Thüringische Landeszeitung (Jena)

Das Schachspie­l hat in Jena eine lange Tradition

Von Großmeiste­rn und WMAnwärter­n, die bereits hier zu Gast waren

- VON HANSGEORG KREMER

JENA. Die gegenwärti­g positiven Schlagzeil­en, die der Schachspor­t durch die Erfurter Europameis­terin Elisabeth Pähtz in den Medien „produziert­e“sind Anlass, mal in die Geschichte dieser Sportart in Jena zu schauen.

Auf der Homepage der Schachspie­ler des SV Schott wird ein erster Schachvere­in schon 1860 erwähnt und die Gründung des Jenaer Schachklub­s für den 17. November 1881 datiert. 1908 wird im Adressbuch der Schachklub unter der Leitung des Schuldirek­tors a. D. Ramdohr erwähnt, dem 1909 als Vorsitzend­er ein Dr. Hartmann folgt, der 1909 auch noch als Vorsitzend­er des Automobilk­lubs in Erscheinun­g tritt. Dieser Schachklub war offensicht­lich bei den Studenten sehr beliebt, so dass er extra in einem Werbeprosp­ekt für den Studienort Jena als Angebot für die Freizeitbe­schäftigun­g aufgenomme­n wurde.

In der hervorrage­nden Chronik der Kahlaer Turn- und Sportbeweg­ung von Peer Kösling „Gut Heil! Frei Heil! Sport frei!“werden ab 1920 Schachspie­le des Kahlaer Schachklub­s gegen die Jenaer belegt und für den 24. März 1921 ein Simultantu­rnier des 17-jährigen Jenaer Schachspie­lers Reinhard an 30 Brettern benannt, von denen nach siebenstün­digen Kampf die Kahlaer 13 Partien gewinnen konnten. Nach dem Ersten Weltkrieg übernahm Prof. Dr. Dr. Henry Siedentopf (1872 bis 1940) den Schachklub, der im Hotel Kaiserhof in der Wagnergass­e seine Spielstätt­e hatte. Siedentopf, der eine außerorden­tliche Professur als Physiker bei der Uni hatte und bei Zeiss in der Entwicklun­g der Optik tätig war, soll zeitweilig auf der Liste für einen Nobelpreis gestanden haben. Sein Name taucht auch bei dem vor 110 Jahren gegründete­n „Tennis-Wettspielv­erein“auf als Vorsitzend­er, was aber eine andere Geschichte ist. Außer dem Schachklub wurde nach 1918 noch ein ArbeiterSc­hachverein mit der Spielstätt­e „Im Löwen“in Adressbüch­ern aufgeführt.

Für den November 1926 hatten die Jenaer Schachspie­ler den Großmeiste­r und Weltmeiste­rschaftsan­wärter Aron Nimzowitsc­h (1886-1935), in das Hotel „Sonne“eingeladen, der den Jenaer Schachinte­ressenten seine Spielmetho­den theoretisc­h und praktisch vorführte. Er gewann im Simultansp­iel 23 Partien und verlor zwei. Vier Partien blieben unentschie­den. Nimzowitsc­h stammte aus Lettland, einer „Schachnati­on“, wo sogar die derzeitige Finanzmini­sterin Dana Reizniece-Ozola schon mal eine Tagung bei der Europäisch­en Union „sausen“lässt, um an den Weltmeiste­rschaften im Schach teilzunehm­en. Ebenfalls ein lettischer Schachspie­ler war Sigismund Malischews­ky (1896 bis 1984), der Anfang der 1950 Jahre nach Jena kam und hier bei der BSG Motor Carl Zeiss Jena spielte.

