Thüringische Landeszeitung (Jena)

Kleine Zeitreise

Reenactmen­t-Gruppen stellen Schlachten nach und erwecken vergangene Zeiten v Rittern, Königen und Generälen zum Leben. Um Militarism­us geht es ihnen aber nic

- Von Robin Kraska

Sie sind gelernte Tischlerme­ister und arbeiten als Isolierer, verdienen ihr Geld mit Marketing oder als Immobilien­makler, sind selbststän­dig, haben studiert, waren beim Bund.

Doch nach Feierabend durchlaufe­n sie eine Metamorpho­se. Verwandeln sich in Ritter, Könige und Mägde, werden zu Kapitäne und Burgherren, leben in Heereslage­rn und katapultie­ren sich für ein paar Stunden, vielleicht Tage, zurück in frühere Zeit; 200 Jahre, 700 Jahre, manche bis in die Zeit um 500 nach Christus.

Das ist ihr Hobby und es heißt Reenactmen­t oder Living History e Geschichte). Ziel ist, vere Lebenswelt­en aller ren Epochen und Kulturso getreu wie möglich darn und Geschichte erlebmache­n – für Zuschauer gfesten, Mittelalte­rspektand bei Ritterspie­len, aber r sie selbst. Beim Reenactt steht die akkurate Aufhrung verbürgter historiher Ereignisse im Vordergrun­d: häufig Schlachten, aber auch Turniere oder große Vermählung­en. Wohl prominente­stes Beispiel in Thüringen sind die Napoleonsc­hlachten von Jena und Auerstedt. Alle fünf Jahre erwecken Reenacter das verlustrei­che Gemetzel, mit dem Preußens Niedergang besiegelt wurde, an Originalsc­hauplätzen zum Leben. Gestorben wird dabei natürlich nicht: Die Schmerzens­laute der Soldaten, wenn im nachgebaut­en Feldlazare­tt eine Amputation ohne Betäubung simuliert wird, sind unecht.

Bildungsau­ftrag in Rüstung

Also Krieg spielen, nur so zum Spaß? „Eben nicht“, stellt Maik Elliger entschiede­n klar. Elliger ist Immobilien­makler, 50 Jahre alt, und Vorsitzend­er im Freien Ritterbund Thüringen, dessen Darstellun­gszeitraum das gesamte Mittelalte­r umfasst, also die Zeitspanne von 500 bis 1500 – und als jüngstes Projekt auch die napoleonis­che Zeit. In dem Verein aus Ichtershau­sen kennt man solche und ähnliche Vorwürfe. „Blutige Auseinande­rsetzungen sind Teil unserer Geschichte. Wir wollen vielmehr besonders der jüngeren Generation Wissen vermitteln und sehen hier einen Bildungsau­ftrag“, sagt Elliger. Kriegsverh­errlichung und Militarism­us lehnen die meisten Reenacter ab. Nicht zuletzt gelte es oft, mit Mythen und populären Irrtümern aufzuräume­n, die sich beispielsw­eise durch Infotainme­ntformate im Fernsehen in den Köpfen festgesetz­t hätten, betont neben Maik Elliger auch André Görlach von den Freidigen aus Gerstungen. „Das Publikum kommt mit unterschie­dlichem Vorwissen und Ansprüchen an die historisch­e Korrekthei­t – und nimmt dann schnell für bare Münze, was ihm auf vielen Spektakeln und Mittelalte­rmärkten gezeigt wird“, sagt Görlach.

Lanzenturn­iere wie damals

„Es ist Quatsch, dass ein gefallener Ritter wegen seiner schweren Rüstung nicht mehr ohne Hilfe aufstehen konnte oder sie vor dem Kampf mit Kränen aufs Pferd gesetzt wurden“, sagt er. Auch sei es bei den Rittermahl­en durchaus sittsam zugegangen. „Da hat keiner Knochen hinter sich geschmisse­n.“Bei den Freidigen wird Wert auf Perfektion und Faktentreu­e gelegt, Turniere zu

Pferd Schwerpunk­t Gros Mittelalte­r men. Die der mit Qualität Szene Gruppen Lanze und der ist und Rittern und Darbietung­en. heterogen,das hat Profession­ali Schwert sind sich angenom- jedoch tät verschiede­n spruch. der So Inszenieru­ngen sagt wie Peter der Thiele, Ver Selbstan- sind so einsvorsit­zender se König im „Volk beziehunsw­ei- von Caraslan" aus dem Raum Gera: „Wir haben bewusst mythologis­che Figuren wie Zwerge und Hexen bei unse ren Auftritten dabei und wollen viele" Besucher ansprechen.

Bei aller Vielfalt gibt es einen gemeinsame­n Nenner: Die Auszeit vom Alltag, die die Schauspiel­er schätzen, wenn sie Herrscher oder Ritter auf Zeit sind und Shirt gegen Kettenhemd tauschen. „Wenn ich in meiner Rolle als Befehlshab­er bin, dann mit allen Sinnen", sagt Maik Elliger. „Es ist der per fekte Ausgleich zur Arbeit," bekräftigt Volker Rilk. Er hat sich mit anderen Reenactern auf das Amerika des Sezessiion­skriegs spezialisi­ert. Die Truppe stelt das 2. US-Dragoner-Regiment der Union dar. Dort ist Peter Welsch ganz Lieutenant – nicht isolierer.

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FOTO: VE Der Freie Ritterbund Thüringen im vorigen Jahr bei einer mittelalte­rlichen Modenschau auf Burg Greifenste­in in Bad Blankenbur­g. Links die typische K dung des 11. Jahrhunder s, rechts wird die Mode in der Mitte des 13. Jahrhunder s gezeig .
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FOTO: ISTOCK/DRW ARTWORKS .
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.FOTO: ISTOCK/BATAREYKIN

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