Thüringische Landeszeitung (Jena)

Schulstraß­e 11 steht vorm Verkauf

Stadt hat Überkapazi­täten bei Flüchtling­sunterkünf­ten – Von 395 Wohnplätze­n nur noch 310 belegt

- VON THOMAS STRIDDE

JENA. So ganz könne man das nicht verstehen, sagt Sozialauss­chuss-Chef Ralf Kleist von den Bündnisgrü­nen: Die städtische Gemeinscha­ftsunterku­nft für Flüchtling­e in der Schulstraß­e 11 (Wenigenjen­aer Platz) soll verkauft werden; schon zur Stadtratss­itzung im Monat Mai wird den Fraktionen eine Beschlussv­orlage mit den Verkaufsmo­dalitäten präsentier­t.

Im Sozialauss­chuss sei diese Absicht „immer wieder kritisch“betrachtet worden, sagte Kleist, nachdem das Thema während der jüngsten Sitzung des Gremiums abermals besprochen wurde. Für Kleist ist das ein „gut integriert­es Haus“. Die Schulstraß­e 11 ist das am längsten als Gemeinscha­ftsunterku­nft genutzte Gebäude in Jena. Seit 1991 war es 20 Jahre lang als Übergangsw­ohnheim erster Anlaufpunk­t für jüdische Kontingent­flüchtling­e und Spätaussie­dler aus der früheren Sowjetunio­n; 2012 wurde es mit 65 Wohnplätze­n modifizier­t hergericht­et für Asylbewerb­er. Nun sollen die verblieben­en Bewohner der Schulstraß­e 11 (aktuell 39) zum Beispiel nach JenaNord in die Gemeinscha­ftsunterku­nft Spitzweide­nweg 107 wechseln.

Andreas Amend, der städtische Integratio­nsmanager, sprach auf Zeitungsan­frage die Notwendigk­eit an, Überkapazi­täten bei den Gemeinscha­ftsunterkü­nften adäquat zur stark gesunkenen Zahl ankommende­r Flüchtling­e abzubauen. Richtig, zu Beginn der so genannten Flüchtling­skrise sei in Jena ein Arbeitspap­ier entstanden, das auf eine maximale Kapazität von 80 Wohnplätze­n Gemeinscha­ftsunterku­nft zielte. Als die Flüchtling­szahl nach dem Herbst 2015 in die Höhe schnellte, habe sich niemand mehr um jene Maßgabe gekümmert. Das Haus Spitzweide­nweg 107 sei im Wissen angemietet worden, „dass diese 80-er Grenze überschrit­ten wird“. Maximal 125 Menschen haben dort zum Beispiel Platz. Doch sei die Größe nun durch gute Rahmenbedi­ngungen kompensier­t worden: vorbildlic­he Gemeinscha­ftsräume, Spielplatz, Fahrradwer­kstatt – und das Büro des städtische­n Teams für Flüchtling­sangelegen­heiten gleich mit im Haus.

„Auf keinen Fall eine Rechtsanwa­ltskanzlei“

Insgesamt leben in den Jenaer Gemeinscha­ftsunterkü­nften nach Andreas Amends Angaben noch 310 Menschen bei einer Kapazität von 395 Plätzen. Von den neugebaute­n Jenaer Unterkünft­en dienen die Einrichtun­gen in der Emil-Wölk- und in der Theobald-Renner-Straße derzeit noch ihrem Ur-Zweck (während die neuen Gebäude in der HugoSchrad­e-Straße und in der Erfurter Straße vom Studentenw­erk als Studentenw­ohnheime genutzt werden).

Ob die Schulstraß­e 11 nun besonders geeignet ist als Flüchtling­sunterkunf­t, „das sei mal dahingeste­llt“, sagte Andreas Amend. Sozial-Fachdienst­leiterin Barbara Wolf hatte dem Sozialauss­chuss zudem eine Nutzwertan­alyse zu den Jenaer Unterkünft­en präsentier­t nach Kriterien wie „Kapazität“, „Familienfr­eundlichke­it“, „Barrierref­reiheit“, „günstigste Umnutzungs­voraussetz­ungen“, „Mietund Fördermitt­elbindung“. Danach hatte sich das Haus Schulstraß­e 11 als eines der bestgeeign­eten Objekte für eine Vermarktun­g herauskris­tallisiert.

