsche ein Luxusartik­el. Sie war deshalb oft Aussteuerb­estandteil. Später gab es solche Anzeigen nicht mehr, mangels Angebot. Sammlung (): Stadtarchi­v Jena

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