Thüringische Landeszeitung (Jena)
Belastung für Körper und Psyche: „Theater ist schön, aber auch hart“
Für die laufende Spielzeit haben die Meininger ein Modellprojekt zur Gesundheitsvorsorge auf den Weg gebracht – Partner ist ein Klinikum
MEININGEN. „Bleib gesund, geh’ ins Theater“, rufen sie in Eisenach. Einer Idee aus Düsseldorf folgend, startete der Theaterförderverein zu Spielzeitbeginn 2017 das Projekt „Theater auf Rezept“: Kinderärzte verordnen Patienten Theaterbesuche, via Gutschein. Das Projekt behandelt eine Publikumsperspektive.
„Bleib gesund, obwohl du täglich ins Theater gehst“, so ließe sich indes eine Perspektive Beschäftigter beschreiben. Derweil sie schönste Bühnentode und eingebildete Kranke inszenieren, tragen sie ein hohes Berufsrisiko, das sich dann in einschlägigen Berufskrankheiten ausdrückt. „Theater ist nicht nur schön, sondern auch harte Arbeit“, sagt der Kardiologe Sebastian Kerber, ein Chefarzt am Rhön-Klinikum Campus im fränkischen Bad Neustadt an der Saale.
Das liegt eine gute halbe Autostunde entfernt vom Staatstheater Meiningen, dessen Partner man wurde: im bundesweit einmaligen Modellprojekt „Gesundheit am Meininger Theater“, das ebenfalls zu Spielzeitbeginn gestartet wurde. Es reagiert laut Beschreibung auf „den stark professionalisierten und verschärften Arbeitsmarkt im künstlerischen Bereich, wo enorme Anforderungen an Körper und Psyche gestellt werden.“Chefarzt Sebastian Kerber vergleicht das mit Hochleistungssport.
Das führt, auch im nichtkünstlerischen Bereich eines Theaters, fast zwangsläufig zu Verschleiß. Rückenschmerzen führen die Meininger Hitliste an, Handprobleme plagen Musiker ebenso wie Bühnenarbeiter, psychosomatische Störungen tauchen auf, Suchtverhalten ebenfalls.
Überalterung im Chor und bei den Bühnentechnikern
Ziel der Meininger Übungen ist nun: „den Krankenstand herunterfahren und für ein gewisses Wohlbefinden an diesem Haus sorgen.“So formuliert es Detlef Dreßler. Der Hornist steht dem Betriebsrat des Theaters vor und gehört dem Bundesvorstand der Deutschen Orchestervereinigung an. Mit deren Arbeitsgruppe „Gesundheit und Prophylaxe“besuchte er eines Tages das Berliner Zentrum für Musikermedizin an der Charité, wo man die Idee gehabt hatte, ein Theater oder Orchester für eine Studie in ein Langzeitprojekt einzubinden. Daraus wurde nichts.
Auf der Heimfahrt ließ Dreßler diese Idee nicht mehr los. Er kontaktierte Chefarzt Kerber, der sich mit seinem Klinikum bereits für die Prävention und Behandlung von Musikern und Künstlern empfohlen hatte – und zudem selbst Geige spielt. „Für Musiker gibt’s da schon relativ viel, für eine ganze Spielstätte aber noch nicht“, sagt Sebastian Kerber über den speziellen medizinischen Fokus.
Allerdings, betriebliches Gesundheitsmanagement ist auch an Theatern nicht neu. Zu dergleichen ist zum Beispiel das Nationaltheater Weimar als GmbH ohnehin verpflichtet. Und so, wie diese Woche das Meininger Theater, das von einer Kulturstiftung getragen wird, veranstalteten auch die Weimarer einen Gesundheitstag für Theaterleute. Diesmal, im Mai, wird er sich speziell den Musikerproblemen widmen.
Welche das sein können, macht ein heftig diskutiertes Gerichtsurteil in London deutlich. Ein Bratschist verklagte das Royal Opera House erfolgreich auf Schadenersatz, nachdem er in einer Probe zu Richard Wagners gewaltiger „Walküre“einen Hörschaden erlitten hatte.
Das Meininger Modellprojekt bringt derweil ein „zartes Pflänzchen“auf den Weg. So sagt es die auch musikmedizinisch gebildete Cellistin Monika Gaggia aus dem Berchtesgadener Land, die zum Netzwerk von Chefarzt Kerber gehört. Sie ist „die Lotsin“im Projekt: vertrauliche Ansprechpartnerin und Vermittlerin in Sachen Gesundheit. Das Theater zahlt ihr ein Honorar, das Klinikum die Reisekosten.
„Es ist wichtig, dass wir uns um die Gesundheit des Personals sorgen“, bestätigt Ansgar Haag. Sein Haus weist zwar im Schnitt einen für Thüringen üblichen Krankenstand von 16 Tagen im Jahr auf. Es gibt aber Ausreißer, besonders bei Chor und Bühnentechnik: mit weit mehr als 25
Ansgar Haag, Intendant, über das Meininger Staatstheater
Tagen. Es habe, erklärt Haag, nach 1990 große personelle Veränderungen gegeben. „Die Neuzugänge von damals sind inzwischen alle kurz vor 60. Deswegen haben wir eine Überalterung, die zu Krankenständen führt.“In Eisenach, wo er ebenfalls Intendant ist, sei der Krankenstand vergleichsweise gering: „weil sich dort die Engagements oft änderten.“
Nach wie vor gebe es auch Ausbeutungsdruck: Finanzielle Defizite gleiche man durch „immer mehr Vorstellungen“aus. Man habe es „einfach übertrieben“. So erkrankte ein Sänger an den Stimmbändern, nachdem er gleich viermal hintereinander im Musical „Evita“gefordert wurde. Monika Gaggia übersetzt so etwas
aber positiv: als außergewöhnliche Motivation der Mitarbeiter. „Sie sind bereit, das Letzte zu geben, um den Betrieb aufrechtzuerhalten.“Das berichtet sie nach 70 Einzelgesprächen sowie Gruppengesprächen; insgesamt erreichte sie so inzwischen zwei Drittel der 300 Mitarbeiter.
Zunächst soll es in der Belegschaft einiges Misstrauen gegeben haben, ob der Arbeitgeber nicht einfach nur kontrollieren will, ob man seinen Job noch packt. „Wir machen das hier aber alles auf freiwilliger Basis“, betont Verwaltungschef Ulrich Katzer. „Wer will, der kann, keiner muss. Das Tolle ist, dass so viele wollen.“
Laut Chefarzt Kerber verfolgt man „eigentlich eine präventive Strategie.“Lotsin Gaggia suchte und fand dafür im lokalen Umfeld Partner. So wird in einem Chorsaal regelmäßig Yoga angeboten, ab Mai soll Physiotherapie im Theater stattfinden. Auf Mitarbeiter zugeschnittene Angebote kommen von einem Fitnessstudio, aus der städtischen Schwimmhalle oder einer Shiatsu-Lehrerin.
Denn ein Theater verlangt nun mal nach besonderen Arbeitszeiten, die nicht nur zur hohen Belastung beitragen, sondern sich mit üblichen Freizeitangeboten kaum vertragen.
Das Modellprojekt ist zunächst auf die laufende Spielzeit ausgelegt worden. Danach muss man weitersehen.
Was laut Intendant Haag bereits gelungen ist: Im Ensemble entsteht ein Bewusstsein dafür, bei aller Arbeit auf sich zu achten. „Früher hieß es nur: immer ran“, so Haag.
„Finanzielle Defizite gleichen wir durch immer mehr Vorstellungen aus. Dabei haben wir es einfach übertrieben.“