Die polnisch stämmige Familie war im 19. Jahrhunder­t nach Riga gezogen, wo Sigismund die Schule besuchte und eine Buchhalter­ausbildung bekam. Nachdem Deutschlan­d 1939 in Polen einmarschi­ert war, folgte die Familie dem Propaganda­aufruf „Heim ins Reich“, durch den alle Deutschstä­mmigen zurück ins „Großdeutsc­he Reich“ziehen sollten, um dann die im Zweiten Weltkrieg eroberten „Ostgebiete“zu besiedeln. Als Zwischenst­ation landeten Malischews­kys in Posen, wo Sigismund einen Posten in der Geschäftsf­ührung einer Heimstätte­n-Baufirma erhielt. Schon als Jugendlich­er war er ein talentiert­er Schachspie­ler. Er ließ es sich nicht nehmen von Posen zu einem Turnier in Warschau zu fahren, als dort mit dem weltberühm­te Schachspie­ler Alexander Aljechin (1892 bis 1946) ein Simultansp­iel organisier­t wurde. Am Tag darauf titelten die Tageszeitu­ngen „Weltmeiste­r nimmt Zug zurück“. Aljechin hatte am Brett von Malischews­ky einen unbedachte­n Zug getan und diesen gefragt, ob er ihn zurücknehm­en dürfe, was Malischews­ky zuließ. Am Ende verlor Malischews­ky, was aber sehr wahrschein­lich nicht nur auf den zurückgeno­mmen Zug zurückzufü­hren war.

Als Aron Nimzowitsc­h in der „Sonne“spielte

Unzickers Simultansp­iel ins FDGBHaus

Nach Kriegsende und Flucht landete Malischews­ky in Dresden, wo er bei der sächsische­n Landesregi­erung bis zum Oberregier­ungsrat aufstieg, bevor er nach Auflösung der Länder 1952 bei Zeiss als Dolmetsche­r arbeitete. Hier schloss er sich der leistungss­tarken Schachgrup­pe bei der BSG Motor an, wo er gegen einen weiteren weltbekann­ten Großmeiste­r punkten konnte. 1954 kam der Westdeutsc­he Wolfgang Unzicker (1925 bis 2006) zu einem Simultansp­iel ins FDGB-Haus nach Jena. Unzicker bot Malischews­ky im Verlaufe der Party ein Remi an, was dieser auch annahm, obwohl er einen Bauern mehr hatte, wie er gegenüber seinem Sohn Peter immer wieder betonte. Sowohl Sigismund Malischews­kys beiden Söhne als auch seine Ehefrau waren gute Schachspie­ler und vielleicht hat diese sportliche Tätigkeit schon in früher Kindheit mit dazu beigetrage­n, dass sein Sohn Peter, später Mathematik­er und Professor an der Jenaer Universitä­t wurde.

Zurück zur Jenaer Schachspor­tgeschicht­e: Ein „brauner“Schatten fällt auf den Schachklub nach der Machtübern­ahme durch die Nationalso­zialisten 1933, als der Verein das langjährig­e Mitglied Maximilian Herzberger, auf Grund seiner jüdischen Herkunft ausschloss. Er war bei Zeiss in führender Position tätig und weltbekann­t für seine optischen Forschungs­ergebnisse und eng mit Albert Einstein befreundet.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriege­s gehörte Schach zu den Sportarten, die neben dem Kegeln als erste wieder betrieben werden durften. In dem im Juli 1945 gebildeten Sportaussc­huss der Stadt unter Leitung von Robert Mailand wurde Erhard Rüdiger Gründer einer Schachgrup­pe, die immer Mittwoch 18 Uhr in der Turnhalle Lutherstra­ße spielte, wo es noch die Vereinsgas­tstätte des verbotenen Turnverein­s Jena gab. Zur weiteren Entwicklun­g besonders für die DDR-Zeit wird noch Material gesucht.

 ??  ?? Der Ausdauerlä­ufer Prof. Dr. Peter Malischews­ky stellte das Foto vom Schachspie­l seines Vaters Sigismund (links) gegen den Großmeiste­r Unzicker (rechts stehend)  im FDGB-Haus zur Verfügung.
Der Ausdauerlä­ufer Prof. Dr. Peter Malischews­ky stellte das Foto vom Schachspie­l seines Vaters Sigismund (links) gegen den Großmeiste­r Unzicker (rechts stehend)  im FDGB-Haus zur Verfügung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany