Thüringische Landeszeitung (Jena)
Wenn beim Kleiderwechsel Erinnerungen wach werden
Der April ist der Monat der Wechselzeit. Endlich runter mit den hässlichen Winterrädern und schnell die schicken Alu-Felgen draufgezogen. Ähnlich geht es bei der Wahl der Kleidung zu. Die Zeit der dicken Jacken scheint vorbei. Also ab in den Schrank und leichtere Klamotten rausgeholt. Die Wechselspiele finden so auch in der Wohnung statt.
Nun haben solche Umräumaktionen ja mitunter lustige Anekdoten zur Folge. Ähnlich den Entrümpelungsarbeiten auf dem Boden, wo sich Schätze vergangener Tage finden und zum Nachdenken anregen, hatte ich beim Umtausch der Kleidung eine Begegnung mit der Vergangenheit. Nichts wurde es mit dem schnellen Austausch, als beim Öffnen der Tür das rote T-Shirt entgegensprang.
Rot-Weiß Erfurt: Aufsteiger 2004 lautet die Botschaft, und sofort war sie wieder da, die Erinnerung an den 29. Mai 2004. Mit zig Freunden stand ich in der Südkurve des proppevollen Steigerwaldstadions; beseelt mit der Hoffnung, Historisches miterleben zu dürfen. Die Zutaten – wie gemacht für einen Film mit Happy End. Und dann diese ominöse 80. Minute. Spielstand 1:1, Saarbrückens Torwart patzt, schlägt den Ball vor die Füße von Rudi Zedi, der einfach draufhält und die Hacke von Ronny Hebestreit findet, von wo das Streitobjekt ins Tor trudelt. 2:1, das würde für den Aufstieg in die 2. Bundesliga reichen.
Es bleibt das letzte Tor dieser Begegnung, als der Schiedsrichter abpfeift, brechen alle Dämme – auch bei uns. Manche Kumpels rennen auf das Spielfeld, ich gönne mir ein AufstiegsT-Shirt, was ich am Abend dem Vater präsentiere. Der magische 29. Mai – er endet auch in meinem Heimatort mit einer Feier. Ein Bekannter zeigt voller Stolz das Trikot von David Fall und meint, er habe es mit ihm getauscht.
Doch das minütliche Schwelgen in der Vergangenheit wird jäh unterbrochen. Auf einmal bin ich wieder in der Realität angekommen. Kurz nachgerechnet fällt auf, dass nicht nur das Spiel, sondern auch das T-Shirt schon fast 14 Jahre alt ist. Ich werde es natürlich weiter pflegen und mitunter auch wieder in der Freizeit tragen, doch der Schrank will ja schließlich wieder geschlossen werden. Also flugs die restliche Kleidung ausgetauscht und die Tür zugemacht.
Sinnigerweise ist es fast nur dieses Frühjahr samt Sommer 2004, das in durchweg positiver Erinnerung geblieben ist. Seit dem Start der 3. Liga betreue ich den FC Rot-Weiß neben Kollege A., doch die wirklich großen Ereignisse – sie fallen meist erst nach längerem Nachdenken ein. Ist es, weil man als Journalist einen größeren Abstand hat als zu der Zeit, als man mit den Kumpels sogar zu Auswärtsspielen fuhr? Ist es die Beliebigkeit der Gegner, die einen abkühlen lassen?
Klar könnte man jetzt schnell das denkwürdige 3:4 gegen den FC Bayern vom 10. August 2008 ins Feld führen. Doch das war nun eben einmal der DFB-Pokal. Die Überlegungen gehen weiter. Wo ist der eine besondere Moment, oder waren es gar mehrere? Noch immer fällt mir Torwart Dirk Orlishausen ein, der uns eines Tages in einem Redaktionsgespräch von einem jungen, 17-jährigen Talent erzählte, das bei Bayern II mit auflief. „Der kann ja noch A-Jugend spielen“, meinte Orle damals verblüfft. Tja, nun spielt dieser „Bursche“mit Namen David Alaba seit Jahren auf höchstem Niveau und in Sphären, in die der RWE wohl nie kommen wird.
Doch was bleibt sonst noch hängen außer Siegen gegen Jena und vielen peinlichen Pleiten? Ich grübele ein wenig, blicke auf die Teams, die an Erfurt vorbeigezogen sind – entweder nach oben oder unten. Ja, einst duellierte sich Rot-Weiß mit Clubs wie RB Leipzig oder jetzigen Zweitligisten. Dass diese irgendwann in anderen Ligen spielen würden – geschenkt. Was mich aber wieder zum Blick auf das Jetzt bringt. Da sind es Mannschaften wie Meppen oder Lotte, die sich besser entwickelt haben. Keine Truppen mit Geld ohne Ende, die aber scheinbar momentan ihre Hausaufgaben besser erledigen. Und mich beschleicht das Gefühl, dass dies für einige Zeit noch der Fall sein wird.
Was in Erfurt bleibt, ist die über Jahre anhaltende Mittelmäßigkeit. Ab der kommenden Saison im besten Fall in Liga 4. Selbst der spätere Mitaufsteiger von 2004 – Saarbrücken – kann nun über die Relegationsspiele wieder in die Liga aufsteigen, für die wie kein anderes Team Erfurt stand. Das ist sehr bitter für den FC Rot-Weiß, kann und muss aber auch ein Ansporn sein. In Erinnerungen schwelgen dürfen Fans und Spieler vergangener Tage. Es liegt am Club, die Weichen für eine erfolgreichere Zukunft zu stellen.