Thüringische Landeszeitung (Jena)
Mythologisches Spiel mit Superhelden
Vom Untergang Trojas berichten Steffi König, Kathrin Blüchert und Karoline Vogel zauberhaft und unterhaltsam im Erfurter Puppentheater Waidspeicher
ERFURT. Hier ist nicht die Heimat griechischer Mythologie, in der Götter so menschlich und Menschen göttliche Puppen sind, aber hier ist sie zu Hause wie nirgends: im Figurentheater, das alte Griechen gar nicht kannten.
Hier, zwischen Spieler und Figur, findet die antike Schicksalsgemeinschaft ihre Entsprechung. Und „unaufhaltsam vollzieht sich, was das Schicksal einmal beschlossen hat“.
So heißt es bei Franz Fühmann, der den vielleicht 27 Jahrhunderte alten Homer vor einem halben Jahrhundert nacherzählte: die Ilias, die Odyssee. Beide Erzählungen erschienen einst unter dem Übertitel „Das hölzerne Pferd“. Der gilt nun in Erfurt allein der Sage von Trojas Fall – den drei Göttinnen wenn nicht verursachten, so aber doch heraufbeschworen: Hera, Athene und Aphrodite, die sich dem korrumpierten Schönheitsurteil des Trojaners Paris zu stellen hatten und sich ihm doch nicht unterwarfen.
Da das Theater Waidspeicher drei göttliche Spielerinnen unter den seinen weiß, geschieht das Erwartbare: Steffi König, Kathrin Blüchert und Karoline Vogel buhlen um den Zankapfel, den Eris „der Schönsten“weihte. Dann spielen sie auf dreiteiligem Spieltisch Heldenepos: mit Paris, Helena, Hektor, Priamos, Agamemnon, Menelaos, Odysseus, Achill.
Dafür braucht’s Koalitionen; diese Vierfüßlerpuppen wären allein nicht gut zu führen. Das Trio ist die Götterund belebt die Menschenwelt. Zurückhaltend spielt es die Symbolik seiner Form aus: Wie Götter mit Menschen spielen, spielen sie nicht. Sie sind als Schauspielerinnen das eine, in einer sehr harmonischen, fließenden, pralles Leben einhauchenden Figurenführung das andere.
Frank Alexander Engel hat das inszeniert und mit Kerstin Schmidt ausgestattet. Sie entschieden sich im Kern für weiße Puppen in Superheldenmanier, schemenhaft ge- und bezeichnet, ohne Gesicht, unterscheidbar anhand ihrer abnehmbaren Maskenhelme und der Anfangsbuchstaben ihrer Namen auf der Brust.
Dennoch, will das uns wohl sagen, bleiben sie austauschbar, nur durch den Zufall (oder Schicksal) auf diese und jene Seite des Krieges gestellt.
Der wütet inzwischen im zehnten Jahr, beschert mal Trojanern, mal Griechen eine siegreiche Schlacht und findet kein Ende. Unaufhörlich verrücken die Spielerinnen mit magnetischen Pappkameraden auf der vernieteten Tafelwand die Schlachtund Kriegsordnung, schießen mit Kreide Pfeile und Lanzen ab. Den Ton heiligen Ernstes, mit dem Fühmann längst kriegsmüde Völker beschrieb, trifft der Abend dabei nicht: weil er nicht darauf abzielte.
Worum es ihnen zu tun war, ist die atmosphärisch dichte Erzählung, auch mittels Toneffekten und heiterdramatischem Soundtrack. Das gelingt bravourös, in 80 unterhaltsamen Minuten, in denen der Olymp häufig komödiantisch daherkommt, die Erde aber melancholisch. Steffi König fällt auf durch gestische Parodien und stimmliche Imitationskraft.
Der Abend schreitet zwar nicht den ganzen Kreis der Schöpfung aus, den ein Puppentheater hier zieht. Er kommt dem allerdings sehr nahe.
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Wieder am . Mai.