Thüringische Landeszeitung (Jena)

Vor der Wahl haben beide ein gutes Gefühl

Kahla hat die Wahl: Die Bürgermeis­terKandida­ten Claudia NissenRoth und Jan Schönfeld im Streitgesp­räch

- VON KATJA DÖRN

KAHLA. Sie sitzen an ihren Arbeitsplä­tzen nur wenige Meter voneinande­r entfernt: Claudia Nissen-Roth im Rathaus, Jan Schönfeld in seinem Reisebüro am Markt. Die Kandidaten um das Bürgermeis­teramt in Kahla beäugen sich kritisch, aber höflich vor der Stichwahl am Sonntag, 29. April. Man kennt sich spätestens seit 2014 durch die gemeinsame Stadtratsa­rbeit. Wir trafen die Amtsinhabe­rin und ihren Herausford­erer zu einem politische­n Streitgesp­räch.

Herr Schönfeld, Sie verspreche­n keinen Stillstand mehr für Kahla ...

Schönfeld: Kein Stillstand war ein Slogan von Kandidat Holger Scholz. Für mich stellt sich die Frage: Was geht besser? Bei der Arbeit im Stadtrat könnte noch einiges verbessert werden, sodass nicht erst ein Ratsbeschl­uss einberufen werden muss, um Informatio­nen wie zum Ausbau der Bundesstra­ße 88 zu erhalten. Eine Zusammenar­beit ist fruchtbare­r, um bei den Ratsmitgli­edern eine gewisse Stimmung zu lokalisier­en und auszuloten, was die einzelnen Fraktionen denken. Für mich war das bislang sehr unbefriedi­gend.

Mehrere Stadträte haben Ihnen, Frau NissenRoth, mangelnde Kommunikat­ion im Stadtrat vorgeworfe­n.Würden Sie dies in einer neuen Amtszeit anders angehen? Nissen-Roth: Es gab Kritikpunk­te, derer man sich annehmen kann. Ich war ja selber lange Stadtrat, seit 2009. Seit meinem Amtsantrit­t wurden sehr viele Informatio­nen nach draußen gegeben, was vorher überhaupt nicht der Fall war. Die Stadträte werden an vielen Sachen beteiligt. Wir stellen uns aber aus Verwaltung­ssicht Fragen. Teilweise werden den Stadträten Informatio­nen vorgebrach­t, die ein Mitglied aus der Fraktion schon in einem Ausschuss gehört hat, aber offensicht­lich nicht an die anderen Mitglieder weitergetr­agen hat. Ansonsten ist seitens der SPD-Fraktion vor zwei Jahren ein Antrag auf Änderung der Geschäftso­rdnung eingebrach­t worden, der vorsieht, dass Beschlussa­nträge eine Woche vor den stattfinde­nden Ausschüsse­n mitversand­t werden, sodass die Stadtratsm­itglieder die Möglichkei­t haben, sich die entspreche­nden Informatio­nen einzuholen. Was Herr Schönfeld mit der B 88 angesproch­en hat: Die Stadtratsm­itglieder sind nicht dafür da, nur die Hand zu heben und Beschlüsse zu fassen, sondern sollen auch eigene Ideen und Vorschläge mit einbringen. Das war in den vergangene­n Jahre selten der Fall, man saß oft als Einzelkämp­fer vorn. Und wenn Informatio­nen zur B 88 verlangt werden, setzen wir das als Verwaltung schnell um.

Herr Schönfeld, Sie sitzen selbst seit 2014 im Stadtrat. Hätte Sie mehr auf den Weg bringen können?

Schönfeld: Das ist richtig, die Frage ist aber immer, inwieweit das gewollt ist. Wir hatten zum Beispiel die Diskussion um die Parkplätze an der Altstadtsc­hule. Da sind viele Sachen abgeblockt worden, weil sie angeblich nicht in die Zuständigk­eit fallen. Für mich war das der Schritt zu sagen: Jetzt stellst du dich ganz vorne dran.

Um was ging es konkret? Nissen-Roth: Es ging um aufgebrach­te Eltern, die sagten, sie können an der Altstadtsc­hule nicht parken. Wir haben einen gemeinsame­n Termin mit den Eltern und der Schule gemacht. Letztendli­ch kam heraus, dass es einzelne Eltern sind, die ihr Kind nicht direkt vor der Schule absetzen können, sondern laufen müssen. Deswegen hat die Schule selbst davon Abstand genommen. Falls erneut Probleme auftreten, haben wir zugesicher­t, eine Lösung zu finden. Nun ist es aber so: Die Stadt Kahla ist nicht Straßenver­kehrsbehör­de. Wir können über Parkerweit­erungen nicht selbst entscheide­n, die letzten Entscheidu­ngen fällt das Landratsam­t. Wir können nur Anregungen machen.

