Thüringische Landeszeitung (Jena)
Utopisten, Erfinder und Phantasten
Der Dokumentarfilm „Vom Bauen der Zukunft“nimmt sich das (fast) 100jährige Bauhaus vor
WEIMAR. Gleich eine der ersten Sequenzen des Dokumentarfilms „Vom Bauen der Zukunft“zeigt einen Überflug über Weimar. Das Weichbild einer gemütlichen Kleinstadt: „Stadt der Deutschen Klassik. Goethe, Schiller. Konservativ und superprovinziell“, urteilt der Sprecher aus dem Off. „Hier gründete der Berliner Architekt Walter Gropius 1919 das Staatliche Bauhaus.“Sonst kommt die Wiege der Kunstschule, um deren 100-jähriges Jubiläum es angeblich geht, in dem Streifen von Niels Bolbrinker und Thomas Tielsch kaum vor.
Die beiden Autoren spüren dem Wirken und mehr noch dem Nachwirken der Bauhaus-Idee nach, ohne das eine vom anderen klar zu unterscheiden. Es mag dies die Kardinalsünde im Laufe einer filmischen Argumentation sein, die dem Bauhaus am Ende mindestens implizit vorwirft, sich nicht mit einer Wissenschaftsdisziplin befasst zu haben, die zu Zeiten des historischen Bauhauses 1919 bis 1933 an Hochschulen kaum etabliert war: die Urbanistik. Denn Bolbrinker und Tielsch suchen nach Lösungen für das 21., nicht für das 20. Jahrhundert – für die wuchernden Slums in der Dritten Welt und die immer teureren Wohnräume in den westlichen Metropolen.
Weimar dient da nur als Folie fürs Reaktionäre. „In Weimar war das Bauhaus von Anfang an ein angefeindeter Fremdkörper“, heißt es. „Es war die fleischgewordene Ruhestörung.“Wirklich modern wird das Bauhaus, glaubt man den beiden Autoren, erst nach der in euphemistischer Neutralität als „Umzug“bezeichneten Vertreibung 1925 gen Dessau. Dort habe man Abschied von der „Idee des künstlerischen Handwerkers“genommen und Kunst und Technik als eine neue Einheit betrachtet. Das Bauhaus-Manifest von 1923, das diese Entwicklung bereits determiniert, findet keine Erwähnung.
Das Bauhaus „war zuallererst eine Schule, ein Campus für Utopisten, Erfinder und Phantasten“, werden die Weimarer Jahre gewürdigt, und immerhin kommt die Vokabel „Interdisziplinarität“einmal vor. Dass das Besondere dieser Avantgarde aber darin bestand, Kunst, Produktgestaltung und Architektur zu einer Dreieinigkeit zu verbinden, wird leider nicht explizit. Nur das Ziel der Bewegung verdeutlicht ein Zitat Xanti Schawinskys: „Wollen wir die Umwelt gestalten oder die Welt umgestalten?“Eher letzteres.
So ärgerlich diese Fehler und Nachlässigkeiten, so famos die wenigen historischen Film- und Fotodokumente. Sie zeigen zum Beispiel Kandinsky beim Malen und die Studenten beim Feiern. Überhaupt hat der Film eine Stärke darin, wie er das Leben und Arbeiten am Dessauer Bauhaus rekonstruiert. Wie er die modulare Bauweise der prototypischen Meisterhäuser ebenso vorstellt wie die sozialen Verhältnisse in den hellhörigen Studentenapartments – am Beispiel der Wohnstube Marianne Brandts. Wir lernen: Modern waren Teleskoplampen, Schuheinbauschränke und kurzhaarige Mädchen, die rauchten. Beiläufig sieht man Bilder in den Depots der Bauhaus-Stiftung, Figurinen des Triadischen Balletts und Stühle nach dem Entwurf Marcel Breuers in der dortigen Aula.
Torsten Blume, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung, erzählt ein wenig über das „spirituell und esoterisch gefärbte Konzept“, das innere Wesen der Dinge zu entdecken, ihre Materialität und die „ewige Einheit des Schönen zwischen dem Kosmischen und dem Menschlichen“. Auch heißt es, die Werkstätten hätten jeweils einen künstlerischen Leiter und einen Handwerksmeister gehabt. Doch galt all dies von Beginn an – und schon in Weimar.
Dafür legen die Filmautoren nahe, eine Fortsetzung des Bauhauses habe es nach 1933 – dem Jahr der Schließung in Berlin – in den Vereinigten Staaten gegeben, am Black Mountain College als einer „Insel der Utopie“, zumindest für das Ehepaar Albers. Die Siedlungsarchitektur Dessau-Törten wird genauso selbstverständlich dem Bauhaus zugeschrieben wie die der Berliner Gropiusstadt. Allzu genau nimmt es der Film halt nicht.
Im Grunde geht es auch nur ums „Bauen der Zukunft“– und dies in großen Maßstäben. Da wird gleich mit der Eingangssequenz die Cité radieuse – ein gigantisches Wohnsilo – in Marseille gefeiert: „337 Wohnungen für 1600 Bewohner unter einem Dach“– „alles nach dem menschlichen Maß“. Ach ja! 150 Meter lange Flure? Und en passent vereinnahmt man so auch noch Le Corbusier für das Bauhaus.
Viel zu lang und zu breit geht es um Stadtplanungskonzepte etwa des Zürcher „Urban-Think Tanks“, um die Favelas Kolumbiens mit Infrastruktur auszustatten und den Bewohnern soziale Teilhabe zu erleichtern. Das wäre allerdings eher ein Problem unserer Zeit und einen eigenen Film wert. – Gut gemeint, doch mit dem selbst gesetzten Thema hat das gerade genauso viel zu tun wie der Stadtbrand von Rom in der Zeit Neros.
• Der Dokumentarfilm läuft ab morgigem Donnerstag im Kino Schillerhof Jena, ab . Mai im Filmklub Hirschlachufer Erfurt