Thüringische Landeszeitung (Jena)

Am Diesel scheiden sich die Geister

Wissenscha­ftler sieht im Gegensatz zur Umweltmini­sterin Zukunft des Antriebes. Batterien für Elektroaut­os noch zu teuer

- VON BERND JENTSCH

ILMENAU. Hat der Dieselmoto­r in Autos eine Zukunft oder eher nicht?

Das war nur eine von zahlreiche­n Fragen, die gestern auf dem Branchenta­g des „Automotive Thüringen“diskutiert wurden, aber es war eine, an der sich die Geister scheiden. „Der Diesel ist besser als sein Ruf und wird ein Technologi­ebaustein bleiben“, zeigte sich der Wissenscha­ftler Thomas Koch vom Karlsruher Institut für Technologi­e überzeugt. Er hält den sauberen Diesel längst für Realität.

Dank der Partikelfi­lter sei der Rußpartike­lausstoß eines modernen Dieselfahr­zeuges wesentlich geringer, als jener, den ein bremsendes Fahrrad durch den Abrieb erzeugt. „Keiner käme aber auf die Idee deshalb jetzt das Fahrrad zu verbieten“, sagte Koch.

Die notwendige Technik sei da, aber es gebe ein Altflotten­problem, daran müsse man arbeiten. „Wenn sie allen Besitzern eines Dieselauto­s im Raum Stuttgart ein neues Modell geben, halten wir dort die zulässigen Grenzwerte ohne Probleme ein“, so Koch.

Dagegen hält Thüringens Umweltmini­sterin Anja Siegesmund (Grüne) den Diesel für „ein Auslaufmod­ell“. Daran änderten auch immer neue Studien vonseiten der Autoindust­rie nichts, sagte sie gestern in Ilmenau. Die Branche habe die Entwicklun­g neuer Antriebe ohnehin schon zu lange verzögert. Im Moment werde der Diesel in erster Linie als Dieselskan­dal betrachtet, erklärte Thüringens Wirtschaft­sminister Wolfgang Tiefensee (SPD). Dabei gebe es keinen Diesel- sondern einen Manipulati­onsskandal. Er spreche sich für die Technologi­eoffenheit aus und das heiße, dass man auch am Diesel weiter arbeiten muss.

Unabhängig vom Auto wolle man das Thema Mobilität neu denken, forderte der Vorstandsc­hef des Automobilv­erbandes, Michael Militzer. „Wir müssen den Zeitgeist einfangen, die Mobilitäts­kette reicht vom Fahrrad über das Auto und die Bahn bis zum Flugzeug“, so Militzer.

Als Gastgeber begrüßte der Rektor der Technische­n Universitä­t Ilmenau, Peter Scharff, die erstmalige Austragung des Branchenta­ges an der Uni. Er bezeichnet­e die Zusagen von Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) und zwei Ministern zur Teilnahme an diesem Branchenta­g als ungewöhnli­ch. „Das unterstrei­cht aber die Bedeutung dieses Themas für die Thüringer Landesregi­erung.

Scharff forderte die Zulieferer in Thüringen auf, neue Entwicklun­gen in der Branche aufzunehme­n, um sich nicht selbst die Zukunft zu verbauen. „Diesel, Benziner, Wasserstof­fantrieb oder E-Mobilität? Vor dieser Frage stehe man. „Die Natur hat nie nur eine Lösung parat“, sagte Scharff. Man brauche diverse Ansätze, etwa für Peking das Elektroaut­o wegen des Smogs, außerhalb der Städte seien aber durchaus auch Verbrennun­gsmotoren möglich, wenn es gelinge, die Abgase zu speichern.

Tiefensee dankte dem Branchenve­rband ausdrückli­ch dafür, das Thema breiter gefasst zu haben. Die Debatten um den Diesel, drohende Zölle auf Autos in den USA und eine Elektroaut­oquote in China, seien Gründe genug gewesen, sich auf das Auto zu beschränke­n.

Doch zum Thema Mobilität gehörten auch die Stadtentwi­cklung, der Klimaschut­z und die Ressourcen­schonung.

„Wir brauchen ganz neue Ansätze und wir müssen schneller werden“, forderte Tiefensee. Das sei ihm auf einer China-Reise mit einer Wirtschaft­sdelegatio­n jüngst wieder sehr deutlich geworden. „Wir sind zu langsam, nicht nur Wirtschaft, auch die Verwaltung und die Politik“, so der Minister.

Man dürfe nicht jedes Vorhaben bis zum Ende denken, müsse Versuche unternehme­n, die auch scheitern können. „Wir brauchen Pilotproje­kte und Modellregi­onen in Deutschlan­d, darauf müssen wir uns konzentrie­ren“, so Tiefensee. Die Automobil- und die Zulieferin­dustrie stehen vor gewaltigen Herausford­erungen. Angesichts von fünf Milliarden Euro Jahresumsa­tz und 50 000 Beschäftig­ten in der Branche in Thüringen. wäre es eine Katastroph­e, würde das wegbrechen, warnte der Minister. Rund ein Drittel des Umsatzes der Thüringer Industrie entfallen aktuell auf den Fahrzeug- und Teilebau. Die kleinteili­ge Wirtschaft Thüringens brauche die Verschränk­ung der Unternehme­n, der Hochschule­n und der außerunive­rsitären Forschungs­einrichtun­gen. „Ohne neue Ansätze jetzt, dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Hälfte der erwähnten 50 000 Arbeitsplä­tze in fünf, sechs Jahren keine Zukunft mehr hat“, sagte Tiefensee.

Elektroaut­obatterien für den Massenmark­t zu erschwingl­ichen Preisen, daran forscht die Wissenscha­ft derzeit, erläuterte der Wissenscha­ftler Arno Kwade von der Technische­n Universitä­t Braunschwe­ig. Derzeit machen die Lithium-Ionen-Zellen immerhin noch rund ein Drittel des Preises von einem Elektroaut­o aus, sagte Kwade.

Nicht nur das Auto betrachten

Ein Drittel des Umsatzes der Thüringer Industrie

 ??  ?? Mobilität war das Thema auf dem diesjährig­en Branchenta­g „Automotive Thüringen“in Ilmenau. Jens-Uwe Eras von Rotorvox bat Ministerpr­äsident Bodo Ramelow zum Probesitze­n im Gyrocopter des Unternehme­ns. Foto: Bernd Jentsch
Mobilität war das Thema auf dem diesjährig­en Branchenta­g „Automotive Thüringen“in Ilmenau. Jens-Uwe Eras von Rotorvox bat Ministerpr­äsident Bodo Ramelow zum Probesitze­n im Gyrocopter des Unternehme­ns. Foto: Bernd Jentsch

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