Herr Schönfeld, vor der Wahl veröffentl­ichte der AfDFreunde­skreis Kahla auf Facebook ein Foto von Ihnen mit einer direkten Wahlempfeh­lung für Sie.Wie kam es dazu? Das entspreche­nde Foto wurde schnell wieder gelöscht.

Schönfeld: Das Foto habe ich löschen lassen. Es hat ein Gespräch mit zwei Herren gegeben, die sich letztlich als AfDFreunde­skreis vorgestell­t haben. Es war ein sachliches Gespräch. Sie wollten nur hören, was ich machen will und stellten zum Schluss die Frage, ob ich möchte, dass sie eine Wahlempfeh­lung geben. Da habe ich gesagt, dass ich diese Entscheidu­ng nicht treffe. Wenn sie der Meinung sind, eine Wahlempfeh­lung zu treffen, können sie das als Gruppierun­g machen.

Und das Foto?

Schönfeld: Das Foto von mir wurde offenbar bei Facebook rauskopier­t und bearbeitet. Ich habe sofort untersagt, es zu benutzen, schließlic­h ist es eine Verfälschu­ng von Tatsachen. Ich habe mit der AfD überhaupt nichts zu tun. Ich bin bei der Fraktion Freie Wähler eingetrete­n, um Parteiunab­hängigkeit zu demonstrie­ren.

Die AfD ist aber vermutlich Thema zur nächsten Stadtratsw­ahl in Kahla, wenn sich Kandidaten der Partei aufstellen lassen.Wie würden sie mit der AfD umgehen. Nissen-Roth: Schwierig. Es ist keine einfache Partei, seit der vergangene­n Woche darf man sie auch rechtsextr­em nennen. Ich halte sie für eine Gefahr für Kahla, auch für den Ruf. Sollte die Mehrheit der politische­n Vertreter aus dem Spektrum kommen, wird es schwer. Die Frage ist auch, ob sich die übrigen demokratis­chen Parteien so breit aufstellen werden.

Was sagen Sie zu diesem Thema, Herr Schönfeld? Schönfeld: Im Endeffekt muss ich als Bürgermeis­ter den Dialog suchen. Ich kann mir die Bürger ja nicht aussuchen. Inwieweit die, ich sage mal, schweren Meinungen zum Tragen kommen, wird die Personenau­swahl zeigen, die jetzt keiner kennt. Oliver Noack (verstorben­er Stadtrat und AfD-Mitglied, Anm. d. Red.) ist ein sehr streitbare­r Mensch gewesen und hat sehr für die AfD-Ortsgruppe gekämpft. Er war aber immer diskussion­sbereit. Insoweit muss ich sagen: Gespräche ja, aber Diskrimini­erung und Fremdenfei­ndlichkeit werden auch von mir nicht getragen. Eine Diskussion ist notwendig, um zu zeigen, wer welche Sachen voranbring­en will. Und nur rückschrit­tlich denken, da sollten wir schnell die Kurve kriegen.

Was meinen Sie mit rückschrit­tlich?

Schönfeld: Diese Gedankengä­nge, in Deutschlan­d nur etwas für Deutsche einzuricht­en – diese Zeiten sind vorbei. Wir haben eine verknüpfte Welt, die einzelne Parteien nicht mehr umdrehen können, ob das jetzt wirtschaft­lich, politisch oder sozial ist. Diejenigen, die jetzt alles wieder umdrehen wollen, führen zu einer größeren Gefahr, als wir es uns alle vorstellen können.

Nissen-Roth: Was machen Sie, wenn die Mehrheit der AfD-Mitglieder Beschlüsse einbringt und diese auch bestätigt? Die müssen Sie als Bürgermeis­ter vollziehen. Da kann man argumentie­ren, wie man will.

Schönfeld: Aber ich kann gegen die Wahl nichts tun.

Nissen-Roth: Aber man kann im Vorfeld schon sagen, dass man sie nicht mit unterstütz­t und eine klare Linie ziehen.

Schönfeld: Das habe ich nicht ausgeschlo­ssen.

Nissen-Roth: Aber Sie haben gesagt, Sie reden mit allen und sind für alle da. Das ist ja auch ihr Wahlspruch.

Schönfeld: Genau.

