Thüringische Landeszeitung (Jena)
Kuschelparty beim Prinzen Orlofsky
Nordhausens Publikum feiert ausgelassen mit Johann Strauß’ „Fledermaus“
NORDHAUSEN. Gleich neben dem Schreibtisch hat der k.u.k.-Gefängnisdirektor Frank einen blechernen Mülleimer stehen. Dort hinein entsorgt er oder wer immer gerade anstatt seiner in dieser seltsamen Anstalt das Regiment führt, was nicht mehr gebraucht wird: zum Beispiel die Brille, Perücke und Robe des Rechtsbeistands Blind. Und Gerichtsakten, natürlich. Frank plagt nach durchzechter Nacht ein furchtbarer Kater. Glücklich ist, wer vergisst? – Mitnichten! Auch außerhalb der fünften Jahreszeit bereitet diese „Fledermaus“ganz Nordhausen nachhaltig Vergnügen. Die nächsten Vorstellungen sind längst ausverkauft.
Wohl dem, der ein Billett hat. Denn als Maître de Plaisir wartet der obskure Prinz Orlofsky mit einer Motto-Party auf: die Welt in 100 Jahren. Und weil schon der Salon der Eisensteins mit Klimtschem Jugendstil (Bühne: Ronald Winter) Fassade macht, fühlt der Besucher sich – man kann ja rechnen – im Hier und Heute angekommen. Was Eisenstein (Marian Kalus) da blüht, als er nur mal den Sitzmuskel des Zimmermädchens Adele prüfen will? – „Hashtag MeToo!“Selbst Alfred, der Sänger, (Kyounghan Seo) kommt, als er Rosalinde, die Gattin des Hausherrn, (Zinzi Frohwein) mit tenoralem Schmelz in Glut versetzt, über Stimmbandakrobatik nicht hinaus. Kaum legt er – im Liegen auf dem Lectus – Hand an, steht Frank in der Tür, um ihn zu verhaften.
Ansporn zu waghalsigen Tempi
Ach, wie spröde ist der Geist der Zeit. Die sorgenvolle Frage, ob es wohl in 100 Jahren noch einen Kaiser gebe, beantwortet die stumme Geste einer Merkelraute. Der Gerichtsdiener Frosch prophezeit altklug „Grokodilstränen“, will aber sein Geld nicht in Bitcoins anlegen, weil ihm 3 Prozent zu wenig sind; lieber investiere er örtliche Destillate, die hätten 38. An Extempores, die an den schalen Alltag mahnen, herrscht kein Mangel. Da hilft die laszive Festkultur des Prinzen, der – im Unterschied zum Frosch – auf Wodka setzt, derweil die „Majestät“– Batman! – lustig in den Seilen zappelt.
Freilich ist die altbekannte Verwechslungskomödie, zumal Falke dem Freund Eisenstein für dessen Fastnachtsscherz noch eins auszuwischen trachtet, nicht der pure Spaß für jeden. Kapellmeister Henning Ehlert spornt das vorzügliche LohOrchester zu waghalsigen Tempi. Im Graben macht das kein Problem; nur auf der Bühne hätten’s hörbar mindestens Adele (Leonor Amaral) und Dr. Falke (Manos Kia) lieber a bissel gemächlicher. Trotzdem schlägt sich das junge Volk in diesem Ensemblestück par excellence äußerst tapfer. Man singt das Leichte, das so schwer ist, gut gestützt, als wär’ es große Oper.
Die souveräne Nonchalance des Prinzen (Carolin Schumann) überragt. Was er an mondänen Lustbarkeiten zwischen der zweifach eingefügten „Pizzicato-Polka“bietet, lässt keine Wünsche offen und überdauert gar – in scheinbarem Video-Livestream – die Pause. Als erotischen Höhepunkt feiert man eine Kuschelparty. So sittsam ging es zu im Jugendstil; Ballettchef Ivan Alboresi spendiert eine gewitzte Choreografie, und Gefängnisdirektor Frank (Thomas Kohl), als Kosmonaut gelandet, umarmt, nachdem er aus dem steifen Anzug schlüpfte, die silbern glänzende Hülle.
Frank und Frosch, von Hans Burkia, einem alten Haudegen des Komödiantentums, als Gast verkörpert, haben den anderen eine gebührende Portion an Bühnenerfahrung voraus und wissen, wie man aus Situationskomik Honig saugt. Regisseur Gernot Kramer hat zwar witzige Ideen mitgebracht und sorgt fürs rechte Maß an Turbulenz, doch braucht’s bei Strauß’ Paradestück auch szenisch ein paar Tempovariationen. Den heiteren Gesamteindruck schmälert das nicht. Selbst wenn die „Fledermaus“eine angeblich k.u.k.-selige Zeit vor 100 Jahren repräsentiert, gehört sie noch längst nicht in die Tonne. Groß ist der Bedarf an solch feudalem Spaß – Chapeau!
• Weitere Vorstellungen am
., . und . Mai (ausverkauft) sowie am . Mai (Restkarten). Mehr im Internet unter www.theater-nordhausen.de