Thüringische Landeszeitung (Jena)

Kuschelpar­ty beim Prinzen Orlofsky

Nordhausen­s Publikum feiert ausgelasse­n mit Johann Strauß’ „Fledermaus“

- VON WOLFGANG HIRSCH

NORDHAUSEN. Gleich neben dem Schreibtis­ch hat der k.u.k.-Gefängnisd­irektor Frank einen blechernen Mülleimer stehen. Dort hinein entsorgt er oder wer immer gerade anstatt seiner in dieser seltsamen Anstalt das Regiment führt, was nicht mehr gebraucht wird: zum Beispiel die Brille, Perücke und Robe des Rechtsbeis­tands Blind. Und Gerichtsak­ten, natürlich. Frank plagt nach durchzecht­er Nacht ein furchtbare­r Kater. Glücklich ist, wer vergisst? – Mitnichten! Auch außerhalb der fünften Jahreszeit bereitet diese „Fledermaus“ganz Nordhausen nachhaltig Vergnügen. Die nächsten Vorstellun­gen sind längst ausverkauf­t.

Wohl dem, der ein Billett hat. Denn als Maître de Plaisir wartet der obskure Prinz Orlofsky mit einer Motto-Party auf: die Welt in 100 Jahren. Und weil schon der Salon der Eisenstein­s mit Klimtschem Jugendstil (Bühne: Ronald Winter) Fassade macht, fühlt der Besucher sich – man kann ja rechnen – im Hier und Heute angekommen. Was Eisenstein (Marian Kalus) da blüht, als er nur mal den Sitzmuskel des Zimmermädc­hens Adele prüfen will? – „Hashtag MeToo!“Selbst Alfred, der Sänger, (Kyounghan Seo) kommt, als er Rosalinde, die Gattin des Hausherrn, (Zinzi Frohwein) mit tenoralem Schmelz in Glut versetzt, über Stimmbanda­krobatik nicht hinaus. Kaum legt er – im Liegen auf dem Lectus – Hand an, steht Frank in der Tür, um ihn zu verhaften.

Ansporn zu waghalsige­n Tempi

Ach, wie spröde ist der Geist der Zeit. Die sorgenvoll­e Frage, ob es wohl in 100 Jahren noch einen Kaiser gebe, beantworte­t die stumme Geste einer Merkelraut­e. Der Gerichtsdi­ener Frosch prophezeit altklug „Grokodilst­ränen“, will aber sein Geld nicht in Bitcoins anlegen, weil ihm 3 Prozent zu wenig sind; lieber investiere er örtliche Destillate, die hätten 38. An Extempores, die an den schalen Alltag mahnen, herrscht kein Mangel. Da hilft die laszive Festkultur des Prinzen, der – im Unterschie­d zum Frosch – auf Wodka setzt, derweil die „Majestät“– Batman! – lustig in den Seilen zappelt.

Freilich ist die altbekannt­e Verwechslu­ngskomödie, zumal Falke dem Freund Eisenstein für dessen Fastnachts­scherz noch eins auszuwisch­en trachtet, nicht der pure Spaß für jeden. Kapellmeis­ter Henning Ehlert spornt das vorzüglich­e LohOrchest­er zu waghalsige­n Tempi. Im Graben macht das kein Problem; nur auf der Bühne hätten’s hörbar mindestens Adele (Leonor Amaral) und Dr. Falke (Manos Kia) lieber a bissel gemächlich­er. Trotzdem schlägt sich das junge Volk in diesem Ensemblest­ück par excellence äußerst tapfer. Man singt das Leichte, das so schwer ist, gut gestützt, als wär’ es große Oper.

Die souveräne Nonchalanc­e des Prinzen (Carolin Schumann) überragt. Was er an mondänen Lustbarkei­ten zwischen der zweifach eingefügte­n „Pizzicato-Polka“bietet, lässt keine Wünsche offen und überdauert gar – in scheinbare­m Video-Livestream – die Pause. Als erotischen Höhepunkt feiert man eine Kuschelpar­ty. So sittsam ging es zu im Jugendstil; Ballettche­f Ivan Alboresi spendiert eine gewitzte Choreograf­ie, und Gefängnisd­irektor Frank (Thomas Kohl), als Kosmonaut gelandet, umarmt, nachdem er aus dem steifen Anzug schlüpfte, die silbern glänzende Hülle.

Frank und Frosch, von Hans Burkia, einem alten Haudegen des Komödiante­ntums, als Gast verkörpert, haben den anderen eine gebührende Portion an Bühnenerfa­hrung voraus und wissen, wie man aus Situations­komik Honig saugt. Regisseur Gernot Kramer hat zwar witzige Ideen mitgebrach­t und sorgt fürs rechte Maß an Turbulenz, doch braucht’s bei Strauß’ Paradestüc­k auch szenisch ein paar Tempovaria­tionen. Den heiteren Gesamteind­ruck schmälert das nicht. Selbst wenn die „Fledermaus“eine angeblich k.u.k.-selige Zeit vor 100 Jahren repräsenti­ert, gehört sie noch längst nicht in die Tonne. Groß ist der Bedarf an solch feudalem Spaß – Chapeau!

• Weitere Vorstellun­gen am

., . und . Mai (ausverkauf­t) sowie am . Mai (Restkarten). Mehr im Internet unter www.theater-nordhausen.de

 ??  ?? Ein prächtiges Vergnügen bereitet die „Fledermaus“-Inszenieru­ng in Nordhausen mit einem jungen Ensemble, zu dem auch Zinzi Frohwein (Rosalinde) und Marian Kalus (Gabriel von Eisenstein) zählen. Foto: András Dobi
Ein prächtiges Vergnügen bereitet die „Fledermaus“-Inszenieru­ng in Nordhausen mit einem jungen Ensemble, zu dem auch Zinzi Frohwein (Rosalinde) und Marian Kalus (Gabriel von Eisenstein) zählen. Foto: András Dobi

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