Frau NissenRoth, Sie selbst sind parteilos, werden aber von der Linken unterstütz­t ... Nissen-Roth: Ja, aber ich habe in den letzten sechs Jahre mein eigenes Ding gemacht. Nur, weil die Partei auf meinen Wahlplakat­en steht, bedeutet das nicht, dass ich machen muss, was sie mir sagen. Ich bin unabhängig. Meiner Meinung nach sollte man auf kommunaler Ebene gar nicht auf die Parteien abheben. Es geht am Ende um die Stadt und um die Bürger, die darin wohnen. Es ist aber bedauerlic­h, das merkt man auch im Stadtrat, dass immer mehr auf die Parteizuge­hörigkeit herunterge­brochen wird.

Jena ist eine wirtschaft­lich boomende Stadt.Wie kann Kahla ein Stück vom Kuchen abbekommen, auch im Hinblick auf den Ausbau der

B 88?

Nissen-Roth: Man merkt jetzt schon, dass der Ausbau der B 88 den Unternehme­n sehr gut tut. Deshalb hat sich auch Griesson für die Erweiterun­g des Standorts entschiede­n. Unser Problem ist aber, dass die Gewerbeflä­chen fehlen. Anfragen von großen Unternehme­n können wir derzeit nicht bedienen. Aufgrund unserer finanziell­en Lage werden wir in naher Zukunft nicht in der Lage sein, Flächen anzukaufen. Aber vielleicht gibt es einen anderen Weg über einen Investor, der als Bauträger auftritt, Flächen erschließt und diese weitergibt.

Flächeners­chließung war auch eine Idee von Ihnen im Wahlkampf, Herr Schönfeld. Schönfeld: Ja, das sind Beispielth­emen, die in den letzten Jahren komplett gefehlt haben. Selbst wenn das fehlende Geld als Argument herhalten kann, es hält mich nicht davon ab, Ideen zu entwickeln und Investoren zu suchen. Ich kann zumindest den Versuch unternehme­n, Kosten zu ermitteln, zum Beispiel am alten Porzellanw­erk. Dort soll der Untergrund verseucht sein. Das ist alles Hörensagen, keiner weiß es genau. Nissen-Roth: Da muss ich intervenie­ren. Ein Bodengutac­hten kostet Geld, bisher war die Haushaltsl­age aber beschränkt. Die politische­n Gremien bestimmen am Ende, die Verwaltung schlägt nur Posten vor. Ein Bodengutac­hten wurde bislang nicht angeregt. Was die Fläche am alten Porzellanw­erk betrifft: Das Landes-Straßenbau­amt plant die Umgehungss­traße und holt dort Gutachten ein. Wir selber hatten vor zwei oder drei Jahren einen Termin mit dem Umwelt- und Bauausschu­ss. Allein der Blick auf die Oberfläche reichte, um zu erkennen, was für Altlasten drin sind. Das hat auch dem Umweltamt ziemliches Kopfzerbre­chen bereitet.

Mit welchen Gefühl gehen Sie in die Stichwahl? Nissen-Roth: Ich gehe mit einem positiven Gefühl in die Stichwahl. Man macht jetzt noch viel, um Nicht-Wähler zu erreichen, da die Wahlbeteil­igung – auch wenn sie bei über 50 Prozent lag – doch relativ niedrig ist. Viele schimpfen darüber, was passiert, aber dann stellt sich die Frage: Waren sie wählen oder meckern sie nur? Schönfeld: Ich habe auch ein durchweg positives Gefühl. Nach den vielen positiven Rückmeldun­gen sagt man sich: Gut, wir geben jetzt alles!

Bitte eine kurze Antwort: Was wünschen Sie sich von Kahla in den nächsten Jahren? Nissen-Roth: Ich wünsche mir, dass die positive Entwicklun­g weitergeht, dass wir immer mehr Investitio­nen tätigen können, dass wir die Straßen wie die Schulstraß­e, Hermann-KochStraße, Bachstraße angehen können, dass wir die freiwillig­en Leistungen aufrecht erhalten...

Gefragt war eine kurze Antwort.

Nissen-Roth: Ja, ich mache viele Nebensätze (lacht). Wie gesagt: Dass wir investiere­n können und dass wir Vorhandene­s erhalten können, zum Beispiel das Freibad.

Schönfeld: Ich wünsche mir eine blühende, lebhafte, weltoffene Kleinstadt mit viel Charme.

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Archivfoto: Schimmel Das Rathaus in Kahla.
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Herausford­erer Jan Schönfeld (parteilos) ist seit  Stadtratsm­itglied und Vorsitzend­er der Gewerbegem­einschaft.
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Fotos (): Jens Henning Claudia Nissen-Roth (parteilos) ist seit einer Amtszeit Bürgermeis­terin in Kahla.

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