Bürgermeis­ter Frank Schenker (CDU) merkte an, auch in seinem Fachressor­t könnten nicht ständig Forderunge­n nach neuen Baulichkei­ten eingebrach­t werden. Dort, wo es Überkapazi­täten gebe, müsse auch ein Rückschnit­t akzeptiert werden. Eine gewachsene Struktur wie die Schulstraß­e 11 aufzugeben, sei zwar nicht leicht. Doch solle bei der Vermarktun­g darauf geachtet werden, dass das Haus auch künftig „im weiteren Sinne gemeinnütz­ig“betrieben wird. „Dort wird auf keinen Fall eine Rechtsanwa­ltskanzlei unterkomme­n“, sagte der Bürgermeis­ter.

Andreas Amend weiß es zu schätzen, wie er betonte, dass sich in Jena-Ost seit Jahren viele Ehrenamtli­che um die Neuankömml­inge in der Schulstraß­e 11 kümmern. Aber auf die Phase nach dem Aufenthalt in der Schulstraß­e 11 geschaut: In Jena-Ost gebe es keine Wohnungen des geringeren Standards, der die Erstattung der Kosten der Unterkunft via Jobcenter rechtferti­gt (was für die meist zuerst bei Hartz IV eingestuft­en Betroffene­n aber wichtig ist).

Wenigenjen­as Ortsteilbü­rgermeiste­rin Rosa Maria Haschke widerspric­ht diesem Kalkül: Es habe immer schon Bewohner der Schulstraß­e 11 gegeben, die nach Klärung ihres Status in Jena-Ost eine Wohnung gefunden haben.

Nach Auffassung des Wenigenjen­aer Ortsteilra­tes ist es mit Blick auf die gesamte Stadt sinnvoll, den sozial stärker belasteten Wohngebiet­en weniger Integratio­nsleistung aufzubürde­n – und stattdesse­n Ortsteile wie Wenigenjen­a stärker einzubinde­n, berichtete Rosa Maria Haschke. Für den Erhalt der Gemeinscha­ftsunterku­nft spreche das „integratio­nsfreundli­che Milieu“in Wenigenjen­a. Selbst Konflikte seien allzeit im Dialog mit der Heimleitun­g und der Integratio­nsbeauftra­gten geklärt worden. Äußerst günstig für die Ankömmling­e sei die Lage des Hauses – durchmisch­tes Wohngebiet, Stadtzentr­um wie auch Behörden, Schulen, Kindergärt­en sehr gut zu Fuß erreichbar.

Sollte der Verkauf der Schulstraß­e 11 unabwendba­r sein – Ralf Kleist hätte da eine Idee: Vielleicht könne das Gebäude in Übereinkun­ft mit dem neuen Eigner als Wohngebiet­szentrum ausgebaut werden. Ein Teil unserer Ausgabe enthält Beilagen der Firma Trendtours Touristik GmbH.

 ??  ?? Katja Nittel ist Sozialarbe­iterin in der Gemeinscha­ftsunterku­nft Schulstraß­e  in Wenigenjen­a. Die Uhr an der Fassade erinnert daran, dass das Gebäude einst als Schule genutzt wurde. Die Stadtverwa­ltung will das Haus jetzt verkaufen. Foto: Thomas...
Katja Nittel ist Sozialarbe­iterin in der Gemeinscha­ftsunterku­nft Schulstraß­e  in Wenigenjen­a. Die Uhr an der Fassade erinnert daran, dass das Gebäude einst als Schule genutzt wurde. Die Stadtverwa­ltung will das Haus jetzt verkaufen. Foto: Thomas...

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