Thüringische Landeszeitung (Jena)

Über Wölfe

- VON JOE LITTLE

Wir grillen Steaks auf der Wiese hinter der Scheune und boykottier­en die „Rote Laterne“. Wozu braucht ein Cowboy überhaupt den Saloon? Hop Sing, der chinesisch­e Wirt, hat eine Lektion verdient. „Verfluchte Globalisie­rung“, mault Bill. „Nichts dagegen“, widerspric­ht Jack. „Kritikwürd­ig ist nur das PreisLeist­ungsVerhäl­tnis.“Damit ist das Thema gegessen. Uns Viehzüchte­rn brennt etwas ganz anderes auf dem Hornschuh: der Wolf.

„Jetzt hat sogar der Deutsche Bundestag darüber debattiert, wann eine letale Entnahme gestattet sei“, bemerke ich. „Letale was?“fragt Bill naiv. Jack erklärt milde: „Ein Raubtier darf ausgestopf­t werden, sobald es sich über das Behördende­utsch totgelacht hat.“Wir grölen ein bisschen, die Stimmung ist ausgelasse­n, weil Dick im Keller noch eine Flasche BushfireWh­iskey gefunden hat. Trotzdem ist es uns ernst.

Jack doziert: „Der Wolf spaltet unsere Gesellscha­ft. Seit jeher ein Nahrungsko­nkurrent des Menschen, glaubt man heute in unserer bis zur Dekadenz zivilisier­ten Welt, sich seine Anwesenhei­t leisten zu können.“Interessan­t, so unser Alter, seien die Motivation­en der politische­n Lager: Während die linken Schwärmer den struppigen Streuner als Inbegriff von Autonomie und Freiheit ansähen, hielten die rechten Hardliner ihn für einen Migranten. Also Abschuss. Wir finden den Vergleich etwas waghalsig. Jack sagt nur trocken: „Man muss halt unterschei­den.“Wolf sei nicht gleich Wolf, und Ausländer dürfe man schon gar nicht über einen Kamm scheren. „Mir passt diese Dogmatik gar nicht“, sage ich. „Ich bin gegen den Wolf. Sobald er sich an einem unserer Kälber vergeht, knall’ ich ihn ab.“Bill und Dick stimmen mir zu. Wir saufen.

Da hören wir Lärm vom anderen Ende der Siedlung. Ein Feuerschei­n erhellt das nächtliche Holzdorf. „Die ,Laterne‘!“ruft Bill. Wir zögern keine Sekunde, Dick holt die Winchester­Gewehre aus dem Safe, schon galoppiere­n wir zum Saloon. Die Pergola brennt. Im Feuerschei­n erkennen wir, wie Hop Sing und ShenTe verzweifel­t Wasser in Kochtöpfen anschleppe­n, um zu löschen. Im Halbschatt­en tanzen und johlen obskure Gestalten in weißen Mützen und Umhängen. Ein Holzkreuz brennt auf dem Vorplatz. „Der Klan!“entfährt es Jack voller Entsetzen. Seine tiefbraune Gesichtsha­ut erscheint mir in dieser bizarren Szenerie kreideblei­ch.

Wir ballern eine Salve Platzpatro­nen in die Luft. Und noch eine. So merken die Angreifer nicht, dass wir bloß zu viert sind. Prompt verzieht sich die Bande. Rasch ist das Feuer gelöscht. ShenTe und Hop Sing kullern Freudenträ­nen über die verrußten Wangen. ShenTe gibt jedem von uns einen nassen, pfirsichdu­ftenden Kuss, und Hop Sing kramt eine Flasche mit vertrautem Etikett hinterm Tresen hervor. Unglaublic­h: Der Chinese hat BushfireWh­iskey! – Bald ist der Schreck überwunden. „Ab sofort Essen frei im Saloon“, verkündet Hop Sing. „Verfluchte Wölfe“, knurrt Jack. Im Wiederholu­ngsfall wird scharf geschossen.

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