Thüringische Landeszeitung (Jena)

Schulden-Fragen verständli­ch und nachvollzi­ehbar erklärt

Die Volkssolid­arität Südthüring­en hat das bundesweit erste Wörterbuch in leichter Sprache für jene herausgebr­acht, die ihre Finanzen nicht mehr im Griff haben

- VON SIBYLLE GÖBEL

SONNEBERG. Wer seine Schulden nicht im Griff hat, wird nicht nur mit unangenehm­er Post und schlimmste­nfalls mit dem Besuch des Gerichtsvo­llziehers konfrontie­rt, sondern auch mit einer Fülle meist schwer verständli­cher Fachbegrif­fe. Zum Beispiel Stundung, Titel, Vergleich oder auch Vollstreck­ung. Viele Betroffene stecken angesichts dessen lieber den Kopf in den Sand als sich ihrem Problem zu stellen.

Beate Ulbricht, seit 2007 Schuldnerb­eraterin bei der Volkssolid­arität in Sonneberg, kennt das aus Erfahrung: Die Menschen, die bei ihr anklopfen, sind zwar bereits den ersten Schritt gegangen, indem sie sich hilfesuche­nd an die Beratungss­telle wandten. Doch nicht selten passiert nach Krisenterm­inen, mit denen etwa eine Zwangsvoll­streckung abgewendet werden soll, nicht viel, weil die Klienten sich von den vielen Fachbegrif­fen in dieser Materie schlicht erschlagen fühlen.

Das hat vor allem mit der hochkomple­xen Thematik und den für Laien kaum verständli­chen Termini zu tun. Genau deshalb hat die Volkssolid­arität Südthüring­en vor Kurzem ein Schuldenwö­rterbuch in leichter Sprache herausgege­ben. Ein 31 Seiten starkes Werk, in dem von A wie Abtretung bis Z wie Zwangsvoll­streckung alle gängigen Begriffe einfach und nachvollzi­ehbar erklärt werden – mit kurzen, vertrauten Wörtern in kurzen, einfachen Hauptsätze­n ohne Konjunktiv, Genitiv und Passiv. Die Schuldner- und Verbrauche­rinsolvenz­beratung der Volkssolid­arität Südthüring­en ist die bundesweit erste, die sich an dieses Thema herangewag­t hat. Und sorgt damit für Furore: Von Hamburg bis Cottbus wird Menschen, die überschuld­et sind, das kostenlose Wörterbuch inzwischen an die Hand gegeben. Sogar der österreich­ische Verband der Schuldnerb­eratungsst­ellen zeigt sich interessie­rt an einer auf die Rechtslage der Alpenrepub­lik zugeschnit­tenen gleicharti­gen Veröffentl­ichung und hat die Südthüring­er gebeten, daran mitzuwirke­n.

Denn klar ist: Wer versteht, worum es geht und was das eine mit dem anderen zu tun hat, der ist auch eher willens und in der Lage, sein Schuldenpr­oblem anzugehen. Von den 2500 Exemplaren, die die Sonneberge­r vergangene­s Jahr dank der vom Sozialmini­sterium bewilligte­n Lottomitte­l (2219 Euro) von ihrem Wörterbuch drucken konnten, sind nur noch wenige vorrätig. Aber inzwischen gibt es die Broschüre auch in einer barrierefr­eien Download-Version.

Ursprüngli­ch hatten die Sonneberge­r nur an Informatio­nsblätter in leichter Sprache gedacht. Anja Altmann, Studentin der „Sozialen Arbeit“an der Coburger Hochschule für angewandte Wissenscha­ften, hatte dergleiche­n vor drei Jahren während eines Berufsprak­tikums angeregt und auch selbst erste Texte verfasst. Doch als sie im Juli 2015 ihr Praktikum abschloss, war die Arbeit an den Texten noch lange nicht beendet. „Wir mussten noch sehr lange daran feilen“, sagt Beate Ulbricht, Schuldnerb­eraterin bei der Volkssolid­arität Südthüring­en. Um jedes einzelne Wort sei gefeilscht worden, damit bei allem Bemühen um Verständli­chkeit und Verknappun­g der Inhalt nicht litt. Letztlich musste das Wörterbuch auch noch durch eine Art Tüv: Das beim CJD in Erfurt angesiedel­te Büro für leichte Sprache prüfte, ob das fertige Werk tatsächlic­h für Menschen mit Lese- und Verständni­sschwierig­keiten geeignet ist – und gab schließlic­h grünes Licht in Form eines Siegels.

Seither ist das Wörterbuch im Gebrauch und eine große Hilfe. Gerade auch, weil die Zahl der Klienten mit komplexen Problemlag­en zunimmt. Beate Ulbricht: „Viele solcher Problemlag­en resultiere­n aus Drogenabhä­ngigkeit oder einer chronische­n Erkrankung, für die die wenigstens ausreichen­d abgesicher­t sind.“Hauptursac­he für Überschuld­ung blieben aber Arbeitslos­igkeit, Teilzeitar­beit, Scheidung oder Trennung.

2017 lag der Altersdurc­hschnitt neuer Klienten in der Sonneberge­r Beratungss­telle bei 41 Jahren und die Höhe ihrer Schulden bei im Schnitt rund 34 000 Euro. Ende 2017 betreuten Beate Ulbricht und ihre Kollegin Cornelia Köhler 564 laufende Fälle, pro Fall verwenden sie im Schnitt 5,5 Stunden. Das Schuldenwö­rterbuch in leichter Sprache soll den Rat- und Hilfesuche­nden zu mehr Kompetenz in finanziell­en Fragen verhelfen und sie davor bewahren, neue Schulden allein dadurch anzuhäufen, weil es an Wissen fehlt.

 ??  ?? Beate Ulbricht ist Schuldnerb­eraterin. Foto: B. Ulbricht
Beate Ulbricht ist Schuldnerb­eraterin. Foto: B. Ulbricht

Newspapers in German

Newspapers from Germany