Thüringische Landeszeitung (Jena)

Hier spricht der Kapitän!

- VON BODO BAAKE

Kreuzfahrt­en sind heute auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Aber irgendwie schlummert in dem Begriff immer noch die Restsubsta­nz von Abenteuer und Gefahr der Kreuzzüge, auf die sich Rittersleu­t’ gen Osten oder ins Heilige Land begaben. Dorthin mit dem Reiseziel, Christentu­m und Abendland vor den Muselmanen zu retten, sich einen Platz im Himmelreic­h sichern und auf Erden die klamme Haushaltsk­asse mit ein paar Pretiosen aufzubesse­rn.

Wenigen nur war das beschieden. Viele kamen gar nicht zurück, andere mit einem Loch in der Tasche oder einer Krankheit in der Hose.

Richard Löwenherz hatte Glück, er kam gerade noch rechtzeiti­g heim nach England, um sein Königreich zu retten. Und noch besser traf es Graf Ernst von Gleichen, der ein rechter Glückspilz war: Nicht nur dass er sich aus dem Morgenland eine Zweitfrau mitbrachte, wurde diese auch von seiner Erstfrau herzlich in Ohrdruf (am Gasthof Freudentha­l!) empfangen, und der Papst setzte noch eines drauf und segnete die morganatis­che Ehe. Eine Geschichte, die Thüringer bis heute ans grüne Herz rührt.

Vielleicht stellen sie auch daher einen guten Anteil der Passagiere der immer beliebter werdenden Kreuzfahrt­en, deren Flotte gerade um ein neues Superschif­f, die „Norwegian Bliss“, gewachsen ist. Sie haben heute nicht mehr mit den Kreuzzügen von einst zu tun, außer dass sie die Meere kreuzen und den Reisenden ein gewisses Seelenheil verspreche­n: beim Landgang an den schönsten Stränden der Welt, dem Bummel durch die Pilgerzone­n der Basare oder dem RundumSorg­losService an Bord. Dabei werden die Preise immer erschwingl­icher und die Umgangsfor­men immer kommoder. Kein Frackzwang beim Käpt’nsDinner mehr und im Jogginganz­ug ans Buffet. Die MS Deutschlan­d ist im Fernsehen zur Reliquie der Nation geworden, Turns mit Hurtigrute­n werden als Hauptgewin­n für das „Tor des Monats“ausgelost und überhaupt: Kreuzfahrt­en sind von einem Event für abenteuerl­ustige Rabauken zur Schule der Demokratie geworden.

Allerdings kommt uns hier auch noch eine andere Frage bei. Könnte es sein, dass es uns aufs Meer hinauszieh­t, Kreuzfahrt­en auch deswegen immer beliebter werden, weil wir uns an Land nicht mehr sicher genug fühlen? Mal zwei Wochen abschalten von den täglichen Horrornach­richten. Weg hier! Am Ende sind Kreuzfahrt­liner kommode Schlauchbo­ote für Wohlstands­flüchtling­e? Spätestens an dieser Stelle ergreift der Kapitän Kommando und Megaphon: Solch ein Zynismus kommt mir nicht an Bord!

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