Thüringische Landeszeitung (Jena)
Schulstraße 11 steht vorm Verkauf
Stadt hat Überkapazitäten bei Flüchtlingsunterkünften – Von 395 Wohnplätzen nur noch 310 belegt
JENA. So ganz könne man das nicht verstehen, sagt Sozialausschuss-Chef Ralf Kleist von den Bündnisgrünen: Die städtische Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge in der Schulstraße 11 (Wenigenjenaer Platz) soll verkauft werden; schon zur Stadtratssitzung im Monat Mai wird den Fraktionen eine Beschlussvorlage mit den Verkaufsmodalitäten präsentiert.
Im Sozialausschuss sei diese Absicht „immer wieder kritisch“betrachtet worden, sagte Kleist, nachdem das Thema während der jüngsten Sitzung des Gremiums abermals besprochen wurde. Für Kleist ist das ein „gut integriertes Haus“. Die Schulstraße 11 ist das am längsten als Gemeinschaftsunterkunft genutzte Gebäude in Jena. Seit 1991 war es 20 Jahre lang als Übergangswohnheim erster Anlaufpunkt für jüdische Kontingentflüchtlinge und Spätaussiedler aus der früheren Sowjetunion; 2012 wurde es mit 65 Wohnplätzen modifiziert hergerichtet für Asylbewerber. Nun sollen die verbliebenen Bewohner der Schulstraße 11 (aktuell 39) zum Beispiel nach JenaNord in die Gemeinschaftsunterkunft Spitzweidenweg 107 wechseln.
Andreas Amend, der städtische Integrationsmanager, sprach auf Zeitungsanfrage die Notwendigkeit an, Überkapazitäten bei den Gemeinschaftsunterkünften adäquat zur stark gesunkenen Zahl ankommender Flüchtlinge abzubauen. Richtig, zu Beginn der so genannten Flüchtlingskrise sei in Jena ein Arbeitspapier entstanden, das auf eine maximale Kapazität von 80 Wohnplätzen Gemeinschaftsunterkunft zielte. Als die Flüchtlingszahl nach dem Herbst 2015 in die Höhe schnellte, habe sich niemand mehr um jene Maßgabe gekümmert. Das Haus Spitzweidenweg 107 sei im Wissen angemietet worden, „dass diese 80-er Grenze überschritten wird“. Maximal 125 Menschen haben dort zum Beispiel Platz. Doch sei die Größe nun durch gute Rahmenbedingungen kompensiert worden: vorbildliche Gemeinschaftsräume, Spielplatz, Fahrradwerkstatt – und das Büro des städtischen Teams für Flüchtlingsangelegenheiten gleich mit im Haus.
„Auf keinen Fall eine Rechtsanwaltskanzlei“
Insgesamt leben in den Jenaer Gemeinschaftsunterkünften nach Andreas Amends Angaben noch 310 Menschen bei einer Kapazität von 395 Plätzen. Von den neugebauten Jenaer Unterkünften dienen die Einrichtungen in der Emil-Wölk- und in der Theobald-Renner-Straße derzeit noch ihrem Ur-Zweck (während die neuen Gebäude in der HugoSchrade-Straße und in der Erfurter Straße vom Studentenwerk als Studentenwohnheime genutzt werden).
Ob die Schulstraße 11 nun besonders geeignet ist als Flüchtlingsunterkunft, „das sei mal dahingestellt“, sagte Andreas Amend. Sozial-Fachdienstleiterin Barbara Wolf hatte dem Sozialausschuss zudem eine Nutzwertanalyse zu den Jenaer Unterkünften präsentiert nach Kriterien wie „Kapazität“, „Familienfreundlichkeit“, „Barrierrefreiheit“, „günstigste Umnutzungsvoraussetzungen“, „Mietund Fördermittelbindung“. Danach hatte sich das Haus Schulstraße 11 als eines der bestgeeigneten Objekte für eine Vermarktung herauskristallisiert.
Bürgermeister Frank Schenker (CDU) merkte an, auch in seinem Fachressort könnten nicht ständig Forderungen nach neuen Baulichkeiten eingebracht werden. Dort, wo es Überkapazitäten gebe, müsse auch ein Rückschnitt akzeptiert werden. Eine gewachsene Struktur wie die Schulstraße 11 aufzugeben, sei zwar nicht leicht. Doch solle bei der Vermarktung darauf geachtet werden, dass das Haus auch künftig „im weiteren Sinne gemeinnützig“betrieben wird. „Dort wird auf keinen Fall eine Rechtsanwaltskanzlei unterkommen“, sagte der Bürgermeister.
Andreas Amend weiß es zu schätzen, wie er betonte, dass sich in Jena-Ost seit Jahren viele Ehrenamtliche um die Neuankömmlinge in der Schulstraße 11 kümmern. Aber auf die Phase nach dem Aufenthalt in der Schulstraße 11 geschaut: In Jena-Ost gebe es keine Wohnungen des geringeren Standards, der die Erstattung der Kosten der Unterkunft via Jobcenter rechtfertigt (was für die meist zuerst bei Hartz IV eingestuften Betroffenen aber wichtig ist).
Wenigenjenas Ortsteilbürgermeisterin Rosa Maria Haschke widerspricht diesem Kalkül: Es habe immer schon Bewohner der Schulstraße 11 gegeben, die nach Klärung ihres Status in Jena-Ost eine Wohnung gefunden haben.
Nach Auffassung des Wenigenjenaer Ortsteilrates ist es mit Blick auf die gesamte Stadt sinnvoll, den sozial stärker belasteten Wohngebieten weniger Integrationsleistung aufzubürden – und stattdessen Ortsteile wie Wenigenjena stärker einzubinden, berichtete Rosa Maria Haschke. Für den Erhalt der Gemeinschaftsunterkunft spreche das „integrationsfreundliche Milieu“in Wenigenjena. Selbst Konflikte seien allzeit im Dialog mit der Heimleitung und der Integrationsbeauftragten geklärt worden. Äußerst günstig für die Ankömmlinge sei die Lage des Hauses – durchmischtes Wohngebiet, Stadtzentrum wie auch Behörden, Schulen, Kindergärten sehr gut zu Fuß erreichbar.
Sollte der Verkauf der Schulstraße 11 unabwendbar sein – Ralf Kleist hätte da eine Idee: Vielleicht könne das Gebäude in Übereinkunft mit dem neuen Eigner als Wohngebietszentrum ausgebaut werden. Ein Teil unserer Ausgabe enthält Beilagen der Firma Trendtours Touristik GmbH.